Formel 1:Leclerc untergräbt Vettels Autorität

Chinese Grand Prix

Sind erst seit drei Rennen Teamkollegen, haben aber schon eine intensive Beziehung: Charles Leclerc (links) und Sebastian Vettel.

(Foto: Aly Song/Reuters)
  • Abgesehen von der sportlichen Lage steht Sebastian Vettel auch teamintern unter großem Druck.
  • Sein Kollege Charles Leclerc schafft es auf subversive und subtile Art, den Deutschen zu untergraben.
  • Teamchef Mattia Binotto hält jedoch weiter an der erklärten Stallorder und seinem Kapitän fest.

Von Philipp Schneider

Mitte März, ein lauer Spätsommerabend in Melbourne. Im Albert Park brennt noch Licht. In der Unterkunft der Scuderia Ferrari sitzen Journalisten auf Stühlen. Sie warten auf drei Männer, die vor wenigen Stunden zum ersten Mal gemeinschaftlich ein Rennen in der Formel 1 orchestriert und bestritten haben. Das Rennen war eine Katastrophe. Zumindest für Ferrari. Für Teamchef Mattia Binotto und die Fahrer Sebastian Vettel und Charles Leclerc, die es nicht einmal aufs Podium geschafft haben.

Die Journalisten warten. Und warten. Sie warten allerdings gerne, weil sie glauben, dass sich die Warterei lohnen könnte. Offensichtlich hatte Binotto gleich in seinem ersten Rennen als Ferrari-Chef in den Rennverlauf eingegriffen. Hatte den 21-jährigen Leclerc gegen Rennende angewiesen, davon abzusehen, seinen zehn Jahre älteren Teamkollegen Vettel zu überholen. Ein entsprechender Funkspruch Binottos war der Öffentlichkeit nicht überliefert. Warum trotzdem alle ahnten, dass eine Stallorder ergangen war? Weil Leclerc bis zur letzten Sekunde auf dem Gas geblieben war und dann hart gebremst hatte. Er war mit so viel Tempo herangerast, dass es aussah, als wolle er Vettels Ferrari aufspießen. Ein vergleichsweise subtiles Zeichen war das. Leclerc wollte, dass die Welt erfährt, dass er gleich in seinem ersten Rennen schneller gefahren war als Vettel, der viermalige Weltmeister. Nur sagen würde er das nicht.

Endlich geht es los. Die Pressesprecherin entschuldigt sich. Das Debriefing, also die Nachbesprechung, habe etwas länger gedauert als gewöhnlich. Man ahnt, warum. Binotto gibt alles zu. Es sei ihm bei der Stallorder darum gegangen, beide Autos unversehrt ins Ziel zu bringen. Vettel gibt ebenfalls alles zu, sagt, ohne Stallorder wäre Leclerc an ihm vorbeigerollt. Und Leclerc? Sitzt neben Vettel und schaut mit seinen brauen Augen so unbeteiligt in die Runde wie ein Reh aus dem Wald. Sagt eine ganze Weile: nichts.

Alle lachen. Sogar Vettel.

Monsieur Leclerc, warum waren Sie schneller als Vettel? Oh, sagt Leclerc, das wisse er nicht. Er müsse zunächst die Daten analysieren. Das Auto habe sich plötzlich besser angefühlt als vorher. Leclerc will noch etwas ergänzen, doch in dem Moment entfährt den Lautsprechern ein höllischer Quietschton, eine Rückkopplung. Leclerc lacht, murmelt, vielleicht sei es so besser. Alle lachen. Sogar Vettel.

Rennfahrer können die Hierarchie innerhalb eines Teams auf plumpe Weise infrage stellen. Oder auf schlaue. Sie können sich gegenseitig ins Auto fahren und von der Strecke räumen. Oder sie vermeiden jeglichen Karbonschaden, halten sich brav an alle Anweisungen und finden subtilere Wege, die Autorität des Teamkollegen zu untergraben. Leclerc legte als Strategie zur Rebellion eine Trilogie vor. Drei Rennen, drei Demonstrationen seiner Schnelligkeit. Dreimal musste Binotto ihn bremsen.

Nach Melbourne ging es nach Bahrain, dort forderte ihn Binotto auf, zwei Runden hinter Vettel zu warten. Irgendwann fuhr Leclerc aber vorbei, weil er so viel schneller war, dass Binotto und auch Vettel dies akzeptieren mussten. Und dann, im 1000. Rennen der Formel-1-Geschichte, das leider auf der wenig geschichtsträchtigen Strecke in Shanghai ausgetragen wurde, reichte Leclerc seine Unabhängigkeitserklärung ein. Wieder sehr geschickt. Nicht bei seinem Chef. In der Öffentlichkeit! Indem er sein Funkgerät zum politischen Instrument umfunktionierte und über die ergangene Stallorder ("Let Sebastian by! Let Sebastian by!") maulte, und, ehe er sich fügte, noch sagte: "Ich ziehe doch davon!"

