Die Konstellation bot sich natürlich geradezu an für diese Frage. Auf dem weißen Sofa, das für die Pressekonferenz auf dem Podium aufgebaut wurde, saßen diesmal neben Nico Hülkenberg noch Lewis Hamilton und Charles Leclerc. Diese Woche gastiert die Formel 1 in Monza, Heimrennen für Ferrari also, jenem Rennstall, für den Leclerc seit 2019 und Hamilton ab 2025 fährt. Also, Herr Leclerc, irgendeine Art von Ratschlag für den künftigen Garagennachbarn, worauf es ankommt, wenn man zur stolzen Scuderia gehört?
„Es ist definitiv sehr, sehr besonders, für Ferrari in Monza zu fahren. Es ist ikonisch“, sagte Leclerc. In Italien seien die Unterstützung und die Leidenschaft der Fans besonders zu spüren. Wahnsinn sei das, allein morgens aus dem Hotel raus- und abends wieder reinzukommen, sei eine Herausforderung. Tatsächlich wird das Hotel de la Ville, wo einige Fahrer traditionell einchecken, am anderen Ende des Parks rund um seinen hohen Zaun regelrecht belagert von Fans. „Nächstes Jahr“, sagte Leclerc, „werden wir das gemeinsam erleben.“ Dann ein Lächeln von beiden, die Vorfreude war schon deutlich zu sehen.
Selbst die Optik stimmte unabgesprochen. Hamilton saß da im schwarzen Shirt, eine der Teamfarben von Mercedes. Und weil Ferrari sich für den Besuch zu Hause etwas Besonderes hat einfallen lassen, trug auch Leclerc ein schwarzes Oberteil, im Karbon-Spezialdesign. Nächste Saison dann beide in Rot, auf diesen Farbwechsel von Hamilton konnten sich die Tifosi seit der Bekanntgabe des Transfers Anfang Februar einstellen – und der 39-Jährige ahnt umgekehrt, wie sich das dann anfühlen wird, dieses besondere Gefühl, von dem Leclerc schwärmte. „Es gibt nicht viele Orte, die so etwas zu bieten haben“, sagte Hamilton zur Atmosphäre in Italien. Hier zu sein, seit klar ist, dass er für Ferrari fahren wird, „fühlt sich definitiv anders an“.
Die Strecke in Monza mit den langen Geraden müsste Ferrari liegen
Einige Autogrammwünsche hat er abgelehnt, sagte Hamilton. Aber ein paar Mützen, auf denen kein Stern, sondern ein Pferd vorn eingestickt war, sind schon mit der Unterschrift des siebenmaligen Weltmeisters aufgewertet worden. Die Zahl dürfte dieses Wochenende steigen. Auf dem Weg zur Strecke ist das Rennen längst entschieden, der Königliche Park wird in den nächsten Tagen rund um den Autodromo Nazionale zum Wimmelbild von roter Kleidung, dazu Flaggen mit dem cavallino rampante auf gelbem Wappen. Heimrennen Nummer eins in Imola markierte im Mai den Auftakt in die Europa-Saison, jetzt beendet Monza mit dem schnellsten Grand Prix des Jahres die Tour auf diesem Kontinent. Und vielleicht wird der Temple of Speed, die Kathedrale der Geschwindigkeit, wie sie den Kurs nennen, am Wochenende sogar zu einem Temple of Party. Darauf hoffen die Roten zumindest.
Mit ihren langen Geraden müsste die Strecke dem SF-24 liegen, wie auch die darauffolgenden Stopps in Baku und Singapur. Vergangene Saison kam hier stets ein Ferrari-Fahrer aufs Podium, der andere landete unter den besten Fünf, mit dem Höhepunkt in Singapur, als Carlos Sainz gewann. 2023 räumten sich Leclerc und Polesetter Sainz in Monza zwar beinahe selbst ab, und am Ende durchkreuzte Max Verstappen mit seiner historischen Siegesserie die Feierpläne der Tifosi. Zuletzt gewann hier 2019 ein Ferrari-Pilot, Leclerc, viel zu lange her. Doch die Scuderia ist mit einem unerwarteten Selbstvertrauens-Boost aus den Niederlanden angereist, was sie an ihre starke Form im Frühjahr erinnert haben dürfte. Auf der Strecke von Zandvoort, kein Ferrari-Liebling, kam Leclerc von Platz sechs auf Platz drei, Sainz begann als Zehnter und wurde Fünfter – dank guter Starts, einer cleveren Taktik und einem schonenden Umgang mit den Reifen. Das war nach durchwachsenen Tagen so unerwartet gut, dass selbst das Team rätselte. „Wir haben gesagt, dass wir ein Wunder brauchen“, sagte Leclerc: „Und genau das ist eingetreten.“
Und jetzt, eine Wiederholung eines Wunders? Ausgerechnet in Monza? Dafür müssen sie bei Ferrari zunächst verstehen, warum es nach der Sommerpause so gut lief – und wieder etwas wagen. Teamchef Frederic Vasseur hat sich genau das vorgenommen, die Risikobereitschaft der Scuderia zu steigern. Er will für den Erfolg auch die Kultur des Traditionsrennstalls ändern, etwas wegkommen davon, dass Leidenschaft und Emotionen bisweilen verhindern, einen kühlen Kopf zu bewahren. In Melbourne (Sainz) und Monaco (Leclerc) wurde das mit Siegen belohnt – und nun soll auch ein Upgrade helfen. Ferrari sucht die Geschwindigkeit.
Ferrari will in dieser Saison besser werden – und 2025 wieder angreifen
Was genau gemacht wurde, darauf wollte Leclerc nicht eingehen und eine gewisse Zurückhaltung war ihm anzumerken, nachdem die Veränderungen beim letzten Heimrennen nicht geholfen hatten. Im ersten Saisondrittel konnte sich Ferrari als erster Verfolger der Weltmeister von Red Bull positionieren, mit dem Imola-Paket kamen die Schwierigkeiten. Die Italiener verloren Zeit bei der Analyse der Probleme und beim Experimentieren, in der Zwischenzeit ist McLaren nach vorn gerauscht. Die 22,9 Sekunden Vorsprung von Rennsieger Lando Norris in Zandvoort vor Verstappen waren eine Machtdemonstration McLarens; die Spannung ist zurück. Rein rechnerisch könnte Norris dem Titelverteidiger seine vierte WM-Krone in Serie noch wegschnappen. 70 Punkte fehlen ihm auf Verstappen.
Aber ein starkes Auto allein reicht nicht, auch auf die Nerven kommt es an und da gab Norris erstaunlich offen Einblick: „Ich esse fast nichts an den Sonntagen, ich tue mir auch schwer, etwas zu trinken“, sagte der Fahrer der Stunde: „Einfach wegen der Nervosität und dem Druck.“
In der Konstrukteurs-WM hat McLaren nur 30 Zähler weniger gesammelt als Red Bull, Ferrari liegt wiederum 34 Punkte hinter McLaren. Neun Grand Prix stehen noch aus bis zum Saisonfinale Anfang Dezember in Abu Dhabi, für die Scuderia dürfte es zweimal auf Platz drei hinauslaufen. Aber der Blick geht in die Zukunft. In dieser Saison besser zu werden, legt die Grundlage für 2025. Im letzten Jahr vor der Regeländerung soll mit Charles Leclerc und Lewis Hamilton endlich der Erfolg zurückkommen. Aber sie hätten natürlich nichts dagegen, wenn Monza schon einen Vorgeschmack darauf gibt.