Formel 1:Das Mercedes-Dilemma

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Bald Kollegen bei Mercedes? Der Finne Valtteri Bottas (rechts), derzeit noch beim Rennstall Williams unter Vertrag, und Lewis Hamilton vor dem Großen Preis von Australien 2015. (Foto: dpa)
  • Nach dem spontanen Rücktritt von Weltmeister Nico Rosberg sucht Mercedes in großer Eile einen Nachfolger.
  • Als künftiger Fahrer-Kollege von Lewis Hamilton wird der Finne Valtteri Bottas gehandelt.
  • Weil dramatische Regeländerungen zur neuen Saison anstehen, ist die Dominanz des Rennstalls in Gefahr.

Von René Hofmann, München

Wie schnell sich die Zeiten doch ändern. Noch nicht einmal drei Wochen ist es her, da stand Toto Wolff im Fahrerlager des Yas Marina Circuit in Abu Dhabi und ärgerte sich sehr über Lewis Hamilton. Der Weltmeister der Jahre 2008, 2014 und 2015 war im letzten Saisonrennen absichtlich langsam gefahren, um zu verhindern, dass sein Teamkollege Nico Rosberg Weltmeister des Jahres 2016 wurde. Hamiltons Kalkül: Rosberg in die Fänge der Verfolger zu treiben, um selbst den vierten Titel einzufahren.

Toto Wolff, dem Chef des Mercedes-Teams, hatte diese Taktik gar nicht gefallen. Weil er den Doppelerfolg für die Marke in Gefahr gesehen hatte, hatte der Österreicher während des Rennens strenge Funksprüche an Hamilton absetzen lassen und nach dem Rennen mit Konsequenzen gedroht. Er müsse sich in Ruhe überlegen, ob die internen Spielregeln geändert werden müssten, um das Team für die Zukunft wieder auszubalancieren, so Wolff in jener Nacht.

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Der Formel-1-Weltmeister erklärt seinen überraschenden Rücktritt - und schildert, wie belastend die Rivalität mit Lewis Hamilton für ihn war.

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Nun, davon ist inzwischen keine Rede mehr. Vor einigen Tagen richtete Wolff Hamilton quasi eine öffentliche Entschuldigung aus. Dem TV-Sender Sky sagte der 44-Jährige: "Wir hätten anders kommunizieren müssen. Im Nachhinein hätten wir sie so fahren lassen sollen, wie sie es selbst für angemessen halten." Konsequenzen? Ach was! "In der Hitze des Augenblicks", so Wolff, treffe man manchmal halt falsche Entscheidungen.

Nur wenig später veröffentlichten er und Hamilton noch ein Heimvideo, das die beiden in Wolffs Küche zeigte. "Ein fantastisches Meeting" hätten sie gerade gehabt, erzählte Wolff, und Hamilton ergänzte an die Fans gerichtet: "Wir wollten euch wissen lassen, dass wir nächstes Jahr weiter die stärkste Partnerschaft haben werden. Wir freuen uns sehr, erneut um die Weltmeisterschaft zu kämpfen." Vollgas also statt Vollstress! Ach, wenn die Welt doch wirklich so schön und so einfach wäre, wie sie bei Instagram oft wirkt . . .

Das mit der stärksten Partnerschaft ist in Wahrheit keineswegs ausgemacht. Der überraschende Rücktritt von Nico Rosberg nur fünf Tage nach seiner Krönung als Weltmeister hat das erfolgreichste Formel-1-Team der vergangenen drei Jahre in ein Dilemma gestürzt. In der kommenden Saison, die im März in Melbourne beginnt, ändern sich die Regeln dramatisch. Schon mit einer erfahrenen Fahrerpaarung wäre die Neuausrichtung eine Herkulesaufgabe gewesen. Nun aber muss die erschöpfte Mannschaft auch noch in aller Eile einen zweiten Fahrer finden.

Hinter der Annäherung zwischen Herd und Kühlschrank dürfte deshalb nichts anderes als simple Küchenpsychologie stecken: Einen weiteren Unsicherheitsfaktor in der Mannschaft dürfte Wolff auf keinen Fall gebrauchen können; ihm muss daran gelegen sein, Hamilton als Stabilitätsanker zu halten. Je länger es dauert, bis der zweite Fahrer verkündet wird - und laut einer Mitteilung des Teams am Donnerstag wird dies nicht vor dem 3. Januar geschehen - desto mehr Beschädigte dürfte es geben. Den ersten gibt es schon: Pascal Wehrlein.

