Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Düsterer Auftakt

Nach dem vierten Platz von Sebastian Vettel in Melbourne rätselt das Ferrari-Team, warum das Auto so viel langsamer war als die siegreichen Mercedes.

Von Philipp Schneider, Melbourne

Vorne links, gleich neben der Eingangstüre des Motorhomes der Scuderia Ferrari in Melbourne, sozusagen im Vorgarten, haben die Italiener eine Kaffeebar eingerichtet. Ein roter Tisch, oben drauf eine Kaffeemaschine. So gehört sich das für ein italienisches Traditionsunternehmen. Am frühen Sonntagabend - das erste Rennen der Saison war seit einer Stunde vorbei - bot sich dem Betrachter ein idyllisches Bild. Die tief stehende Sonne schien von der Seite und tauchte das Kaffeearrangement von Ferrari in ein sattes Orange. Mattia Binotto, seit diesem Winter Teamchef bei Ferrari, tänzelte hinter der Kaffeebar vom linken Bein aufs rechte, in seiner Hand eine Tasse, er lächelte, scherzte und plauderte mit der blonden Mitarbeiterin, die ihm offensichtlich einen ganz hervorragenden Espresso serviert hatte.

War etwas gewesen? Waren Sebastian Vettel und Ferrari beim Saisonauftakt in Melbourne nicht soeben vorgeführt worden von Mercedes? Hatte Vettel nicht das Podium verpasst und als Vierter fast eine Minute Rückstand auf den Überraschungssieger Valtteri Bottas? Dazu 37 Sekunden Rückstand auf den Zweiten, Lewis Hamilton. Und, was noch erstaunlicher war: fast 35 Sekunden Rückstand auf den Drittplatzierten Max Verstappen im Red Bull.

Dem stets gutmütigen Bottas entfährt ein ungewöhnlich deftiger Funkspruch

Mag sein, Binotto pflegt eine etwas entspanntere Einstellung zum Leben als sein Vorgänger Maurizio Arrivabene. Wenn Arrivabene solche Niederlagen erlebte wie jene, die Ferrari am Sonntag widerfuhr, hatte er sich danach entweder völlig zurückgezogen oder ein Gesicht zur Schau getragen, das in Außenstehenden den Verdacht aufkommen ließ, er habe gerade von seiner Entlassung erfahren. Wobei diese Niederlage am Sonntag in Wahrheit sogar noch schwerer wog als alles, was Arrivabene zumindest im Vorjahr erlebt hatte bei Ferrari. So einen fatalistischen Funkspruch, wie ihn Vettel gegen Ende des Rennens abgesetzt hatte, gab es jedenfalls zuvor nicht zu hören. "Warum sind wir so langsam?", fragte Vettel. "Wir wissen es im Moment nicht", antwortete seine Crew. Sie wussten es auch zwei Stunde später noch nicht.

"Sie haben Recht. Wir haben das heute anders erwartet", sagte Binotto, nachdem er seinen Espresso getrunken hatte und die Pressekonferenz begann: "Wir haben vom ersten Training an nie die richtige Balance gefunden. Warum, das haben wir noch nicht verstanden. Wir müssen das erst analysieren." Aber eines sei völlig klar, versprach Binotto: "Was wir heute gesehen haben, das war nicht das wirkliche Potenzial unserer Autos." Dabei blickte er überaus freundlich in die Runde.

Nun, mal so gesagt: Entspräche das, was am Sonntag zu beobachten war, dem wirklichen Potenzial des neuen Ferraris, so könnte der Weltverband Fia die zwei relevanten Weltmeisterpokale gleich nach Brackley zu Mercedes schicken. 2,4 Sekunden langsamer war Vettels schnellste Runde im Vergleich zu der von Bottas, zeitweise hatte sich Vettels Rückstand bei jeder Umdrehung um 1,2 Sekunden erhöht. "Es gibt viele Gründe, natürlich sind wir am Schauen", sagte Vettel: "Ich hatte im letzten Drittel unheimlich Probleme mit den Reifen. Die waren am Ende zerstört. Ich habe dann nur noch probiert, das Auto nach Hause zu bringen. Die anderen haben offensichtlich das Problem nicht gehabt, also haben wir irgendwas verpasst."

