Großer Preis von Spanien :Keine Geheimnisse an Flüchtige

Lesezeit: 3 Min.

In Ungnade gefallen: Lewis Hamilton wird von Mercedes nicht mehr in die Weiterentwicklung des Autos einbezogen, aus Sorge, dass er Geheimnisse mit nach Maranello nehmen könnte. (Foto: Josep Lago/AFP)

Vor dem Formel-1-Rennen in Barcelona scheint das Rätsel von Lewis Hamiltons Einbruch gelöst zu sein: Weil er bald den Rennstall wechselt, könnte Mercedes ihm wichtige Einstellungen am Auto verweigern.

Von Elmar Brümmer

Der nachhaltigste Kraftstoff in der Formel 1 war schon immer die Verschwörungstheorie, gern bemüht, die unergründlichen Wendungen im Renngeschehen halbwegs plausibel zu machen. Wie kann es denn sein, dass ein siebenfacher Weltmeister in einem Silberpfeil, der technisch endlich wieder auf Kurs scheint, seinem 13 Jahre jüngeren Teamkollegen beharrlich hinterherfährt. Vielleicht das Alter? Dazu ist Lewis Hamilton mit 39 wirklich zu fit. Kann sich der Brite selbst erklären, was da gerade passiert mit ihm? Eine Malaise ausgerechnet in seiner letzten Saison mit Mercedes, der Marke, mit der er in seiner ganzen Karriere eng verbunden war, und die er im Winter in Richtung Ferrari verlassen wird.

Nach Qualifikationsduellen liegt er eins zu acht gegenüber George Russell im gleichen Auto zurück, was für eine Klatsche. Konspirativ gedacht, blitzt da ein Gedanke auf: der Flüchtige verfügt nicht mehr über dasselbe Material. Er wird nicht mehr in die Weiterentwicklung des Autos einbezogen, aus Sorge, dass er Geheimnisse mit nach Maranello nehmen könnte. In Relation zu den Saisonresultaten vor dem Großen Preis von Spanien an diesem Wochenende wirken die Fantasien angesichts eines nur achten Platzes in der WM-Wertung seltsam. Kann doch fast nicht sein, dieser Absturz.

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Und kryptische Zitate eines enttäuschten Ex-Champions nach dem Rennen in Monte Carlo, als der interne Rivale einen neueren Frontflügel am Auto hatte, bestätigten prima den Glauben an finstere Mächte bei Mercedes – Hamilton: „Aus irgendeinem Grund verliert mein Auto an Leistung.“ Der Realität hält die Interpretation nicht so wirklich stand, wenn man weiß, dass Hamilton ebenfalls die Wahl hatte, aber lieber andere Experimente unternehmen wollte, um endlich den fürs fahrerische Wohlbefinden so wichtigen sweet spot am Auto zu finden. Die Annahme, dass sich Hamilton im ersten Saisondrittel verirrt hat, kommt der Wahrheit wohl am nächsten.

Offenbar hat Hamilton den Glauben an seinen bisherigen Glauben verloren

Aber da war die Geschichte schon in der Welt, und die große Fangemeinde Hamiltons reagierte entsprechend empört, und lud stellvertretend viel Frust auf Russell ab. Am Circuit de Barcelona-Catalunya, wo das erste von drei Rennen innerhalb von drei Wochen ausgetragen wird, widersprach der Social-Media-Champion (37,2 Millionen Follower allein auf Instagram) leicht verklausuliert der Annahme, Russell würde bevorzugt: „Ich denke, wir brauchen Unterstützung, keine Negativität. Wir wollen alle gemeinsam einen guten Abschluss finden.“ Es war seit seiner abrupten Abkehr hin zum italienischen Erzrivalen klar, dass solche Vermutungen irgendwann aufkommen würden. Ist der späte Wechsel doch auch Ausdruck dessen, dass er den Glauben an seinen bisherigen Rennstall verloren hat. Mit seinen jüngsten Ergebnissen hat er den Annahmen entsprechend Vorschub geleistet.

Die Fach-Welt fragt sich, wo er hin ist, der sportliche und der mentale Vorsprung Hamiltons. Seit über 900 Tagen ohne Sieg, das muss nerven. Beim letzten Rennen in Kanada stand Russell auf der Pole-Position und fuhr am Ende mit Rang drei das erste Podiumsresultat für Mercedes in dieser Saison ein, Hamilton strauchelte mit dem siebten Qualifikationsrang und wurde am Ende unglücklicher Vierter. Hinterher, nachdem die beste Siegmöglichkeit des Jahres verschenkt war, gab er schonungslos zu, dass es sich wohl um eine Krise im eigenen Kopf handelt: „Bei diesem Ergebnis mögen einige Dinge eine Rolle gespielt haben, aber vor allem ich selbst. Es sei eines der schlechtesten Rennen gewesen, die er je gefahren ist: „Ich muss nochmal ganz von vorn anfangen. Wenn ich meinen Kopf wieder richtig eingestellt habe, werde ich irgendwann wieder bessere Ergebnisse erzielen.“

Team Ferrari holte ihn ob seiner Motivationskraft – jetzt braucht er sie erst mal selber

Negative Energie in positiven Antrieb zu verwandeln, darin war Lewis Hamilton schon immer ein Meister, angefangen bei den Inteam-Feindschaften mit Fernando Alonso oder Nico Rosberg oder dem nicht minder zerstörerischen Duell mit Max Verstappen bis zum Skandal-Finale von 2021. Diese Verwandlung ist auch jetzt die einzige Chance, die ihm bleibt, um wieder auf Normalniveau zu kommen. Ferrari hat ihn unter anderem ob seiner Motivationsfähigkeit geholt, mit der er ein ganzes Team elektrisieren kann. Oft hat genau diese Champion-Tugend einen Unterschied gemacht, dahin muss der Brite dringend wieder zurück. Jetzt, da sein Auto wieder als siegfähig erscheint.

Paranoia ist da wenig hilfreich. Wenn bei Hamilton der Kopf nicht frei ist, leidet er weit mehr als viele andere Piloten. Der Rekordsieger der Formel 1 definiert sich über seine Leidenschaft, doch die Emotionalität quält ihn auch. Ist seine Psyche aus dem Tritt, ist er anfällig für eine zu große Beeinflussung von außen, verliert auch nach innen an Souveränität. Fast schon verzweifelt experimentiert er in diesem Jahr mit der Technik. Aber mal stimmt der Reifendruck nicht, mal ist die Abstimmung zu riskant – bei einem Mann mit 18 Dienstjahren in der Formel 1 ein klares Zeichen dafür, dass er hochgradig verunsichert ist, seit er seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr genügt.

So ist ausgerechnet die Qualifikation, in der er mit 104 Pole-Positionen einsam den Rekord hält, zum Problem geworden. Im entscheidenden Moment hat er es bislang nicht geschafft, alles aus sich und dem Auto herauszuquetschen. Schlechte Startpositionen bedeuten gerade in dieser Saison einen Nachteil, der kaum mehr wettzumachen ist. Dreimal startete er nur als Siebter, dreimal als Achter, die restlichen dreimal war er Neunter oder schlechter. Er fährt dabei nicht nur gegen die Uhr. Vielmehr scheint es, als sei das eigene Ich zum großen Gegner geworden.

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