Formel 1:Der Fluch von Hockenheim

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Abgeschleppt: Sebastian Vettels Ferrari wird über die Bande gehoben. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)
  • Sebastian Vettel liegt beim Heim-Grand-Prix auf dem Hockenheimring in Führung - dann fährt er in die Bande.
  • Lewis Hamilton gewinnt dankt einer Aufholjagd vor seinem Teamkollegen Valtteri Bottas.
  • Der Brite übernimmt damit auch wieder die Führung in der WM-Gesamtwertung.

Von Philipp Schneider, Hockenheim

Die Kamera fing den wütenden Fahrer ein, der dort nun im Kies gefangen war mit seinem Wagen. Vor sich, gerade mal zwei Meter entfernt, sah der wütende Fahrer die Werbebande eines Paketversenders, in die er die Spitze seines Wagens gebohrt hatte. Der Fahrer wusste, dass ihm das nicht hätte passieren dürfen. Er wusste, dass er sich nicht hätte verbremsen dürfen in der Sachskurve am Hockenheimring. Klar, es hatte geregnet, endlich, ganz am Ende dieses lange Zeit so langweiligen Rennens, und der Fahrer in der Werbebande hatte noch Trockenreifen am Auto gehabt. Aber das hatten auch fast alle anderen Fahrer. Also war Sebastian Vettel außer sich vor Wut. Er hämmerte mit seinen Fäusten aufs Lenkrad, immer und immer wieder. Vettel hatte den sicheren Sieg verschenkt, 15 Runden vor Schluss. Verfluchter Hockenheimring! Noch nie hat Vettel hier gewinnen können. Und das hier war auch noch der vorerst letzte Grand Prix in der Kurpfalz für absehbare Zeit. "Es war ein kleiner Fehler mit großer Auswirkung", sagte Vettel. Das war eine Untertreibung.

Hamilton war eigentlich fast aussichtslos ins Rennen gestartet

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Es gibt Rennen in der Formel 1, da passiert erst gar nichts, und dann bricht plötzlich die Welt zusammen. Aus Vettels Sicht geschah genau das. Das Safety Car rückte aus nach seinem Unfall, also nutzten einige Fahrer die Chance, sich neue Reifen aufzuziehen. Valtteri Bottas hielt, Lewis Hamilton war schon auf dem Weg zur Box, entschied sich aber kurzfristig dagegen, passierte die Grenze zwischen Boxengasseneinfahrt und Rennstrecke, was eigentlich verboten ist, - übernahm die Führung und gewann das Rennen. Sein Manöver wurde untersucht, doch er erhielt nur eine Verwarnung. Mit acht Punkten Vorsprung in der Gesamtwertung war Vettel nach Hockenheim gereist. Jetzt ist Hamilton wieder vorne mit 17 Zählern. Die Führung wechselt in dieser wilden Saison permanent. Und Hamilton war eigentlich aussichtslos gestartet in diesen Grand Prix.

Während des Qualifyings war Hamilton neben seinem Rennwagen auf die Knie gegangen. Kopf und Helm hingen herab, als wiege der Helm tausend Tonnen. Der ganze Rennfahrer sah aus wie ein Grashalm, der seine Spitze in Richtung Erdboden neigt, weil der Wind zu heftig weht. Besorgniserregend war vor allem, dass Hamilton minutenlang in dieser Pose verharrte. Es sah aus, als würde er Abschied nehmen. Von der einst legendären Zuverlässigkeit seines Mercedes. Von einem möglichen Rennsieg in Hockenheim. Vielleicht sogar, so traurig sah er jedenfalls aus, vom fünften Weltmeistertitel seiner Karriere am Ende dieser Saison.

Gleich im ersten Durchgang der Qualifikation war er nach einem Hydraulikschaden ausgerollt, den er wahrscheinlich nicht zu verantworten hatte. Präziser: Er hatte selbst ausgerollt. Er war aus dem Auto gesprungen und hatte seinen Mercedes geschoben. In Richtung Box. Obwohl er wissen musste, dass das Reglement vorschreibt, dass die Qualifikation für einen Fahrer beendet ist, sobald er liegen geblieben ist. "Mein erster Gedanke war, als der Wagen ausrollte", sagte er: "Ich muss es irgendwie zurück an die Box schaffen. Daher begann ich zu schieben. Ich wollte nicht aufgeben. Aber dann wurde klar: So geht das nicht." Nein, so ging das nicht. Aber Hamilton hatte gedacht, dass es geht, obwohl es nicht ging. Es gab Zeiten, da wusste der Weltmeister immer, wie es geht.