Das Rennen in Melbourne war ein in vielerlei Hinsicht erstaunliches Rennen. Schon der Start war ungewöhnlich. Die Lichter der Ampel erloschen nach für manche überraschend kurzer Zeit. Hamilton, der von der Pole Position losfuhr, nachdem er in der Qualifikation sieben Zehntelsekunden schneller gewesen war als der Drittplatzierte Vettel, kam nicht gut weg und verlor noch vor der ersten Kurve die Führung an Bottas, die dieser bis zum Rennende behauptete. Und offenbar hatte sich etwas aufgestaut im Gemüt des stets höflichen und gutmütigen Finnen. Als er seinen vierten Grand Prix, den ersten seit November 2017, gewonnen hatte, entfuhr ihm ein ungewöhnlich deftiger Funkspruch: "Fuck you! To whom it may concern!" Frei übersetzt: Diejenigen Kritiker, die sich nun angesprochen fühlten, sollen wissen, dass die Kritik unberechtigt gewesen sei.

Vettel fuhr als erster Fahrer aus der Spitzengruppe zum Reifenwechsel, Mercedes reagierte aber schnell, holte gleich danach Hamilton rein. Bottas blieb draußen, fuhr aber auch auf den alten Gummis zwischenzeitig sogar die schnellsten Rennrunden. Unter Druck setzen konnte Vettel Hamilton auch nach dem Reifenwechsel nicht, obwohl der fünfmalige Weltmeister zeitweise viel langsamer fuhr als sein Teamkollege Bottas. Der Grund hierfür seien seine abgefahrenen Reifen, klagte er öffentlich über Funk. "Ich weiß nicht, was Lewis da gemacht hat. Vielleicht war er gelangweilt, weil er den Start verloren hatte", vermutete dagegen Vettel später. Möglich wäre es.

Es kam noch bitterer für Vettel. Erst musste er sich in der 31. Runde von Verstappen überholen lassen, der seinen Heckflügels flach stellen durfte und mühelos an ihm vorbeiflog - ehe wenige Runden vor Schluss auch Teamkollege Charles Leclerc, der zwei Startplätze hinter ihm losgerollt war, zu ihm aufgeschlossen hatte. Nun durfte man gespannt sein: Würde Leclerc versuchen zu überholen? Er tat es nicht. Binotto erklärte später, er habe die Weisung ausgegeben, beide Autos unversehrt ins Ziel zu bringen. "Ich wusste, dass er schneller ist, unter normalen Umständen wäre er durchgegangen, ich hätte nicht dagegenhalten können. Den Speed hatte er", gab Vettel ehrlich zu. Und jetzt?

Jetzt gibt es zwei Erklärungsansätze für den düsteren Saisonauftakt der Scuderia. Entweder Ferrari hatte ein im Grunde schnelles Autos sehr schlecht eingestellt auf die speziellen Bedingungen des Stadtparkkurses in Melbourne. Oder aber: Der Ferrari ist grundsätzlich langsamer als Mercedes.

Es ist vor allem der Vergleich mit der Vorsaison, der Vettel nachdenklich stimmt. 2018 hatte Ferrari schon bei den Tests in Barcelona über Probleme klagt, die sie dann mit nach Melbourne schleppten. Das Rennen in Australien gewann Vettel lediglich, weil sich Mercedes spektakulär verrechnete bei einem von Hamiltons Boxenstopps - und dieser sich anschließend zu seiner Verwunderung hinter Vettel einsortieren musste. Erst beim nächsten Grand Prix in Bahrain hätten sie das Auto verstanden. In diesem Jahr dagegen hat sich der Ferrari schon in Barcelona ganz wunderbar angefühlt, das berichtete Vettel am Sonntag noch einmal. Und dann in Melbourne aber gar nicht mehr.

"Wie stark wir in Barcelona wirklich waren, werden wir vielleicht niemals erfahren", sagt Vettel. "Wir wissen nur, dass wir ein gutes Gefühl hatten." Er muss nun daran glauben, dass es kein trügerisches war.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2019
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