Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven der Formel 1:"Ich bin nicht dumm"

Sieger Verstappen beschwert sich lautstark, Leclerc tröstet die Ferrari-Mechaniker - und Schumacher stellt die Strategie seines Teams in Frage. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Anna Dreher, Barcelona

Max Verstappen

Vor dem Grand-Prix-Wochenende hatte Max Verstappen seinem Teamkollegen Sergio Perez zur Geburt seines Kindes Geschenke überreicht. Einen Strampler, ein Lätzchen, Socken und Sticker zum Spielen, alles im Oranje-Design des niederländischen Weltmeisters. Am Sonntag dann war es Perez, der ihm ein Präsent machte, allerdings unfreiwillig: Der Mexikaner erhielt in Führung liegend zum Rennende hin die Anweisung, Verstappen doch bitte vorbeizulassen. Das verhalf Verstappen zum vierten Saisonsieg und zur Übernahme der Gesamtführung.

Da konnte Verstappen wieder lächeln, nachdem er sich während des Rennens lautstark beschwerte über die Unzuverlässigkeit des DRS. Alle Tipps halfen nur bedingt. "Ich meine, ich bin nicht dumm, sobald du das Licht und den Aktivierungston bekommst, dann drückst du", sagte Verstappen: "Ich habe alles mögliche versucht. Wir haben da eindeutig ein Problem." Dass der Ferrari von Charles Leclerc den Geist aufgab und seine Drei-Stopp-Strategie mithilfe von Perez aufging, machten seinen Arbeitstag dann aber doch zu einem höchst erfreulichen.

Charles Leclerc

Wie bitter, wie überaus bitter! Charles Leclerc hatte nach einem guten Start ordentlich Abstand zwischen sich und die Konkurrenz gebracht. 27 Runden lang ging alles gut, sein erster Verfolger Max Verstappen tauchte erst mit 12,6 Sekunden Rückstand auf. Es wirkte, als könnte er heute ungefährdet gewinnen. Aber auf einmal verlor sein Ferrari Power, Leclerc wurde langsamer und musste aufhören. Die Scuderia will am Montag das Triebwerk untersuchen, um herauszufinden, was passiert ist. "So etwas ist immer enttäuschend, wenn du um die WM kämpfst, da ist jeder Punkt wertvoll", sagte der Monegasse nach seinem ersten Ausfall 2022: "Ich denke, es wäre für die anderen schwierig geworden, mich noch einzuholen."

Nun hat er die WM-Führung an Verstappen abgegeben und sechs Zähler Rückstand. Der 24-Jährige ging professionell mit dem Rückschlag um. "Er ist in die Garage und hat allen Mechanikern die Hand gegeben. Es ist ein starkes Zeichen, wenn Fahrer sowas in einer solchen Situation machen", sagte Teamchef Mattia Binotto bei Sky: "Das zeigt, was für ein Fahrer er ist." Leclerc sah keinen Grund, sauer auf irgendjemanden zu sein: "Ich wollte die Mechaniker aufmuntern, weil sie alle ziemlich niedergeschlagen waren." Die Saison ist jung, die Beziehung zwischen Leclerc und dem F1-75 stimmt grundsätzlich. Und sie würde sicher noch besser, wenn bei seinem Heim-Grand-Prix nächsten Sonntag wieder ein Podestplatz drin wäre.

George Russell

Platz vier in Bahrain, Platz fünf in Dschidda, Platz drei in Melbourne, Platz vier in Imola, Platz fünf in Miami - und nun Dritter in Barcelona. George Russell fährt verlässlich in die Punkte und das oft vor Teamkollege Lewis Hamilton, dem siebenmaligen Weltmeister. Und das, obwohl ihm das Bouncing des W13 zu schaffen gemacht hat. Nun scheint der Rennstall dieses Problem unter Kontrolle bekommen zu haben.

Prompt lieferte sich Russell über Runden ein packendes Duell mit Weltmeister Max Verstappen, dessen Angriffe er lange gekonnt abwehrte. Sein Wagen warnte ihn bei 37 Grad Luft- und 49 Grad Asphalttemperatur vor Überhitzung und gegen Ende traten technische Probleme auf. Russell aber brachte das nicht aus der Ruhe. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff fand: "George hat sich spektakulär gegen Max verteidigt. Die Art und Weise, wie er das Auto positioniert hat, war goldrichtig."

Mick Schumacher

Mick Schumacher war nach einem starken Beginn mit dem Gefühl über den Asphalt gejagt, an diesem heißen Sonntag im Mai womöglich seine ersten Punkte in der Formel 1 holen zu können. Er war als Zehnter gestartet und machte gleich vier Positionen gut. Dann aber folgte die Enttäuschung. "Ich glaube, nach einer sehr guten ersten Runde waren die Hoffnungen doch sehr groß. Aber nach Runde zwei und drei ging das Gefühl los: Oh, das könnte doch schwierig werden", erzählte der 23-Jährige.

