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Ferrari:Wie lang hält die Geduld der Bosse mit Binotto?

Die Akte mit den blamablen Rückschlägen unter Ferraris Teamchef Mattia Binotto füllt sich auch in Monza weiter. Das Erbe von Enzo Ferrari wiegt schwer für die Männer an der Spitze der Scuderia.

Von Elmar Brümmer

Party-Modus. Selten war ein Wort so fehl am Platze wie an diesem Rennwochenende im Königlichen Park von Monza. Denn im Autodromo Nazionale ist zwar viel Formel 1, aber wenig Party. Nur 250 Zuschauer, wo sonst rote Massen wogen. Auch die sind ausgesucht, medizinisches Personal, Ärzte und Krankenschwestern - so möchte Italien bei seinem Großen Preis stellvertretend seine Dankbarkeit für die Helfer in schwersten Corona-Zeiten ausdrücken. Es verbieten sich alle Parallelen, dass auch das sportliche geprügelte Ferrari-Team dringend Hilfe brauchen könnte.

Der Party-Modus, der in einer Runde mehr Leistung bei den Rennwagen freisetzt, ist auf der schnellsten Piste der Saison erstmals auch verboten. Ein Versuch der Regelhüter, die Dominatoren von Mercedes etwas einzubremsen. In der Qualifikation hat das nicht funktioniert. Auch ohne die Zusatzpower auf Knopfdruck stehen Lewis Hamilton und Valtteri Bottas in der ersten Reihe. Der Brite sicherte sich seine 94. Pole-Position mit einem neuen Streckenrekord. Auch für Ferrari hat sich nichts geändert - Charles Leclerc landet nur auf Rang 13. Sebastian Vettel muss sogar schon nach dem ersten Qualifikationsabschnitt aus dem roten Auto steigen, Platz 17. Ursache war nicht allein sein lahmer Dienstwagen, sondern ein falsches Timing für die entscheidende letzte Runde, der Heppenheimer wurde in den dichten Verkehr geschickt. Das nächste Fiasko.

Anderthalb Sekunden auf die Spitze aufholen, das dürfte Jahre dauern. Genau damit rechnet auch Mattia Binotto, vielmehr: er muss hoffen. Auf das neue Reglement, das aber erst 2022 kommt. Klingt ein bisschen wie auf Zeit spielen, aber das kann sich der Teamchef der Scuderia eigentlich nicht leisten. Jedes blamable Resultat findet auch Niederschlag in seiner Personalakte, die von den italienischen Zeitungen öffentlich geführt wird. Wie zuletzt in der Gazetta dello Sport: "Ein Mangel an Ideen und Mut."

Wie lange haben die Bosse noch Geduld mit Mattia Binotto?

Rein rhetorisch hat sich der 50 Jahre alte Ingenieur nach eindreiviertel Jahren im Amt schon mit einem Abschied befasst, wie er zugibt: "Meine Position habe ich nie als gefährdet betrachtet, weil ich um die Unterstützung der Firmenchefs weiß. Ich fühle mich alles andere als alleingelassen. Aber ich habe mich selbst gefragt, ob ich der Richtige für diesen Posten bin." Das Ergebnis? Der Italiener redet sich selbst stark: "Ich habe viel Erfahrung in der Formel 1, mehr als 35 Jahre. Ich kenne das Team sehr gut und habe einen technischen Hintergrund. Und ich möchte mich meiner Verantwortung nicht entziehen. Ich glaube aber, dass Stabilität ein Schlüsselfaktor ist, um ein Team weiterzuentwickeln. Wir haben in den vergangenen Jahren, als es nicht so gut gelaufen ist, zu viele Personen ausgetauscht."

Die Frage ist, wie lang die Bosse bei Fiat wirklich Geduld mit dem 22. Teamchef der Scuderia haben. Das dürfte sich schon nach dem 1000. Grand Prix von Ferrari am kommenden Wochenende im toskanischen Mugello weisen.

