Formel 1:Viel Wirbel im Stillstand

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Im Vorjahr traf sich Lawrence Stroll, Investor beim Team Racing Point, mit Mercedes-Teamchef Toto Wolff und dem ehemaligen Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone (v.l.) an der Strecke in Baku.

(Foto: imago)
  • In der Zwangspause versucht sich die Formel 1 zu sortieren und ruft den Notstand aus.
  • Im Zentrum einer kuriosen Kampagne steht Milliardär Stroll, der inmitten der Corona-Krise in ein neues Team investiert.
  • Es gibt Gerüchte, dass auch Mercedes-Motorchef Toto Wolff eine Rolle in Strolls neuem Team spielen soll.

Von Elmar Brümmer und Philipp Schneider

Einstimmigkeit! Ach, wie schön. Da dürfte selbst Bernie Ecclestone, der ehemalige Zampano der Formel 1, gestaunt haben, als ihm in dieser Woche die Nachricht zu Ohren kam. Wobei das voraussetzt, dass er nicht noch abgelenkt war von einer anderen Nachricht, die ihn irgendwann im Herbst umgehauen haben dürfte: Ecclestone, 89, wird noch einmal Vater. Nach Deborah, 65, Tamara, 35, und Petra, 31, erwartet der fünffache Großvater und einfache Urgroßvater mit seiner 48 Jahre jüngeren (dritten) Frau Fabiana Flosi im Sommer einen Sohn. "Daran ist nichts merkwürdig. Es ist schon eine Weile her, seit ich gearbeitet habe und... ich hatte viel Zeit zum Üben", verriet er der Daily Mail.

Man wüsste ja gerne, wie Ecclestone die Corona-Krise gehändelt hätte. Ob er einfach hätte weiter fahren lassen? Oder auch diese Einstimmigkeit herbeigeführt hätte? Um noch zu retten, was zu retten ist von einer Saison, die mit 22 Rennen die längste der Geschichte werden sollte, haben sich der Automobilweltverband Fia und der Vermarkter Liberty Media, Ecclestones Nachfolger, auf Notstandsgesetze verständigt. In "dringlichen Angelegenheiten" bekommt die Regelbehörde mehr Handlungsspielraum. Anpassungen des Reglements, wie die flexible Handhabung des Rennkalenders, brauchen in der Corona-Krise nicht mehr die Zustimmung aller zehn Teams, sondern nur eine Mehrheit von 60 Prozent. Aus der Verzweiflung entsteht Vernunft, allerdings auch eine neue Machtfülle für Fia-Präsident Jean Todt, dem die Rennställe längst zu aufmüpfig sind.

Es ist überhaupt eine Vielzahl von Kräften, die in diesem Jahr an der Königsklasse reißen. Wenn es um die Existenz geht, kann das die Fähigkeit schulen, sich zu wandeln. Oder aber den Reflex hervorrufen, die Reißleine zu ziehen.

Ein gravierende Änderung des Wochenendprogramms könnte kommen

Die Manager an den Spitzen der Teams, die sich eventuell länger als bis Mitte April in den Werksferien befinden werden - auch das kann die Fia jetzt forcieren -, sind in der Krise, die eine der teuersten Sportarten der Welt besonders trifft, demütiger geworden. Rennwagen sind wie Flugzeuge - sie verdienen nur Geld, wenn sie unterwegs sind. Das könnte dauern. Nach der Absage oder Verschiebung der ersten acht Rennen wackelt der geplante Saisonauftakt in Kanada. Um jene 15 bis 18 Grand Prix zu retten, die in der Idealvorstellung von Liberty-Statthalter Chase Carey noch existieren, könnte die Exekutive eine gravierende Änderung des Wochenendprogramms durchsetzen: den für zwei Trainingseinheiten genutzten Freitag streichen. Das wäre eine Ersparnis bei Zeit und Aufwand, im Gegenzug wären bis zu vier Rennwochenenden hintereinander möglich. Vor 70 Jahren, in der ersten Saison der Formel 1, dauerte das Rennjahr ganze 113 Tage, gefahren wurden nur sieben Rennen. 2020 könnte sich, falls überhaupt noch gefahren wird, der Kalender bis kurz vor Weihnachten ausdehnen.

