Großer Preis von Brasilien:Crash der roten Rivalen

Großer Preis von Brasilien: Über die Wiese zurück zur Box: Sebastian Vettel nach seiner Kollision mit Charles Leclerc.

Über die Wiese zurück zur Box: Sebastian Vettel nach seiner Kollision mit Charles Leclerc.

(Foto: AFP)
  • Max Verstappen gewinnt ein wildes Rennen beim Großen Preis von Brasilien vor Pierre Gasly und Lewis Hamilton.
  • Die beiden Ferrari-Piloten Sebastian Vettel und Charles Leclerc schießen sich gegenseitig von der Strecke.
  • Es ist der vorläufige Höhepunkt einer angestauten Rivalität.

Von Philipp Schneider

Sebastian Vettel stand neben seinem Ferrari, der nun nichts weiter war als ein demoliertes Wrack im Kies. Er kaute auf seinem Daumen, fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Dann lief Vettel unruhig umher wie ein Tiger im Käfig. Er sah sehr nachdenklich aus, offenbar dachte er schon darüber nach, was er nach diesem Unfall sagen sollte - dabei gibt es Crashs, die sind so derartig unnötig, dass ein weiser Rennfahrer besser schweigt.

Vettel und sein Teamkollege Charles Leclerc hatten sich die ganze Saison lang duelliert und teilweise behindert. Aber von der Strecke geräumt hatten sie sich nie. Diese Phase des Burgfriedens endete am Sonntagabend beim Großen Preis von Brasilien. Als es um nichts mehr ging, als die relevanten Weltmeisterpokale schon an Mercedes und Lewis Hamilton verteilt waren, da brach sich die aufgestaute Rivalität zwischen Vettel und Leclerc Bahn: Zunächst überholte Leclerc in der ersten Kurve Vettel, dann konterte der Deutsche auf der Gegengerade und schoss rechts an Leclerc vorbei. Leclerc ließ sich nach rechts treiben, Vettel zuckte nach links. Es kam zur Kollision: Bei Leclerc knickte rechts vorne das Rad ab. Dieses schlitzte Vettel den linken Hinterreifen auf. Und beide waren raus. "Mein Gott, muss das sein?! So ein Bockmist aber auch!", schrie Vettel im Funk. Und zwar genau so. Er rief: Bockmist. Auf Deutsch!

Normalerweise ist Englisch die international akzeptierte Sprache für Rennfahrertiraden jeglicher Art, woran sich nun erkennen ließ, wie sehr er gerade die Beherrschung verlor. Und Leclerc fragte: "Was zur Hölle macht er?" Auf Englisch.

Nun war es nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet Max Verstappen, der oft als verrückter Bruchpilot verschriene Niederländer, dieses Rennen gewann, das in der Endphase einem Schlachtgemälde glich. Als auch noch dem für seine wenigen Unfälle berühmten Lewis Hamilton ein Crash unterlief: Er kegelte Verstappens Teamkollegen Alex Albon von der Strecke. Und so kam es, dass sich am Ende Verstappen vor dem Franzosen Pierre Gasly im Toro Rosso und Carlos Sainz Junior im McLaren durchsetzte. Weil Hamilton für sein Manöver noch eine Fünf-Sekunden-Strafe erhielt und so den dritten Platz verlor.

Die Scuderia wird noch eine Weile beschäftigt sein mit der Aufarbeitung des Crashs. "Charles hat versucht zu überholen, ich habe mich auf die nächste Gerade konzentriert und dachte schon, ich wäre vorbei. Dann kam es zum Knall", referierte Vettel später. Leclerc sah das anders. Er sah die Schuld bei Vettel. "Ich habe ihm den Raum gelassen, dann zog er nach links", sagte er. Das tat Vettel in der Tat. Die Frage ist allerdings, ob ihm Leclerc mehr Platz hätte lassen müssen auf der Gerade.

