Süddeutsche Zeitung

Formel 1:In welchem Cockpit könnte Mick Schumacher landen?

In der Formel 1 bahnt sich ein Wechselspiel mit zahlreichen Möglichkeiten an, mindesten vier Plätze werden frei - und nicht nur Talent könnte den Ausschlag bei der Vergabe geben.

Von Elmar Brümmer

Die großen Deals sind schon längst abgeschlossen in der Formel 1: Der von Ferrari vor die Tür gesetzte Sebastian Vettel wird sich bei Aston Martin aufs Neue beweisen; Fernando Alonso feiert ein Comeback bei Renault; Carlos Sainz ist auf dem Weg nach Maranello. Im Notjahr der Königsklasse hatte es den Anschein, als falle die wichtigste Jahreszeit, die Silly Season mit ihren vielen Wechselspekulationen und oft aberwitzigen Wendungen, diesmal aus. Doch vor dem letzten Drittel der Weltmeisterschaft, das mit dem Großen Preis von Portugal am Sonntag (14:10 Uhr) beginnt, lebt die auch vom diskutierfreudigen Publik liebgewonnene Tradition neu auf.

Vorausgesetzt, dass Lewis Hamilton und Mercedes sich irgendwann noch über die Konditionen einer Vertragsverlängerung einig werden, bleiben in jedem Fall vier freie Cockpits für 2021, wenn nicht gar sechs. Das multipliziert die Möglichkeiten. In voller Fahrt auf der emotionalen Achterbahn befinden sich auch zwei deutsche Rennfahrer: der Emmericher Edel-Reservist Nico Hülkenberg und das Talent Mick Schumacher.

In diesem Arbeitsplatz-Roulette ist jeder gut beraten, der auf Rot setzt. Denn Ferrari stellt gerade die entscheidenden Weichen in der Personalpolitik der Königsklasse. In Mick Schumacher, dem Briten Callum Ilott und Robert Schwartzman aus Sankt Petersburg hat die Nachwuchsakademie der Scuderia gleich drei 21 Jahre junge Formel-2-Piloten, die für den Aufstieg in die erste Liga geeignet sind. Untergebracht werden sollen die Talente bei den beiden Kundenrennställen Haas und Alfa Romeo, die im Rahmen der Motorenlieferung Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen sollen. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto und Akademieleiter Laurent Mekies können wenigstens in dieser Hinsicht eine Hauptrolle spielen.

Der US-Rennstall Haas hat schon den ersten Schritt getan und die beiden glücklosen Stammfahrer Romain Grosjean, 34, und Kevin Magnussen, 28, entlassen. Der Franzose bekam neben netter Abschiedsworte von Teamchef Günter Steiner auch die schnöde Wahrheit zu hören: "Wir mussten aus finanziellen Gründen so handeln." Das deutet neben einem der Ferrari-Lehrlinge noch auf einen anderen Formel-2-Piloten hin: auf den Russen Nikita Mazepin, 21, der dank des Geldes seines Vaters Dmitry einen Chauffeursjob bekommen könnte.

Die Rückkehr zum guten, alten Bezahlfahrer scheint auch das gerade an Investoren verkaufte Williams-Team im Auge zu haben. Mit dem Kanadier Nicholas Latifi ist dort zwar schon ein Pilot mit ordentlichen Morgengaben am Start. Zu ihm könnte sich aber auch der beim künftigen Aston-Martin-Rennstall für Vettel geschasste Mexikaner Sergio Perez gesellen. Der hat offenbar reichlich Sponsorengeld an der Hand und könnte den von Mercedes geförderten Briten George Russell verdrängen, der sein Cockpit schon sicher glaubte. "Ich kann nicht beurteilen, wie sich die finanzielle Situation darstellt", sagt sein Mentor, Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Das klingt desillusioniert. Solche Schachzüge könnten auf dem scheinbar geordneten Transfermarkt schnell alles wieder durcheinanderbringen.

Mick Schumacher beim englischen Haas-Team? Da wäre der Rummel geringer

Bei Alfa Romeo schien alles klar zu sein: Teamchef Frederic Vasseur hätte gern, dass Ausdauerrekordhalter Kimi Räikkönen, gerade 41 geworden, noch ein Jährchen dranhängt. Der zweite Platz, derzeit vom eher durchschnittlichen Italiener Antonio Giovinazzi, 26, belegt, könnte an einen Ferrari-Junior gehen. Bislang gilt dafür Mick Schumacher als Favorit - auch Vater Michael hatte einst in der Schweiz den letzten Schliff für eine Karriere erhalten. Mick Schumacher wäre aber auch beim in England angesiedelten Haas-Team gern gesehen, wo er sich vielleicht mit etwas größerer Ruhe entwickeln könnte. Die Deutsche Presse-Agentur hat den Titelfavoriten der Formel 2 jedenfalls gerade auf die "Pole-Position für die Cockpitsuche" gesetzt.

Theoretisch sind auch noch weitere Arbeitsplätze frei: Der Rennstall Red Bull ist unzufrieden damit, wie sehr der Thailänder Alex Albon, 24, gegen das Supertalent Max Verstappen abfällt. Und im Schwesterteam Alpha Tauri wackelt der Job des Russen Daniil Kwjat, 26, mal wieder. Den könnte Yuki Tsunoda, ein 20 Jahre alter Japaner, bekommen, der in der Formel 2 Mick Schumacher noch den Titel streitig machen kann. Er stammt aus der hauseigenen Red-Bull-Nachwuchsförderung.

Sollte Alex Albon tatsächlich weichen müsste, wäre plötzlich der Edel-Reservist der Branche ein ernstzunehmender Kandidat: Nico Hülkenberg, 33, der schon dreimal in dieser Saison beim Racing-Point-Rennstall eingesprungen ist. Der Mann aus Emmerich gilt als guter Fahrzeugentwickler und starker Racer. Er ist, je nach Ausgang der Ferrari-Pläne oder der finanziellen Ränkespiele, rein von der Leistung her auch für Haas oder Alfa Romeo interessant. Oder für den Fall, dass Räikkönen plötzlich keine Lust mehr haben sollte. Im seinem Geburtstagsinterview hatte der Finne einmal mehr betont: "Die Formel 1 war noch nie das Wichtigste in meinem Leben..."

Talent oder Geld, die uralte Gewissensfrage der Formel 1, bekommt in der Corona-Notsaison eine ganz neue Bedeutung. Sie übertrumpft damit den eigentlichen Konflikt der Teamchefs, der da lautet: Ehrgeiz oder Erfahrung. Am liebsten hätten sie natürlich alles auf einmal.

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