Um die für 2021 geplante Regel-Revolution zu verschieben, braucht es keinen Druck von den Funktionären. Die Rennställe selbst votierten dafür, den technischen und finanziellen Kraftakt in Krisenzeiten nicht auch noch stemmen zu müssen. Vielleicht kommt die neue Aerodynamik sogar erst 2023, je nachdem, wie gut und schnell sich der Motorsport konsolidiert. Für das kommende Jahr soll in jedem Fall aber die Budget-Obergrenze greifen, die bei 175 Millionen Dollar pro Team festgeschrieben ist, Spitzengehälter und Marketingausgaben exklusive. "Die Zeiten, die vor uns liegen, werden hart", prophezeit Frederic Vasseur, der den bei Zürich stationierten Alfa-Rennstall führt. Kleine Rennställe wie Haas oder Williams sind in der Existenz ebenso gefährdet wie die großen Konzernteams. Nach der Finanzkrise Ende der Zehnerjahre waren in BMW, Honda und Toyota gleich drei Werke ausgestiegen.

Lewis Hamilton über die Pandemie

"Es ist verrückt - die Welt kommt fast zum Stillstand und wir sehen, wie der Himmel klarer wird. Niemand weiß, warum dies alles passiert, aber es gibt jedem von uns sehr viel nachzudenken."

Noch hat keiner der derzeit an der Formel 1 beteiligten Rennställe das Concorde Agreement unterschrieben, in dem die Technik, vor allem aber die Mitbestimmung und - am allerwichtigsten - die Konditionen für die Gewinnbeteiligung auf mindestens fünf Jahre hinaus festgelegt werden. Verständlich, wenn sich Teams im Überlebensmodus befinden und Automobilkonzerne in tiefer Verunsicherung. Natürlich aber sind die alten Reflexe noch ausgebildet, möglichst viel für sich herauszuholen oder und möglichst wenig dem anderen zu gönnen. Die Werksteams von Mercedes, Ferrari, Red Bull/Honda und Renault wollen sich ihre Macht nicht beschneiden lassen. Möglich, dass es gar kein längerfristiges Abkommen gibt, sondern - wie bei der Technik - eine Übergangslösung.

Die Formel 1, die sich so lange auf Planungssicherheit verlassen hat und es in der Ignoranz äußerer Einflüsse immer wieder zu einer bemerkenswerten Meisterschaft bringt, muss ihr Navigationssystem umprogrammieren. Wenn es darum geht, wer die Formel 1 zukunftsfähig machen kann, sind Jean Todt, 74, und Chase Carey, 66, nicht die Hauptverdächtigen. Der Ingenieur Mattia Binotto, 50, hat genug mit Ferrari zu tun, der britische Strippenzieher Christian Horner, Teamchef bei Red Bull, 46, ist mehr auf Sport und Technik fixiert. Bleibt derjenige, der aus den Silberpfeilen von Mercedes innerhalb von sieben Jahren überlegene Flitzer gemacht hat und die Sportabteilung aus Stuttgart-Untertürkheim nach sechs Weltmeistertiteln in Serie zu einem sportlichen und wirtschaftlichen Vorbild: Toto Wolff, 48.

Wolff verkörpert den Typus eines neuen Managers

Die Vita des Österreichers spiegelt wider, warum er sich auch außerhalb der Strecke so gut zurecht findet: Als erfolgreicher Privatfahrer besitzt er den nötigen Stallgeruch, um mit den Racern im Fahrerlager klarzukommen. Als Investor mit Instinkt für gute, schnelle Geschäfte ist er schon früh zu Geld gekommen. Seine Unabhängigkeit hat er sich selbst in Diensten des Daimler-Konzerns gesichert - er ist nicht bloß leitender Angestellter, sondern Mitbesitzer des Formel-1-Rennstalls. Vor allem verkörpert Wolff den Typus eines - zumindest in der Formel 1 - neuen Managers: Er umgibt sich mit Experten, denen er vertraut und die er machen lässt. "Ich kann keine aerodynamische Fläche designen. Aber ich weiß alles über denjenigen, der das kann", so hat Wolff der SZ einmal seinen Führungsstil beschrieben.

Wolff wird noch immer als erste Wahl für den Posten an der Spitze der Formel 1 gehandelt, sollte Carey ihn bald räumen. Das schmeichelt, auch wenn Wolff in dieser Saison (oder der nächsten) erst noch einen Doppel-Erfolg in Silber draufsetzen will. Für Aufregung, zumindest außerhalb des inneren Zirkels um Wolff, hat nun eine Kampagne gesorgt, dass der Mercedes-Mann zu Aston Martin abwandern wolle. Ein Wechsel zu einem finanziell angeschlagenen kleinen Sportwagenhersteller erscheint auf den ersten Blick nur attraktiv, falls in Wolff eine bislang wenig bekannte philanthropische Neigung wohnen sollte.