Die Ouvertüre des wilden Spektakels wurde 17 Runden vor Schluss geboten, als schwarzer Qualm aus dem Heck des Silberpfeils von Valtteri Bottas strömte. Für den Finnen war das Rennen vorbei, er parkte am Straßenrand. Das Safety Car bog auf die Strecke, und die Zuschauer fragten sich: Würde dieses an kleineren Wendungen nicht arme Rennen noch einmal eine größere Pointe erhalten?

In Brasilien gelang Vettel eine süffige Retourkutsche für Verstappens Schummel-Vorwürfe

F1 Grand Prix of Brazil

Sieger und Überraschungs-Zweiter: Max Verstappen und Pierre Gasly.

(Foto: Getty Images)

An der Spitze rollte in diesem Moment Hamilton, gefolgt von Verstappen. Die zwei Fahrer hatten noch einmal die Plätze getauscht, aber nur, weil Verstappen das Safety Car genutzt und sich für den Schlussspurt frische Reifen hatte anschrauben lassen. Keine schlechte Entscheidung: Als das Rennen zwölf Runden vor Schluss wieder freigegeben wurde, nutzte Verstappen seinen Material-Vorteil, um sogleich an Hamilton vorbeizuschießen. An der Reihenfolge hätte sich auch nicht mehr viel geändert. Wären sich die Ferraris, die auf den Positionen vier und fünf rollten, nicht in die Quere gekommen.

Verstappen hatte in São Paulo seinen Rennwagen auf die Pole Position gestellt. Ausgerechnet Verstappen, der zwei Wochen vorher Ferrari öffentlich der Schummelei bezichtigt hatte. Als die Ferraris danach ein wenig langsamer fuhren als in den Rennen zuvor, kommentierte Verstappen rotzfrech: "Das passiert, wenn du aufhören musst zu schummeln." Als sich nun in Brasilien Verstappen in der Qualifikation vor Vettel und Hamilton schob, nahm Vettel dies zur Vorlage für eine süffige Retourkutsche: "Ich bin schon überrascht, dass sie so schnell auf den Geraden waren." Das sei "ein bisschen verdächtig". Am Sonntag kam Verstappen gut vom Fleck. Noch besser allerdings Hamilton, der sich gleich in der ersten Kurve an Vettel vorbeizwängte. An der Spitze fuhr Verstappen einen Vorsprung von 2,4 Sekunden auf Hamilton raus, der Niederländer funkte aber: "Ich frage mich, wie lang meine Reifen noch halten." Red Bull reagierte nicht, dafür Mercedes: Hamilton ließ sich nach 20 Umdrehungen neue Reifen anschrauben, Verstappen erst eine Runde später. Beide Piloten erhielten weiche Reifen, würden also garantiert ein zweites Mal halten müssen.

Hamilton nutzte die eine Runde auf frischeren Reifen, um sich an Verstappen vorbeizuschieben. Seine Freude währte allerdings nicht lang: Verstappen überholte ihn unmittelbar danach mühelos auf der Strecke. Hatte Hamilton Probleme? Er klang sehr zornig im Funk: "Kommt Leute, sagt mir, was los ist! Meine Batterie ist tot!" Der Ausfall der Batterie raubt dem Hybrid-Antrieb in der Formel 1 etwa 100 PS. Tot konnte sie also nicht sein, dafür war Hamilton wiederum zu schnell. Alles sei in Ordnung, funkte Mercedes an Hamilton: Die Temperaturen seien allenfalls ein bisschen hoch.

Sechs Runden später als die zwei Führenden hielt Vettel, kurz darauf auch Bottas. Vettel wurden Medium-Reifen angeschraubt, Bottas die harte Mischung. Wer dachte, zumindest Bottas würde bis zum Ende durchfahren können, der sah sich getäuscht: Mercedes rief ihn nach nur 16 Runden zu einem zweiten Tausch. Auch Hamilton hielt, dann Verstappen - und schließlich Vettel, der sich mit einem Rückstand von 20 Sekunden hinter Hamilton einsortierte. Die 20 Sekunden lösten sich aber kurz darauf in Nichts auf. Bottas Silberpfeil begann zu qualmen, das Safety Car rückte aus. Das Unheil nahm seinen Lauf. Zumindest für Ferrari.

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