Max Verstappen
Nee, Nee, Nee. Mit Statistiken mag der Mann, der jetzt so kurz vor dem vierten Weltmeistertitel steht, nichts anfangen. Sagt er jedenfalls, ganz in der Tradition eines Michael Schumacher oder Lewis Hamilton. Aber beeindruckend waren die Zahlen schon: Nach 133 Tagen ohne Sieg fuhr Verstappen in Brasilien gleich 17 schnellste Rennrunden, während die meisten Kollegen Mühe hatten, ihre Autos überhaupt auf der Rutschbahn zu halten. Von Startplatz 17 auf eins, damit übertraf der Niederländer sogar seinen eigenen Brasilien-Rekord von 2016, als er im Rennen auf den 16. Rang zurückgefallen war und noch Dritter wurde. Aus der Fachwelt wurde damals staunend applaudiert: „Da setzt einer die Physik außer Kraft.“ Das Lob passt auch heute noch.
Die Wut über das frühe, unglückliche Ausscheiden im morgendlichen Qualifying hatte der Titelverteidiger zu seinem persönlichen Allradantrieb umgewandelt. Vater Jos rechnet sich die harten Erziehungsmethoden hoch an, als Klein-Max im Go-Kart auf sein Geheiß im Regen Extrarunden drehen musste. Aber er verneigte sich vor dem Sohn: „Die ganze Welt hat gesehen, wer der Allerbeste ist.“ Bei noch 86 zu gewinnenden Punkten hat Max Verstappen jetzt 62 Punkte Vorsprung, er könnte sich schon im letzten November-Rennen in Las Vegas zum Weltmeister krönen. Wie er den Achterbahn-Sonntag fand, jenseits aller Zahlen? „Wisst ihr, was das ist“, jubelte Verstappen nach der Zieldurchfahrt ins Helmmikrofon: „Einfach wunderbar!“
Lando Norris
Es war nicht das Regen-Chaos, an dem Lando Norris gescheitert ist. Die Bedingungen waren für alle gleich. Es war nicht nur Pech, das Red Bull den Reifenwechsel so lange hinausgezögert hatte, bis das Rennen wegen irregulärer Bedingungen unterbrochen werden musste. Es war auch ein Zeichen, dass der Aufsteiger dieser Saison noch nicht ganz in der Weltmeisterklasse angekommen zu sein scheint. Die siebte Pole Position des Jahres schien die halbe Miete auf dem Weg zu sein, den in Ungnade gefallenen Rivalen abzufangen, fette Punktebeute zu machen, kraft eines der besten Autos im Feld. Die Witterung machte den Reifenvorteil dahin, aber vor allem zeigt der 24-Jährige einmal mehr Nerven.
Schon in der ersten Runde verlor Norris den besten Startplatz, sein altes Trauma. Diese Schwäche ist so etwas wie ein Anti-Flow des Briten, es fällt ihm schwer, sich danach zurück in Form zu kämpfen. Auch weil sein in der Konstrukteurs-WM führendes Team einmal mehr unsicher wirkte in der Taktik. Das schien sich auf den Fahrer zu übertragen, der zwischen Mutlosigkeit und Übermut schwankte und mehrfach über die Piste hinausschoss. McLaren-Teamchef Andrea Stella betonte, wie stolz er dennoch sei: „Die anderen haben auch deshalb gut ausgesehen, weil sie alles auf eine Karte gesetzt haben. So etwas ist immer leichter, wenn man hinten liegt. Dann sieht man am Ende aus wie ein Held.“ Risikobewusstsein und Kompromisslosigkeit sind eben echte Champion-Tugenden.
Alpine
Oliver Oakes ist erst seit ein paar Wochen als Teamchef bei dem F1-Rennstall im Amt, der vor 30 Jahren Benetton hieß und sich anschickte, mit Michael Schumacher Weltmeister zu werden. Damals hatte dort Flavio Briatore das Sagen, was heute wieder gilt, der Italiener ist Berater des Alpine-Konzerns, der so unglücklich ist mit seiner Truppe. Unglücklich war. Denn der Große Preis von São Paulo schwemmte mit Esteban Ocon und Pierre Gasly zwei Franzosen auf das Podium, das gab es für die längst nicht mehr so grande Rennnation seit ewigen Zeiten nicht mehr.
In der Aktualität hat es aber noch weit bedeutendere Auswirkungen auf den im Renault-Konzern ungeliebten Ableger: 33 WM-Punkte in einem Rennen reichen für den Sprung vom peinlichen vorletzten Platz der Konstrukteurswertung auf Platz sechs. Sollte das so bleiben, bedeutet es rund 20 Millionen Euro mehr in der Gewinnausschüttung zum Saisonende. Und es ist heute schon Balsam für die Rennmotorenbauer in Paris, deren F1-Abteilung bald geschlossen wird. „Was für ein Tag nach einer schwierigen Saison“, sagt Esteban Ocon, der das Team verlassen wird.