Einen Tag später ging der Regen nieder über Hockenheim, Hamilton dankte Gott und nannte den Regen tatsächlich einen "biblischen Sturm", weil er ihm half, als er in Not war. "Auch nach so vielen Jahren als Rennfahrer weiß man nie, wann das Rennen kommt, das so gut wie dein bestes ist." Wie im Rausch hatte Vettel am Samstag die schnellste Runde rausgefahren, im letzten Versuch. Von ganz vorne ging er ins Rennen, 13 Positionen vor Hamilton. "Diesmal haben wir nur einen Fahrer vorne, der andere kommt von hinten, vielleicht hilft das Wetter", sagte Wolff. Düstere Wolken türmten sich am Horizont, eine Art Drohung für alle. Und dann half das Wetter vor allem Hamilton. Weil nur Vettel ausglitt.

Unverändert bog das Feld nach dem Start um die ersten Kurven, Vettel vor Valtteri Bottas im zweiten Mercedes und Kimi Räikkönen im zweiten Ferrari, dahinter folgte Verstappen. Er habe Regen auf dem Visier, meldete Räikkönen schon in der zweiten Runde. Woraus auch immer diese Tropfen bestanden, Regen war es nicht. Weiter hinten setzte Hamilton zur Jagd an. "Wie immer werde ich so fahren, als ob mein Leben davon abhinge", hatte er angekündigt. In Hockenheim tastete er sich vor. Nach drei Runden hatte er drei Plätze gut gemacht, vier nach vier. Nach zehn Umdrehungen lag Hamilton schon auf Rang sieben. Nach 14 Runden hielt Räikkönen als erster Fahrer aus der Spitzengruppe an der Box. Als er sich wieder einsortierte, lag er direkt vor Hamilton, der sich inzwischen auf Position fünf vorgerackert hatte. Wer nun dachte, Räikkönen würde von Ferrari angehalten, den Briten auszubremsen, der sah sich getäuscht. Vettel kam nach 25 Runden an die Box. Räikkönen hatte unterdessen so viel Zeit gutgemacht, dass er nach dem Halt vor Vettel blieb. "Es ist albern, wenn ich weiter hinter Kimi bleibe. Ich zerstöre meine Reifen und vergeude Zeit", funkte Vettel - und siehe da, schon ließ ihn Räikkönen vorbei. Daniel Ricciardo, der nach dem Tausch diverser Teile als Vorletzter ins Rennen gestartet war, ließ seinen Red Bull nach einem Defekt ausrollen. Hamilton, der als einziger Fahrer an der Spitze auch nach 33 von 67 Runden noch nicht gehalten hatte, lag nun als Dritter hinter den zwei Ferraris. Er rollte einfach weiter auf seinen gebrauchten Gummis, immer weiter, sein linker Hinterreifen zeigte die wildesten Blasenstrukturen, auch nach 40 Runden war er noch draußen. Offensichtlich wartete er auf den Regen.

Nach 42 Runden kam Hamilton an die Box, noch immer regnete es nicht, also ließ er sich Ultrasoft-Gummis aufziehen. Und er war gerade erst wieder auf der Strecke, da tröpfelte es. Gerade so wenig tröpfelte es, dass sich alle fragten: auf Intermediates wechseln - oder draußen bleiben?

Verstappen ließ sich als einziger Fahrer aus der Spitzengruppe die Reifen anschrauben, die Vorteile im Nassen bringen und Nachteile im Trockenen. 17 Runden vor Schluss fielen die ersten dicken Tropfen. Räikkönen verpasste die Linie, Bottas zog an ihm vorbei. Und dann glitt Vettel in die Bande. Zu Fuß lief er zurück an die Box. Kiesel flogen in die Luft, er schickte sie vor Wut mit dem Fuß auf die Reise.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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