McLaren als Aufsteiger der Saison, Ferrari mit der überraschenden Pole-Position, Max Verstappen als Drohung von ganz hinten. Nur Mercedes hatte vor dem Großen Preis von Belgien kaum einer auf dem Zettel, es wäre eine klassische Außenseiterwette gewesen. Doch fünf Runden vor dem Ende der Berg- und Talfahrt in Spa-Francorchamps ging es am Sonntag tatsächlich nur noch darum, welcher der beiden Silberpfeil-Piloten die Rennwagennase vorn haben würde: Rekordchampion Lewis Hamilton jagte den Spitzenreiter George Russell, der einen Stopp weniger als alle anderen eingelegt hatte.
Diese Strategie war die Entscheidung des jüngeren der beiden Briten, und es lag an seinem Können, dass er die Reifen so gekonnt über die Runden brachte. Von der Mercedes-Box kam in diesem Moment nur eine Ansage in die Cockpits: „Lasst euch gegenseitig Platz!“ Danach Funkstille, auch als Oscar Piastri im McLaren auf den letzten beiden Runden nahe an die beiden Kampfhähne herankam. Drei Autos innerhalb von 1,1 Sekunden im letzten Umlauf: Es war ein würdiges Finale für die Formel 1 vor der Sommerpause. Besser: Es schien eines zu sein.
Formel 1:Nachtfahrverbot für den Weltmeister
Die Zeit der Sorglosigkeit ist bei Red Bull und Max Verstappen vorbei. Vor dem Großen Preis von Belgien beschließt das Team in der Krise eine besondere Maßnahme zur besseren Vorbereitung des Champions. Aber die Nerven liegen blank.
Aber es war ein Finale mit einem Nachspiel. Der Rennwagen mit der Nummer 63 unterschritt beim obligatorischen Wiegeprozess und der Entnahme einer Spritprobe die vorgeschriebenen 798 Kilogramm, Russells Auto war anderthalb Kilogramm zu leicht. Ein Kalkulationsfehler, der beim Rennstall lag und den der Teamvertreter bei der Anhörung vor den Rennkommissaren auch zugegeben hatte. Daher konnten die Stewards keine mildernden Umstände gelten lassen, es folgte die Disqualifikation, Russell verlor seinen dritten Formel-1-Sieg wieder. Hamilton rückte nach und feierte damit seinen 105. Formel-1-Sieg.
„Das müssen wir hinnehmen“, hieß es von Mercedes, Teamchef Toto Wolff entschuldigte sich öffentlich beim eigenen Fahrer und will nun sicherstellen, dass sich der Fehler nicht wiederholt. Den positiven Schwung aber dürfe man sich trotz allem nicht nehmen lassen.
Auf der Strecke trennten am Ende einer doch noch höchst spannend gewordenen Ardennenrundfahrt Russell und Hamilton lediglich 0,526 Sekunden – der Mut und Instinkt des 26-Jährigen war belohnt worden. Mit abgefahrenen Pneus hielt er seinen Rivalen hinter sich. Es wäre nicht nur der zweite Saisonsieg für Russell gewesen, sondern auch der erste Doppelerfolg für Mercedes seit November 2022. Dichtauf folgte auf einer der anspruchsvollsten Pisten des Jahres der vom fünften Platz gestartete Oscar Piastri im McLaren. Was die WM-Kandidaten anging: Titelverteidiger Max Verstappen mühte sich vom elften Startplatz noch vor bis auf den nun fünften Platz, aus dem dann später ein Vierter wurde. Damit hielt er sich knapp vor seinem Widersacher Lando Norris, der einmal mehr eine große Chance verzockte. In der Gesamtwertung liegen zwischen den beiden nun 78 Zähler, Verstappen führt mit 265 Punkten.
Trotz verpasstem Podium lautet die Botschaft von Verstappen: Was die Leistung angeht, ist er weiter im Hoch
Nach der Zieldurchfahrt waren alle Augen auf den vermeintlichen Überraschungssieger gerichtet; Russell suchte erst einmal den Schatten, schüttelte den Kopf, er konnte es kaum glauben. Eine „herausragende Strategie“ bescheinigte er nach der Zieldurchfahrt seinem Team. Teamchef Toto Wolff gratulierte zurück: „Du Reifenflüsterer, du!“ Einfach sei es nicht gewesen, mit den am Ende abgefahrenen Reifen, aber die Sturheit und der Instinkt wurden belohnt: „Wir haben gepokert.“
Eine neue Höflichkeit hatte nach den rasenden Beschimpfungen Einzug gehalten in den Funkverkehr von Red Bull Racing, obwohl Verstappen, überlegener Sieger in der verregneten Qualifikation, in den Ardennen anfänglich im Mittelfeld steckte. Das war seinem vierten Motorenwechsel der Saison geschuldet, der automatisch eine Rückversetzung um zehn Startplätze bedeutete. Von eins auf elf, das war zwar bitter, aber trotzdem eine Botschaft: Was die Leistung angeht, ist der Titelverteidiger weiter im Hoch, sein Rennwagen liegt auf der anspruchsvollen Piste auch wieder besser.
Bestes Indiz dafür: Kollege Sergio Perez schaffte es in der bereinigten Startaufstellung auf Platz zwei, nur elf Tausendstelsekunden hinter Charles Leclerc auf der Pole-Position. Doch weder der Mexikaner noch der Monegasse konnten sich lange Zeit ganz vorn sonnen, Lewis Hamilton schoss nach drei Runden an die Spitze. Es ist Leclercs Fluch: Von den 25 Pole-Positionen in seiner Karriere hat er nur fünf in einen Sieg verwandeln können, diesmal wurde er am Ende nachträglich zum Dritten befördert.
Es war ein munteres Rennen, mit selbst zehn Runden vor Schluss schwer zu deutendem Ausgang
Den taktischen Motorenwechsel hatten Verstappen und sein Team schon in den beiden Jahren zuvor in Belgien geprobt, damals konnte er dank der ehemaligen Überlegenheit des Red-Bull-Rennwagens die Rennen noch gewinnen. Diesmal nicht. An den ganz großen Sprung mochte diesmal keiner glauben.
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Lando Norris, Verstappens Verfolger in der Gesamtwertung, ruinierte sich zum wiederholten Mal gleich am Start die Siegchance. Von Platz vier aus kam er erst nicht richtig weg, dann machte er auch noch einen Ausflug über den Randstreifen. Teamkollege Oscar Piastri war vorbei, ohne jegliche Stallorder. Auch mit der Reifentaktik kam er nicht weiter nach vorn und musste sich hinter Verstappen einordnen. Als er es auch im zweiten Versuch nicht an Verstappen vorbei schaffte, leistete er sich wieder einen jener kleinen Schnitzer, die den Unterschied zwischen Champion und Möchtegern-Champion ausmachen.
Was Nuancen in diesem Sport ausmachen können, zeigte am Ende eines munteren Rennens jedoch auch die Waage.