Formel 1 in Spa:Ein Crash, der Debatten befeuert

Formel 1 in Spa: Zu nah am Limit: Lando Norris verlor in der Qualifikation von Spa die Kontrolle über seinen McLaren. Der 23-jährige Brite blieb unverletzt.

Zu nah am Limit: Lando Norris verlor in der Qualifikation von Spa die Kontrolle über seinen McLaren. Der 23-jährige Brite blieb unverletzt.

(Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Bei der Qualifikation zum Großen Preis von Belgien verunfallt Lando Norris schwer auf nasser Piste. Sebastian Vettel ist nach dem Vorfall stocksauer - er hatte schon zuvor eine Unterbrechung gefordert.

Von Anna Dreher, Spa

Den ganzen Morgen schon prasselte der Regen unnachgiebig vom Himmel auf den Asphalt von Spa-Francorchamps. Die dunkeln Wolken, die sich bereits in den Tagen zuvor über den Wäldern rund um die Strecke festgesetzt hatten, ließen die Sonne nur in seltenen Momenten durch. Ansonsten sammelte sich das Wasser in der kleinsten Unebenheit in Pfützen. Auf den Tribünen, wo 75 000 Zuschauer zugelassen waren und auch mehrere Tausend kamen, waren kaum noch welche zu erkennen gewesen - weil sie sich, so gut es ging, in Plastikumhängen unter Regenschirmen verkrochen.

Es lief die zweite Runde der Qualifikation zum Großen Preis von Belgien, als sich im Fahrerlager eine gewisse Unruhe ob der Bedingungen breitmachte. Die sieben Kilometer lange Strecke war so nass, dass jedes Auto einen langen, hohen Wasserschweif nach sich zog. Sebastian Vettel warnte im Boxenfunk vor den Bedingungen und forderte eine Rote Flagge, also die Unterbrechung der Session, doch die gab es erst, als es schon zu spät war.

Lando Norris lag auf Pole-Position-Kurs und hatte per Funk schon vor Aquaplaning gewarnt, als er dennoch ins Risiko ging und sich eine schnelle Rundenzeit sichern wollte. Mit seinem McLaren fuhr er von der Start-Ziel-Geraden durch die Eau-Rouge-Kurve und verlor die Kontrolle. Sein Wagen drehte sich, knallte in einen Reifenstapel, drehte sich danach noch mehrere Male mit hoher Geschwindigkeit wie ein Kreisel. Die Reifenaufhängungen brachen, Teile seines Wagens flogen durch die Luft, Funken sprühten und als er dann endlich zum Stehen kam, kamen schlimme Befürchtungen auf, weil es dauerte, bis Norris sich regte.

"Was zum Teufel habe ich gesagt? Was habe ich gesagt?", echauffiert sich Vettel

Erst am Freitag hatte es an der gleichen Stelle in der W-Series einen Massencrash mit sechs Fahrerinnen gegeben, ebenfalls in der Eau Rouge. Nachdem die erste von ihnen in einen Reifenstapel geknallt war, krachte mit hoher Geschwindigkeit eine nach der anderen in die bereits verunfallten Wagen hinein. Zwei von ihnen wurden in einem Krankenhaus untersucht. Trotz heftig demolierter Autos, die sich teils überschlagen hatten, war keine verletzt.

Am Donnerstag hatten unter anderem Charles Leclerc und Pierre Gasly dem 2019 verstorbenen Formel-2-Piloten Anthoine Hubert gedacht. Sie legten Blumen an eine Mauer ausgangs der Eau-Rouge-Senke, wo der Franzose damals äußerst schwer verunfallte. Die Motorsportwelt war erschüttert. Hubert war das erste Todesopfer im Formel-Sport seit Jules Bianchi 2015. Im Juli bei einem 24-Stunden-Rennen hatte es ebenfalls einen Crash gegeben. Nun also wieder Unfälle in Spa. Das befeuerte Diskussionen um die Gefährlichkeit dieses Streckenabschnitts, für den es bereits Umbaupläne gibt. "Das hat mir schon einen Schrecken eingejagt und erinnert uns daran, was hier vor zwei Jahren passiert ist", sagte Leclerc bei Sky.