Nico Hülkenberg
Dreimal in Serie in den Punkten, der Haas-Ferrari und sein deutscher Pilot galten als sichere Bank im Mittelfeld. Dann kam der Regen, der dem Emmericher für gewöhnlich liegt. Auch er ist ein Instinkt-Fahrer, ausgestattet mit einem Kämpfer-Herz. Die Bilanz ist kurz und schmerzhaft: „Es ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte.“ Besonders in der 27. Runde, als er in der ersten Kurve von der Piste kreiselte, mit dem Unterboden auf einer Bodenwelle aufsetzte und hängen blieb. Streckenposten schoben ihn zurück, und dem 37-Jährigen war sofort klar, was das bedeutete: unerlaubte Hilfestellung. Wenig später wurde der künftige Audi-Pilot per Schwarzer Flagge von der Rennleitung aus dem Grand Prix genommen. Seinen Fauxpas bezeichnet er als „Aufmerksamkeitspause“, generell sucht er die Schuld aber nirgendwo anders: „Wir müssen mit uns selber hart ins Gericht gehen.“
Gabriel Bartoleto
Bekommt die F1 nach sechs Jahren endlich wieder einen brasilianischen Fahrer? Während der langen Regenphasen im Autodromo Carlos Pace gab es reichlich zu tun für die Unterhändler, zu denen auch Ex-Weltmeister Emerson Fittipaldi zählen soll. Es ist eine Angelegenheit des Nationalstolzes, und der Auserwählte heißt Gabriel Bartoleto. Der ist Meister der Formel 3 vom vergangenen Jahr, momentan Führender der Formel-2-Wertung und als Ersatzfahrer bei McLaren unter Vertrag. Dort hat Teamchef Andrea Stella bereits zugesichert, das Talent ziehen lassen zu wollen, falls er irgendwo einen Job als Stammfahrer bekomme. Man möchte nicht den Karrierekiller spielen.
Das Irgendwo soll im Zürcher Oberland liegen, der Sauber-Rennfabrik in Hinwil, an der künftig die Ringe von Audi prangen werden. Mattia Binotto, der neue Boss des Werksteams, sucht noch einen Nebenmann für Nico Hülkenberg. Er macht sich die Entscheidung seit Wochen nicht leicht: Lieber einen 20-Jährigen verpflichten, oder den finnischen Routinier Valtteri Bottas, 35, behalten? Für ganz Brasilien ist das längst keine Frage mehr. Franco Colapinto aus dem Nachbarland Argentinien, dem in São Paulo ein Heimspiel bereitet worden war, gilt zudem als heißer Kandidat für eine Perez-Nachfolge bei Red Bull Racing.
Fernando Alonso
Es war nicht sein Tag, wie es überhaupt nicht seine Saison ist. Aber Fernando Alonso zeigte im einmal mehr chancenlosen Aston Martin, warum er mit 401 Rennen der Ausdauer-Champion der F1 ist. Zwischen den Rennen in Mexiko und Brasilien war er schon nach Europa geflogen, um sich wegen eines Infekts behandeln zu lassen. Der Spanier war wieder fit, was man von seinem grünen Rennwagen nicht wirklich behaupten konnte. In der Qualifikation leistete sich der 43-Jährige einen veritablen Crash. Viele der eilig ersetzten Teile passten nicht optimal, das Auto hüpfte auf der Piste. Kurz vor Schluss setzte Alonso einen Funkspruch ab, der ein Hilferuf war: „Ich habe solche Rückenschmerzen, und würde das Auto normalerweise abstellen jetzt. Aber die Mechaniker haben mit der Reparatur in so kurzer Zeit einen so guten Job gemacht, ich fahre nur für sie zu Ende.“
Interlagos
Das muss man erstmal hinbekommen: Die Rennstrecke wurde komplett neu asphaltiert - und hat mehr Bodenwellen als vorher. Aber so etwas gehört zu diesem Rennen, wie die berüchtigten und unberechenbaren Wetterumschwünge. In Kombination wurde daraus zum sechsten Mal in der F1-Historie ein Super-Sonntag, mit Qualifikation und Rennen hintereinander. Start 7.30 Uhr, so früh wie nie. Die Frühschicht war dennoch bei allen willkommen, eine Absage wollte in diesem Titelrennen niemand. Die wichtigsten Runden für die Paulista waren nicht die von Verstappen sondern jene von Lewis Hamilton. Der Brite längst zum Ehrenbürger ernannt, fuhr im Regen von Interlagos den McLaren MP4/5B, mit dem Nationalheld Ayrton Senna 1990 Weltmeister geworden war.
Eine andere Erinnerung an den vor 30 Jahren tödlich verunglückten Rennfahrer hatte hingegen noch in der Sonne geleuchtet: Sebastian Vettel kombinierte seine Bewunderung für die Piloten-Legende und seine Leidenschaft für den Umweltschutz mit einer besonderen Aktion. Zusammen mit zwei Künstlern baute er einen überdimensionalen Senna-Helm aus Müll, den er auf den Straßen von São Paulo gesammelt hatte: „Das war unser eigenes kleines Rennen. Müllprobleme sind auch soziale Probleme.“