Die Stellenbeschreibung für den Chefposten der Gestione Sportiva fordert neben allem fachlichen Wissen vor allem eine Qualifikation, die es nicht zu lernen gibt: Charisma. Es ist der unverzichtbare Treibstoff, um ein Formel-1-Team zu führen, das eigenen Gesetzen gehorcht.

Um das Erbe von Enzo Ferrari an der Rennstrecke erfolgreich zu verwalten, dazu muss man aus einem Holz wie Luca di Montezemolo oder Jean Todt geschnitzt sein, die erfolgreichsten unter den vielen schillernden Ferrari-Managern. Zu dem System, das Mitte der Neunziger um Michael Schumacher als Vollstrecker aufgebaut wurde, zählte auch der junge Motoreningenieur Binotto. Die Strategie damals kam vom Franzosen Jean Todt, der sich als Rallye-Beifahrer einen Namen gemacht hatte, die Technik vom Briten Ross Brawn. Todt, der absolute Macht-Mensch und heutige Präsident des Automobilweltverbandes FIA, konnte delegieren - und durchgreifen. In einer der ersten Amtshandlungen in Maranello hatte er den Rotwein in der Kantine verbieten lassen - damit waren die Positionen klar - vor allem seine.

Luca die Montezemolo ist der einzige, der Kritik übt aus dem verschworenen Kreis bei Ferrari

Alle werden natürlich an Firmengründer Enzo Ferrari gemessen, der 1929 die Scuderia gründete und bis zu seinem Tod 1988 alle Männer an der Boxenmauer überschattete. Berufsbezeichnung: Commendatore. Niemand ist größer als die Marke, nur die zählt. Die Marke war er. Mit seinem Vermächtnis hat er auch eine Art Dienstanweisung für die Rennstallführung hinterlassen: "Ich weiß nicht, was mehr zählt, Erfolg oder Ausdauer. Ich war nie ein Konstrukteur oder ein berechnender Mensch, sondern ein Agitator für die Menschen. Manchmal bin ich zu weit gegangen, aber wenn ich das nicht getan hätte, wäre Ferrari nicht das, was es ist."

Einzig Luca die Montezemolo, Italiens Vorzeigemanager, konnte sich 1975 vom Alten emanzipieren und zehn titellosen Ferrari-Jahren mit dem Triumph von Niki Lauda ein Ende setzen. Der Markgraf wurde von Enzo Ferrari als Ziehsohn adoptiert und später dann Präsident des Sportwagenherstellers. Er war derjenige, der Schumacher und Todt verpflichtete - und ist heute der einzige, der öffentlich Kritik übt aus dem verschworenen Kreis der Roten.

Nach der erfolgreichsten Ära der Formel-1-Geschichte (bis Mercedes kam) basierte die Personalpolitik auf den Geburtsurkunden, ein italienisches Nationalteam sollte noch mehr Ruhm und Stolz sichern. Aber es ging eher rückwärts. Stefano Domenicali, von 2008 bis 2014 im Amt, war ein verträglicher Mann an der Spitze, am Ende aber zu schwach. Nachfolger Marco Mattiacci hielt sich nur ein Jahr, er wurde eiligst aus New York eingeflogen, aber erfolgreich Autos zu verkaufen ist etwas anderes als erfolgreiche Rennwagen bauen zu lassen. Von ihm bleibt lediglich in Erinnerung, dass er sogar bei Regenwetter eine dunkle Sonnenbrille trug.

Maurizio Arrivabene, ein Marlboro- Manager, der auch das Wohlwollen der Besitzerfamilie Agnelli besaß, war der große Motivator - aber das schliff sich schnell ab, auch in einem internen Konkurrenzkampf - gegen seinen Co-Chef, den Techniker Binotto. Der übernahm. Und übernahm sich dabei vielleicht.

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