Schumacher konnte die Angriffe nicht abwehren. Später stellte er auch die Zwei-Stopp-Strategie seines Teams in Frage. Schumacher beendete das Rennen als Vierzehnter, ohne Zähler, dafür aber vor Teamkollege Kevin Magnussen, der bisher alle 15-WM-Punkte für Haas geholt hat, nun aber als Siebzehnter ins Ziel kam. Das also ist ein Erfolg für Schumacher. Aber ein paar Punkte wären in naher Zukunft wichtig, um sich selbst Druck nehmen zu können. Vor zwei Wochen hatte ein Unfall mit Sebastian Vettel das verhindert.

Lewis Hamilton

Was wäre für den siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton in Barcelona wohl möglich gewesen, wenn nicht der Vorfall in der ersten Runde gewesen wäre? Kevin Magnussen rammte mit seinem Haas in Kurve vier den Silberpfeil, der daraufhin zur Box musste. Hamilton fiel, von Platz sechs gestartet, weit zurück und überlegte gar, vorzeitig Feierabend zu machen. Doch die Motivation kehrte zurück. Für seinen Chef Toto Wolff war die Sache eindeutig: "Wenn Magnussen nicht gewesen wäre, hätte Lewis absolut um den Sieg mitfahren können."

Die Upgrades zeigten die gewünschte Wirkung. Der Circuit de Barcelona-Catalunya liegt Hamilton ohnehin: Er hat hier sechsmal gewonnen, so oft wie sonst nur Michael Schumacher. Die Saison lief bisher äußerst unbefriedigend für jemanden, der nach dem achten WM-Titel strebt. Nun aber war Hamilton laut Mercedes bisweilen der Schnellste im Feld, trotz Aufholjagd. Er kam bis Platz fünf vor, dann stoppte ihn ein Wasserleck, er musste vom Gas gehen. Das trübte die Stimmung aber keineswegs: "Dieses Auto hat mich an unsere Weltmeisterautos erinnert", frohlockte Wolff. Hamilton meinte: "Ein Rennen wie dieses fühlt sich wie ein Sieg an."

Carlos Sainz

Vielleicht so sehr wie kaum ein anderer im Feld muss sich Carlos Sainz in dieser Saison mit seinem Fahrstil auseinandersetzen. Ferrari hat mit dem F1-75 ein Auto entwickelt, mit dem um Siege und Titel gefahren werden kann (siehe Leclerc). Aber der Spanier kommt nicht damit zurecht. Das änderte sich auch nicht bei seinem Heim-Grand-Prix, von dem er sich auch wegen der Upgrades doch so viel erhofft hatte.

Schon der Start lief für den 27-Jährigen schlecht, er verlor zwei Plätze. In Runde sieben landete er in Kurve vier landete er im Kiesbett. "Die Kombination aus der verwirbelten Luft des Autos vor mir und der Windböe hat mich dazu gebracht, das Heck zu verlieren.", erklärte Sainz. Von Platz elf begann eine Aufholjagd, Platz vier als Resultat war ein Trostpflaster. Doch damit setzen sich seine Serie von Enttäuschungen in dieser Saison fort, eine "Kombination von Pech und Fehlern", wie Sainz formulierte.

Aston Martin

Aston Martin wäre an diesem Wochenende gerne aufgrund sportlicher Erfolge im Fokus gestanden. Doch für Sebastian Vettel war nicht mehr drin als Platz elf, Lance Stroll musste sich mit Rang 15 begnügen. Gesprochen wurde trotzdem viel über das Team, weil es von Red Bull offen der illegalen Kopie verdächtigt wurde. Nach den Upgrades hatte sich der AMR22 so stark verändert, dass im Fahrerlager angesichts der Ähnlichkeiten zu vor allem einem Konzept die Rede vom "grünen Red Bull" war.

"Wir werden der Sache bis ins Detail nachgehen", sagte Motorsportchef Helmut Marko, der davon sprach, dass es Beweise dafür gebe, dass Daten von den Team-Servern runtergeladen wurden. Ein Leck also. Er verwies zudem auf den Wechsel von sieben RB-Ingenieuren zu Aston Martin. Der Vettel-Rennstall verteidigt sich damit, bereits seit Mitte 2021 mit zwei Konzepten geplant zu haben. Die Fia untersuchte den Fall und sah keinen Regelverstoß. Fortsetzung folgt, womöglich.

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