Das stimmte nicht. Leclerc war nicht schneller als Vettel. Aber der Funkspruch streute eine Saat, die am Folgetag in den italienischen Gazetten prächtig gedieh. Zumal Leclerc immer weiter funkte. Als nach dem Plätzetausch alle sehen konnten, dass auch Vettel nicht schnell genug war, um den davoneilenden Mercedes näher zu kommen, fragte Leclerc süffisant nach bei seinem Team: "Und jetzt?" Dann blieb er dran an Vettel, der zugab, er habe in dieser Phase den Rhythmus nicht gefunden und sich deshalb auch einmal verbremst - und Leclerc teilte ironisch mit: "Ich verliere ganz schön viel Zeit. Ich weiß nicht, ob ihr das wissen wollt oder nicht?"

Die italienische Presse erwartet bereits den Wachwechsel

Zumindest die italienischen Journalisten wollten das wissen. "Leclerc wird immer mehr zum Leader, auch wenn er im Namen des Teams geopfert wird", schrieb La Repubblica. Und der Corriere della Sera fragte: "Wie lange wird Ferrari Kapitän Vettel noch verteidigen können?" In Shanghai verteidigte sich der Kapitän so: "Ich bin gefragt worden, ob ich schneller fahren kann. Ich habe geantwortet, dass ich das kann." Binotto rechtfertigte die Stallorder als eine "Entscheidung für das Team, nicht für einen Fahrer". Und Leclerc sagte: "Für die Teamorder muss es einen guten Grund geben. Aber ich will keine dummen Kommentare abgeben, solange ich das ganze Bild nicht kenne". Dumm war der Kommentar mal wieder nicht. Sondern subversiv.

Noch ist der Zwist in der Scuderia nicht eskaliert, gut möglich, dass es nicht so kommt wie 2016 bei Mercedes, als Lewis Hamilton und Nico Rosberg sich mit allen einem Rennfahrer zur Verfügung stehenden Mitteln niedermachten. Auch muss Ferrari zunächst einmal ergründen, weswegen in zwei von drei Rennen nicht gelungen ist, den Leistungsvorsprung des Motors so auf die Strecke zu bringen, dass Mercedes nicht auf und davon fährt. Ein wenig verwundert es aber schon, dass Binotto zur Verteidigung der Stallorder nicht darauf verwiesen hat, dass die Debatte über Sinn und Unsinn einer künstlichen Hierarchie bei Ferrari eine lange Vorgeschichte hat.

Binotto hat aus der Vergangenheit gelernt

Dafür müsste man gar nicht 17 Jahre zurückblicken bis zu den seligen Schumacher-Zeiten und dem sogenannten "Grand Prix der Schande" in Spielberg. "Let Michael pass for the Championship!" funkte der damalige Ferrari-Chef Jean Todt auf die Ohren von Rubens Barrichello - was zwar unsportlich war, aber effektiv. Es genügt ja schon der Verweis auf das Rennen in Monza im Vorjahr. Damals wurde Binottos Vorgänger, der im Winter entlassene Maurizio Arrivabene, heftig dafür gescholten, dass er nicht angeordnet hatte, dass Leclercs Vorgänger Kimi Räikkönen Windschatten für Vettel spendet in der Qualifikation. Stattdessen saugte sich Räikkönen an Vettels Heck und sauste auf die Pole Position. "Asummiamo piloti, non maggiordomi", brummte Arrivabene nach der Misere beim Heimrennen, in dem Vettel in der ersten Runde mit Hamilton zusammenstieß, was ihm, wäre er von vorne ins Rennen gestartet, nie widerfahren wäre. Er beschäftige "Fahrer und keine Butler".

Man darf es so sehen: Binotto hat Lehren gezogen aus Arrivabenes Sturz und das Butlerwesen wieder eingeführt bei Ferrari. Er konnte ja nicht ahnen, dass er in Leclerc an einen Butler geraten ist, der dem Gutsherren zwar das Essen serviert. Der aber in dem Moment, in dem er das Hirschragout mit Steinpilzen auf den Mahagoni-Tisch stellt, beiläufig erwähnt: Ich kann nicht nur kochen, sondern auch sehr gut essen. Ich weiß nicht, ob du das wissen willst?

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