Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Vor ein paar Jahren wäre er wohl gestorben

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Der Horror-Unfall von Romain Grosjean zeigt die Gefahren eines Formel-1-Rennens - aber auch, dass Sicherheitsmaßnahmen wie der zunächst umstrittene "Halo" Leben retten können.

Von Anna Dreher, Sakhir/München

Noch in der Nacht meldete sich Romain Grosjean. Er lag gut gepolstert in einem Krankenhausbett und lächelte fröhlich in die Kamera. Ein feiner Beatmungsschlauch führte in die Nase, am Hals klebte ein Kabel, im Vordergrund baumelten seine Hände. Die rechte hielt er durch eine orangefarbige, große Schlinge, die linke hatte er herausgenommen; weiße Verbände waren dick um Finger, Handflächen und Gelenke gewickelt worden, die Fingerkuppen lugten gerade noch so heraus. "Hallo an alle. Ich wollte nur sagen, ich bin okay", sagte Grosjean und hielt kurz inne: "Äh, na ja, sozusagen okay." Und es war fast ein bisschen ulkig, wie er dabei seine Hände anschaute, diese zu sich drehte und die Finger kurz zur Handfläche bewegte, als würden seine bandagierten Körperteile wie kleine Handpuppen dem eben Gesagten zustimmen.

Grosjean scherzte sogar. Er hoffe, trotz seiner Brandverletzungen bald alle Nachrichten an ihn beantworten zu können. Dann wurde der 34 Jahre alte französische Rennfahrer ernst in diesem Video, das er, sein Team Haas und auch die Formel 1 Sonntagnacht veröffentlicht hatten: "Ich war nicht für den Halo vor ein paar Jahren. Aber ich denke, es ist die großartigste Sache in der Formel 1. Ohne ihn könnte ich jetzt nicht zu euch sprechen. Also danke."

Beim Großen Preis von Bahrain, dem drittletzten Saisonrennen, war der Motorsport nur knapp einer Tragödie entgangen. Ein Horror-Crash, bei dem Grosjean das Leben hätte verlieren können - und es vor wenigen Jahren wohl noch verloren hätte. Sein Feuerunfall erinnerte auf erschreckende Weise, wie gefährlich dieser Hochgeschwindigkeitssport ist. Er bestätigte aber auch, dass all die Sicherheitsmaßnahmen, die von der Formel 1 meist als Reaktion auf große Unglücke eingeführt worden sind, funktionieren, ineinandergreifen und Leben retten können.

Haas-Teamchef Günther Steiner hatte am Rennabend noch nicht ausschließen wollen, dass Grosjean bereits am kommenden Wochenende wieder am Steuer sitzt, an dem die Serie erneut in Sakhir startet, allerdings auf einer veränderten Strecke. Am Montag stand fest: Grosjean soll das Krankenhaus zwar am Dienstag verlassen, fahren wird er vorerst aber nicht. Der Brasilianer Pietro Fittipaldi, seit zwei Jahren Haas-Testfahrer, wird ihn ersetzen. Der 24-Jährige gibt dabei sein Formel-1-Debüt. Es sei das Beste für Grosjean, "mindestens ein Rennen" auszusetzen, sagte Steiner nach seinem Krankenhausbesuch.

Der "Halo" besteht aus Titan und muss zwölf Tonnen aushalten

Den Unfall hatte Grosjean, der seit dem Einstieg von Haas 2016 für den US-Rennstall fährt und dort nach dieser Saison aufhört, selbst verschuldet. Im Gewimmel des hinteren Teils des Feldes wollte er in der dritten Kurve eine Lücke nutzen und zog mit 221 km/h nach rechts. Dabei berührte er mit dem rechten Hinterrad das linke Vorderrad des Alpha Tauri von Daniil Kwjat. Der Haas stieg kurz auf und raste dann quasi ungebremst in die nur wenige Meter entfernte Leitplanke. Von der Wucht des Aufpralls wurde der Bolide entzweit. Dabei müssen Risse entstanden sein, durch die Benzin austrat. Sofort schossen in einer Explosion meterhohe Flammen und dunkler Rauch auf. Der Tank selbst wurde wohl nicht derart beschädigt, dass die mehr als 100 Liter Benzin komplett verbrannten, sonst wäre es zu einem Inferno gekommen. Das Feuer war auch so schon äußerst bedrohlich. Und mittendrin saß Grosjean.

