Formel 1:Der menschliche Faktor

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Nachdenklich und ein bisschen angegriffen: Lewis Hamilton kam beim Rennen in Monza schlecht weg. (Foto: Mark Thompson/Getty)

Mercedes bleibt überlegen, aber die seltsamen Startfehler der Fahrer reißen nicht ab. An der grundsätzlichen Überlegenheit des Rennstalls, das war in Monza zu sehen, ändert das aber nichts.

Von Elmar Brümmer, Monza

Es gibt Formel-1-Rennen, die verlaufen ganz klar - und bleiben hinterher dennoch offene Fragen. Der Große Preis von Italien war so ein Rennen. Nach dem verkorksten Start von Lewis Hamilton gab es kaum einen Zweifel, dass Nico Rosberg seinen siebten Saisonsieg einfahren würde. Die Überlegenheit von Mercedes ist so groß, dass am Ende auch der zweite Platz des nach dem Start auf Rang sechs zurückgefallenen Hamilton keinen überraschte. Allein die Tatsache, dass der menschliche Faktor das Wettrennen der Maschinen längst stärker beeinflusst, als es den Strategen lieb ist, führt zu Ungereimtheiten.

Mercedesfahren könnte so schön sein in der Formel 1, wenn der Start nicht wäre. Zu der Schwierigkeit, den richtigen Punkt zwischen zu wenig und zu viel Momentum zu treffen, kommt mittlerweile die Angst vor dem Prozedere. Nico Rosberg, der jetzt noch zwei Punkte hinter Hamilton in der WM liegt, hatte so seinen Vorsprung verloren. In Monza lief es genau umgekehrt.

Lässt die Kupplung die Fahrer im Stich - oder liegt die Schuld bei den beiden Piloten?

Und in diesem Punkt unterscheidet sich auch - mal wieder - die Meinung der beiden Titelrivalen. Rosberg findet, dass der Fahrer wichtiger geworden ist, für Hamilton ist das Gegenteil der Fall. Das Klischee des gründlichen Deutschen und des lässigen Briten wird neuerdings nicht nur von außen zur Definition der Rollen im WM-Kampf bemüht, es markiert auch intern die unterschiedlichen Rennfahrercharaktere. Festgemacht an einem Schalthebel. Schon im nächsten Rennen in Singapur kann das Zittern aber wieder wechseln.

Toto Wolff, als Mercedes-Sportchef qua Amt der Schlichter, ist daher unentschieden: "Der Prozess muss in diesem Jahr stärker manuell durchgeführt werden, was zu mehr Abwechslung führt. Genau das haben wir in Monza erlebt." Aber der Österreicher ist vorsichtig mit der Bewertung, obwohl Hamilton sofort über Funk die Schuld auf sich genommen hatte: "Wenn man aus der ersten Reihe ins Rennen geht, sind schlechte Starts leichter zu erkennen. Gute hingegen weniger. Deshalb dürfen wir keine voreiligen Schlüsse ziehen." Hamilton sagt, er habe bei der Prozedur nichts anders gemacht als sonst, "unsere Kupplung arbeitet einfach nicht konstant". Die WM wird bei aller Dominanz von Mercedes über Nuancen entschieden. Die Londoner Times, Hausblatt des Champions, setzt die verkorkste Anfangsphase ebenfalls ins Verhältnis: "Hamilton ist möglicherweise einer der Größten, die wir je gesehen haben. Doch selbst Superman hatte eine Schwäche: Kryptonit. Hamiltons schwacher Punkt ist die bedeutsame Startphase. Dreimal in dieser Saison vermasselte er auf der Pole den Start und vergab den Sieg an seinen Teamkollegen."

An der grundsätzlichen Überlegenheit, das ist die wahre Botschaft von Monza, ist derzeit kaum zu rütteln: Selbst bei Aufholjagden, die der Konkurrenz vorbehalten bleiben sollten, setzt Mercedes die Maßstäbe. Und wenn Rosberg sagt, dass Hamiltons Leistungen die größte Inspiration für sein spätsommerliches Hoch sind, dann gehört auch das zur erfolgreichen Selbstzentrierung. Zum Ende der Europasaison und bei sieben noch ausstehenden Rennen gilt die Frage der perfekten Saison: Werden die Sternfahrer, die sich die 14 Siege bisher geteilt haben, am Ende alle 21 Grand Prix unter sich ausgemacht haben?

Den nächsten Verfolgern bleiben schon jetzt neben dem Gedanken an das neue Reglement 2017 nur die Kampfansagen. Der dritte Platz von Sebastian Vettel war Balsam für die Seele - die des capitano, des Teams und der Ferraristi. Aber am Morgen danach kommen wieder die Zweifel, ob das Heimrennen tatsächlich derart positiv zu bewerten ist. "Es geht in die richtige Richtung", behauptet der viertplatzierte Kimi Räikkönen, "wir müssen jetzt aber in Singapur in zwei Wochen zeigen, dass wir diese Position mindestens halten können."

Die Frage der Ehre soll den Endspurt in dieser Saison beschleunigen. Zwar konnte man den Rückstand gegenüber Red Bull Racing auf elf Punkte halbieren, aber es ist eben immer noch ein dritter Platz in der Konstrukteurs-WM und nicht die Mindestanforderung von Rang zwei. Deshalb hat Teamchef Maurizio Arrivabene angesichts der Publikumseuphorie vom Sonntag jetzt auch entschieden, das Rennjahr doch noch nicht ganz aufzugeben, wie es zuletzt der strategische Plan war. "Wenn du bei Ferrari arbeitest, darfst du nicht aufgeben. Von uns erwartet man, dass bis zum Ende gekämpft wird."

Das zweite Verfolgerteam, Red Bull Racing, hat sein schwerstes Rennen gut über die Runden gebracht. Auf der Motoren-Strecke Monza wusste man um den PS-Nachteil, zudem gab es keine Kurven, in denen das Auto seine Wendigkeit unter Beweis stellen konnte. Weshalb Teamchef Christian Horner seine positive Prognose auf eine geografische Basis stellt: "Monza war unsere schlimmste Strecke. Jetzt kommen mit Singapur, Sepang, Suzuka und Mexiko jene Pisten, die uns liegen." Auch die Briten befinden sich schon im Basislager für 2017, suchen aber jede Chance, die großen Gegner zu verunsichern. Sogar das Benzin wird für den anstehenden Stadt-Grand-Prix in Südostasien neu gemischt. Die Formel 1 bleibt nicht nur an der Spitze eine Mischung aus Ratio und Radikalismus. Im Idealfall vereinen sich die Gegensätze.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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