Vettel fuhr mit Abstand seine Runde hinter Norris. Als er im Funk hörte, was dem 21-jährigen Briten passiert ist, war er außer sich: "Was zum Teufel habe ich gesagt? Was habe ich gesagt? Rote Flagge! Das ist so unnötig! Ist er okay?" Während der viermalige Weltmeister mit seinem Team sprach, kam er an der Unfallstelle vorbei, hielt neben dem McLaren und erkundigte sich per Handzeichen bei Norris, ob er in Ordnung sei. "Er ist okay, er ist okay", funkte er schließlich und fuhr dann in die Box. Norris sprang von seinem Wagen, später gab sein Team bekannt, dass der Weltverband Fia nach medizinischen Untersuchungen seinen Rennstart genehmigt hat.

Formel 1 in Spa: Überraschend in der ersten Startreihe am Sonntag: George Russell hat seinen Williams im Regen so schnell über die Strecke gelenkt, dass nur Max Verstappen ihn schlagen konnte.

Überraschend in der ersten Startreihe am Sonntag: George Russell hat seinen Williams im Regen so schnell über die Strecke gelenkt, dass nur Max Verstappen ihn schlagen konnte.

(Foto: John Thys/AFP)

Die Qualifikation wurde für etwa eine dreiviertel Stunde unterbrochen. Und dann hatte der Regen schließlich doch noch etwas Gutes - zumindest für einen. George Russell gelang eine Sensation. Der 23 Jahre alte Brite fährt für Williams Racing, einem der traditionsreichsten Rennställe mit den meisten Konstrukteurs-WM-Titeln hinter Ferrari, der aber in den vergangenen Jahren weit entfernt von einst glorreichen Zeiten fährt. Im Normalfall belegt Williams die hinteren Plätze. Doch diese Bedingungen waren am Samstag nicht normal. Und offensichtlich kam Russell damit am besten zurecht.

Die letzten Sekunden der abschließenden Qualifikationsrunde liefen, und als diese zu Ende war, ist tatsächlich Russell als Zweitschnellster unterwegs gewesen. Er startet hinter Max Verstappen (Red Bull) und dank 0,013 Sekunden Vorsprung noch vor Weltmeister Lewis Hamilton (Mercedes). "Allein, es in die dritte Qualifikationsrunde geschafft zu haben, war eine Leistung für sich", sagte Russell. "Ich war in der glücklichen Position, dass wir nichts zu verlieren hatten. Ich konnte drauf loslegen." Von Startplatz vier wird Daniel Ricciardo (McLaren) beginnen, Vettel (Aston Martin) wurde Fünfter, Mick Schumacher Achtzehnter. Er rückte aufgrund einer Strafe gegen Lance Stroll (Aston Martin) vor auf Rang 17.

Die Entscheidung über das zweite Cockpit von Mercedes soll getroffen worden sein

Williams hatte eine gute Strategie und ein gutes Set-Up gewählt, Russell das Auto grandios über die Strecke gelenkt. "Es war unglaublich schwierig da draußen, die Bedingungen haben sich jede Runde geändert", sagte Russell. "Aber natürlich ist morgen der wichtige Lauf. Da muss ich rausgehen und Punkte holen. Wir müssen realistisch sein, wir haben unglaublich schnelle Autos hinter uns." Ein Platz unter den ersten Zehn sei das Ziel.

Unabhängig vom Rennergebnis am Sonntag hat Russell einmal mehr sein Talent unter Beweis gestellt. Seit Jahren wird er von Mercedes gefördert, nun hofft er darauf, befördert zu werden - sprich, nach drei Jahren bei Williams künftig mit Hamilton zu fahren. Sein Konkurrent um dieses Cockpit ist Valtteri Bottas, der zuletzt wechselhafte Leistungen zeigt. Die Qualifikation von Spa beendete der 31-jährige Finne als Achter, wurde jedoch wegen Verursachens einer Kollision in Ungarn um fünf Plätze zurückgestuft.

Man habe heute eine brillante Runde eines brillanten jungen Fahrers gesehen, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Dieses Qualifying habe jedoch die Entscheidung zur Zukunft nicht beeinflusst. Ob die denn schon getroffen sei? "Ja. Wenn es eine einfache Entscheidung gewesen wäre, hätten wir sie früher getroffen." Wann die Öffentlichkeit erfahren wird, wer 2022 mit Hamilton fährt, verriet Wolff nicht.

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