Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Massive Front gegen Ferrari

Lesezeit: 3 min

Von Elmar Brümmer, Melbourne

Ping. Ping. Ping. Ping. Ping. Ping. Ping. Die Fanfare zur neuen Grand-Prix-Saison ist gut eine Woche vor dem geplanten Saisonstart in Australien ein siebenfaches Nachrichtensignal auf dem Mobiltelefon. Zwischen 10.59 und 11.03 Uhr haben am Mittwoch alle sieben Rennställe ohne italienische Motoren im Heck gegen die Abschlusserklärung des Automobilweltverbandes Fia und das darin formulierte Stillschweigen zu den vermeintlichen Unregelmäßigkeiten am Antriebsstrang von Ferrari scharf protestiert. Die Mehrheit der Formel 1 macht damit Front gegen Ferrari, so massiv wie selten zuvor.

Der interne Streit ist öffentlich eskaliert. "Überrascht und schockiert" geben sich die Teamchefs in dem von jedem einzelnen Rennstall separat versendeten Statement darüber, dass die Sportbehörde den Ausgang der Ermittlungen verschweigt: "Wir lehnen das entschieden ab." Außerdem wird den Funktionären vorgeworfen, überhaupt nur aufgrund von Fragen anderer Teams zu der wundersamen Leistungssteigerung des Hybrid-Turbos aus Maranello im vergangenen Herbst tätig geworden zu sein. Umso mehr fordern sie jetzt Aufklärung.

Mit dieser in der Egoisten-Rennserie seltenen Einigkeit dokumentiert die Mehrheit der Teilnehmer (die Ferrari-Kundenteams Alfa Romeo und Haas gehörten nicht zu den Unterzeichnern), dass die Sache nicht im Sande verlaufen soll. Man will einen möglichen Skandal publik machen. Vier Monate ermittelte die Fia, nachdem die technischen Kommissare beim vorletzten Saisonrennen in São Paulo Benzinsysteme aus den roten Rennwagen ausgebaut und konfisziert hatten. Die Gerüchte über eine Manipulation der Durchflussmengenmessung hielten sich schon seit dem Spätherbst. Wer mehr Benzin als die erlaubten 100 Kilogramm pro Stunde verbrennen kann, steigert die Leistung erheblich.

Ein Kuhhandel zwischen Fia und Ferrari?

Ohne von einer Verurteilung zu sprechen, hatte die Aufsichtsbehörde in einer dürren Presseinformation mitgeteilt, dass Ferrari künftig die Forschung von synthetischen Kraftstoffen unterstützen werde, was sicherlich eine ordentliche Millionensumme kostet. Ein Teil des Deals offenbart auch den Kampf mit ungleichen Waffen zwischen Wettbewerbshütern und den Teilnehmern: Die Fia besitzt keine eigenen Prüfstände, kann also Manipulationen nicht durch eigene Simulation nachweisen. Deswegen ist Teil der Bestrafung, die offiziell ja keine Strafe sein soll, dass Ferrari den Kommissaren bei der Fahndung nach möglichen Mogeleien künftig hilft.

Die Insider von auto motor und sport sprachen daraufhin von der "vielleicht seltsamsten Pressemitteilung in der Geschichte der Formel 1", und lieferten gleich die Begründung mit: "Die Fia wollte der Motorsportwelt etwas mitteilen, was man lieber verschwiegen hätte. Man konnte es aber nicht ganz unter den Teppich kehren, weil zu viele davon wussten." In einem Wort: ein Kuhhandel. Bei den Testfahrten in Barcelona, zu deren Abschluss das Bulletin veröffentlich worden war, begann es bereits bei der Konkurrenz heftig zu brodeln. Das gemeinsame Kommuniqué ist das wohl formulierte Resultat, hinter dem sich die ganze Wut auf eine neuerliche Lex Ferrari verbirgt. Das wird entscheidenden Einfluss auf die Tonalität der bevorstehenden Saison haben - es wird rauer, ungemütlicher, vielleicht auch persönlicher.

"Wir erklären hiermit öffentlich unsere gemeinsame Verpflichtung, in dieser Angelegenheit eine vollständige und ordnungsgemäße Offenlegung anzustreben, um sicherzustellen, dass in unserem Sport alle Konkurrenten fair und gleich behandelt werden. Wir tun dies im Namen der Fans, der Teilnehmer und der Interessenvertreter der Formel 1", teilten die Rennställe von Mercedes, Renault, Red Bull Racing, McLaren, Alpha Tauri, Racing Point und Williams mit. Darüber hinaus behalte man sich das Recht vor, im Rahmen des ordnungsgemäßen Verfahrens der Fia und vor den zuständigen Gerichten Rechtsmittel einzulegen.

Die sieben Teams haben das in solchen Fällen branchenübliche Schweigegelübde gebrochen, das ist das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Causa. Denn am Ende ist jeder von jedem in der Formel 1 abhängig, und die Formel 1 als Ganzes besonders von Ferrari. Sebastian Vettels Teams fährt in dieser Saison sein 1000. Rennen, niemand ist sonst so lange dabei. Die über die wirtschaftlichen Verflechtungen bei der Gewinnausschüttung stets erzwungene Solidarität ist jetzt zerbröckelt. Das lässt den Schluss zu, dass die Unregelmäßigkeiten, von denen die Techniker der Konkurrenz schon früh Wind bekommen hatten, wohl sehr massiv gewesen sein müssen.

Die allergrößte Strafe für Ferrari

Daraus erwächst dann, im Zusammenspiel mit dem Ärger über eine ausgebliebene offizielle Bestrafung und das vereinbarte Stillschweigen durch den Weltverband umgehend eigene Begehr. Würden Ferrari auf dem Rechtsweg nachträglich Punkte aberkannt, würde das auch Prämien kosten - in Summe könnte so ein zweistelliger Millionenbetrag zusammenkommen, von dem dann wieder die anderen profitieren würden. Kommerzieller Rechtehalter ist aber die Formula 1 Group, die dem US-amerikanischen Konzern Liberty Media gehört. Dort wird man alles andere erfreut über das Zerwürfnis vor einem wegen der Auswirkungen des Coronavirus ohnehin schon wackligen Saisonstarts sein - auch wenn man mit der Rechtssprechung durch die Fia offiziell nichts zu tun hat. Für die Betreiber des Sports - ob Manager oder Funktionär - gilt jedoch eine ähnliche Abhängigkeit wie unter den Rennställen.

Bei den Tests vergangene Woche fehlte Ferrari eine gute halbe Sekunde pro Runde auf die Konkurrenz. Das ist für die meisten Beobachter der Beweis, dass Ferrari im Motorenbereich nicht nur zurück-, sondern komplett umrüsten musste - innerhalb eines knappen Vierteljahres. Ein enormer technischer, personeller, finanzieller Aufwand. Das ist die wahre und vermutlich allergrößte Strafe.

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SZ vom 05.03.2020
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