Der 22-Jährige gehört zum Nachwuchsteam der Marke. 2015 errang er für sie den Gesamtsieg in der Tourenwagenserie DTM. 2016 stieg Wehrlein im wenig beachteten Manor-Team in die Formel 1 ein. Wenn Wehrlein so gut ist, wie Wolff oft behauptet hat, wäre er die logische erste Wahl für die Rosberg-Nachfolge. Wehrlein wird für 2017 zwar mit dem Schweizer Sauber-Team in Verbindung gebracht, offiziell verkündet aber wurde der Handel noch nicht. Offiziell ist Wehrlein zu haben, offiziell hat er fürs kommende Jahr überhaupt noch keinen Formel-1-Platz, und offiziell traut er sich das Duell mit Hamilton offenbar auch zu. "Ich fühle mich bereit für den Job", sagt er.

Dass er ihn nicht automatisch bekommt, dürfte auch an Niki Lauda, 67, liegen. Dem dreimaligen Weltmeister, dessen Wort als Chef des Aufsichtsrats des Teams viel zählt, bedeuten Konzern-Gepflogenheiten, Mitgliedschaften in Förderprogrammen oder Gewandtheit in der Außendarstellung wenig. Der Schnellste und Entschlossenste muss ins Auto - das ist schon Laudas Losung gewesen, als er 2012 Michael Schumacher die Türe wies, indem er Hamilton verpflichtete, als der siebenmalige Weltmeister mit der Vertragsverlängerung zu lange zögerte.

Schnell, ohne viel Tamtam zu veranstalten: Valtteri Bottas könnte ein Fahrer nach Laudas Geschmack sein. Der Finne glänzt seit vier Jahren immer mal wieder bei Williams. Das Problem: Er soll das dort eigentlich auch 2017 tun. So ist es vertraglich vereinbart. In dieser Woche nun berichtete die in derlei Details oft erstaunlich gut informierte BBC, Wolff sei mit einem Vorstoß bei Williams abgeblitzt. Die Idee, im Gegenzug für Bottas dem britischen Team rund die Hälfte der jährlichen Kosten für die Mercedes-Motoren zu erlassen, die rund zehn Millionen Euro betragen sollen, sei dort nicht wirklich auf Begeisterung gestoßen.

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Auch die Aussicht, als Ersatz für Bottas obendrein Wehrlein zu erhalten, soll die Mienen nicht aufgehellt haben. Als zweiten Fahrer hat Williams für 2017 den erst 18 Jahre alten Kanadier Lance Stroll engagiert, der sehr reiche Eltern hat. Er und Wehrlein - angeblich wäre das einem wichtigen Sponsor des Teams, der alkoholhaltige Getränke verkauft, dann doch zu viel Jugend am Steuer.

Es ist ein ziemlich komplizierter Handel, der da offenbar versucht wird. Durch zwei Details bekommt er noch dazu einen besonderen Ruch: Zum einen hielt Wolff vor gar nicht allzu langer Zeit noch selbst Williams-Anteile, zum anderen ist er eng mit der Managementfirma verbandelt, die Bottas vertritt. Anderswo wäre derlei ein Unding, im sehr speziellen Geschäft rund um die Rennstrecken aber ist es keineswegs beispiellos. Felipe Massa wurde in seiner Zeit bei Ferrari von Nicolas Todt gemanagt, dem Sohn des damaligen Teamchefs Jean Todt. Flavio Briatore hatte schon in seiner Zeit als Renault-Teamchef Fernando Alonso unter Vertrag, der damals für Renault fuhr.

Wolff, der 2013 ins Amt des Mercedes-Sportchefs kam, hat stets herausgestellt, dass er sein Engagement als ein zeitlich begrenztes begreife. Und er hat immer wieder betont, dass er sich bewusst sei, dass der Erfolg in der Formel 1 in Zyklen auftrete. Die Erfolgssträhne von Red Bull mit Sebastian Vettel endete 2013 nach vier Titeln jäh, als es neue Motorenregeln gab. Die Ferrari-Dominanz der ersten Schumacher-Jahre ging 2004 nach fünf Fahrer-Titeln zu Ende, als die Konkurrenten plötzlich auf überlegenen Reifen rollten. Etwas Ähnliches könnte den Silberpfeilen nun drohen. Selbst ohne Rosbergs unerwarteten Ausstieg hätte Wolff wohl vor etlichen Umbauarbeiten gestanden, nun wird daraus vermutlich eine Art Generalsanierung.

Neben Hamilton und Rosberg gab es in den vergangenen drei Erfolgsjahren noch eine Schlüsselfigur: Technikchef Paddy Lowe. Der Vertrag des 54-Jährigen, das ist bekannt, läuft demnächst aus. Noch nicht bekannt ist, wie es dann mit dem Briten weitergeht. Laut BBC könnte es ihn zu Williams ziehen.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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