Natürlich aber lassen sich Versatzstücke zu einer halbwegs schlüssig klingenden Verschwörungstheorie kombinieren. Aston Martin ist Anfang des Jahres vom Multi-Milliardär Lawrence Stroll gekauft worden. Der Kanadier hat sich bereits an zwei Rennställen (Williams und Racing Point) beteiligt, um die Formel-1-Karriere seines Sohns Lance irgendwie doch noch in die Gänge zu bringen. Zukünftig wird Racing Point zum Aston-Martin-Werksteam, das Sponsorabkommen mit Red Bull läuft zum Jahresende aus. Beliefert mit Leihmotoren und Technik von Mercedes. Der Konzern hält auch eine prozentual kleine Beteiligung an der Marke Aston Martin. Weshalb nun wieder heftig spekuliert wird, ob Wolff als Kopf von Aston Martin einsteigen könne. Angeblicher Beleg: Auf dem Rückweg von dem vor drei Wochen ausgefallenen Rennen in Melbourne machten die Ehepaare Stroll und Wolff spontan Badeurlaub auf den Malediven. Na dann.

Wolff ändert noch in der Nacht seine Meinung zum Rennen in Melbourne

Freunde dieser Theorie führen gerne an, das Verhältnis zwischen Wolff und Daimler-Boss Ola Källenius sei deutlich kühler als jenes zwischen Wolff und Källenius' Vorgänger Dieter Zetsche. Zweimal habe Källenius Wolff zuletzt zurückgepfiffen: Zunächst habe er darauf gedrungen, dass sich Mercedes nicht an einem juristischen Vorgehen gegen den Deal zwischen Ferrari und Fia beteiligt, der den Anschein erweckt, die Benzin-Tricksereien der Scuderia der Vorsaison sollten unter den Teppich gekehrt werden. Zweitens habe Källenius mit einem Anruf auch ein Umdenken Wolffs vor der Last-Minute-Rennabsage in Melbourne herbeigeführt. Nach SZ-Informationen hat Wolff am Donnerstagabend nach Bekanntwerden eines Coronafalls im Team McLaren tatsächlich zunächst dafür plädiert, seine Autos beim Freitags-Training in Australien auf die Strecke zu schicken. Er änderte noch in der Nacht seine Meinung. Druck soll er dabei aber nicht verspürt haben. Dafür, dass Källenius keine Lust auf einen Rechtsstreit zwischen Daimler und Ferrari hatte, gibt es hingegen Zeugen. Das Motiv ist klar: Ferrari gehört zum Fiat-Chrysler-Konzern. Und mit diesem könnte Daimler noch Projekte von übergeordnetem Interesse anstoßen. Die Formel 1 ist da nachrangig.

All das schließt natürlich nicht aus, dass Wolff privat in Aston Martin investiert, wo Stroll Investoren sucht. Bei der gerade beschlossenen Kapitalerhöhung um mehr als 600 Millionen Euro brachte das Yew Tree Konsortium unter Strolls Führung knapp die Hälfte der Mittel ein. Und wer weiß schon, welch finanzielle Sogwirkung das Coronavirus auf die in der Formel 1 aktiven Großkonzerne noch entfalten mag?

Wenige Tage vor dem Saisonauftakt in Melbourne sprach Wolff mit der SZ sehr unaufgeregt über die in diesem Winter aufgebrachte Debatte, wie lang sich Mercedes noch ein Engagement in der Formel 1 leisten werde. Er diskutiere mit dem Vorstand "immer wieder die Frage, was die Vorteile und Nachteile eines solchen Engagements sind", sagte Wolff. "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Vorteile stark überwiegen: Der erste Mercedes war ein Rennwagen, es ist also eine authentische Plattform für uns. Wir verkaufen Automobile und stehen in der Formel 1 im Wettbewerb mit den Besten dieses Sports." Das sei das Alleinstellungsmerkmal der Formel 1 gegenüber "anderen Plattformen, in denen es primär nicht um das Produkt geht". Das Team rund um das Auto, das Rennen fährt, sei eine Aktivität des Konzerns, sagte Wolff. "Das Business-Modell ändert sich gerade, auch das wird nachhaltiger: Das Team wird profitabel in 2022 mit dem Cost-Cap, der eingeführt wird."

In der Woche, bevor das Coronavirus die Formel 1 lahmlegte, sagte Wolff aber auch: "Wenn sich die Welt dramatisch verändert, was passieren kann, dann wird man das, wie auch die Gesamtstrategie des Konzerns, vielleicht neu bewerten müssen."

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