Während der hintere Teil des Autos vor der Absperrung stand, hatte sich die vordere Hälfte mit der Nase hindurch gebohrt. "Das Auto hat wie ein Messer in die Leitplanke geschnitten. Wenn man sich die Bilder im Nachgang anschaut, werden sie mit jedem Mal nur noch furchteinflößender", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Den ersten Annahmen zufolge dürfte die Sicherheitszelle des Fahrers nach einer Drehung mit dem Boden voran durch die aufgerissene Stelle im Metall gekracht und dann gekippt sein, was einen freien Ausstieg ermöglichte. Die Cockpitwände schützten Grosjeans Kopf, wie auch der von ihm im Video erwähnte Halo, ein 2018 eingeführter Schutzbügel aus Titan, der bei Tests rund zwölf Tonnen Gewicht bei einem Aufprall von 225 km/h standhalten muss und zunächst wegen seiner Optik äußerst unbeliebt war. "Zum Glück haben wir den Halo. Sonst hätte sich Romain in der Leitplanke entweder aufgeschlitzt oder es hätte ihm den Kopf abgeschnitten", sagte Weltmeister Lewis Hamilton drastisch. Der Brite gewann das Rennen von Bahrain nach einer 85-minütigen Unterbrechung wegen der aufwendigen Bergungsarbeiten.

Erst nach 27 Sekunden konnte sich der stets bei Bewusstsein gebliebene Grosjean befreien, er erlitt wie durch ein Wunder nur Verbrennungen zweiten Grades. Der Overall, der 35 Sekunden lang vor Feuer schützt, war wie das Monocoque ein weiterer Lebensretter. Eine Maßnahme, die nach dem schlimmen Unfall von Niki Lauda auf dem Nürburgring 1976 eingeführt wurde - allerdings erst drei Jahre später. An dieses Unglück oder den Tankunfall von Jos Verstappen 1994 auf dem Hockenheimring kamen angesichts der Flammen ebenso schreckliche Erinnerungen hoch wie an Unfälle, bei denen Leitplanken keinen Schutz boten, sondern Fahrer töteten.

"Heute haben alle Sicherheitsfeatures ineinandergegriffen"

Was den größten Einfluss auf diesen unglaublich glimpflichen Ausgang des überaus heftigen Unfalls von Bahrain hatte, wird sich final erst nach der Untersuchung zeigen, die der Automobilweltverband Fia angekündigt hat. Unabhängig vom Ergebnis dieser Ermittlungen ließ sich eines eindeutig und früh ausmachen: Enormes Glück beim Zusammenspiel vieler Faktoren, wie auch, dass die Streckenposten sowie der Medical-Car-Fahrer Alan van der Merwe mit Rennarzt Ian Roberts so schnell helfen konnten. "Heute haben alle Sicherheitsfeatures, die wir in den letzten 30 Jahren eingeführt haben, ineinandergegriffen", sagte Roberts: "Hätten wir nur eines davon nicht gehabt, hätte dieser Unfall anders ausgehen können."

Aber natürlich stellen sich Fragen. Warum standen in der Kurve nicht Barrieren, die einen Aufprall besser abmildern? Werden entsprechende Maßnahmen bereits für den nächsten Grand Prix in Bahrain ergriffen? Wieso konnte der Wagen auf diese gefährliche Weise durch die Abgrenzung schießen? Wodurch entzündete sich so schnell ein so großes Feuer? "Die Leitplanke sollte nicht so nachgeben, und das Auto sollte auf diese Art kein Feuer fangen", kritisierte Ferrari-Pilot Sebastian Vettel.

Zudem kam das Thema auf, ob ein Fahrer nach solch einem Schock das Recht haben sollte, bei einem Neustart des Rennens nicht mitzumachen. Der Zweitplatzierte Max Verstappen blieb mit seiner harschen Haltung dazu weitgehend allein: "Wenn ich der Teamchef wäre, würde ich ihn rausschmeißen." Etliche seiner Kollegen räumten indes ein, dass es nach der Rennunterbrechung nicht einfach gewesen sei, den Fokus wieder auf das Rennen zu legen. Aber, sagte Lewis Hamilton, "wir sind hier, um einen Job zu erledigen". In dieser Woche wieder.

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SZ vom 01.12.2020
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