Süddeutsche Zeitung

Sieben Kurven in der Formel 1:"Yes, Yes, Yes, Yeah, Yeah, Yeah"

Sebastian Vettel ist überwältigt vom zweiten Platz, Max Verstappen macht dem Reifenhersteller indirekt Vorwürfe und Lewis Hamilton wird die "magische Bremse" zum Verhängnis. Die Höhepunkte des F1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer

Max Verstappen

Das gebrochene Herz als Emoji, kürzer konnte Verstappen im Internet kaum ausdrücken, wie es um seinen Seelenzustand bestellt sein musste. Kaum 18 Kilometer vor seinem zweiten Grand-Prix-Sieg in Folge, mit der Aussicht auf komfortable 15 WM-Punkte Vorsprung auf Lewis Hamilton lag er. Doch dann: Ein Reifenplatzer hinten links, er kam aus dem Nichts. Pirouetten in die Bande, ein aus dem Cockpit fliegendes Lenkrad, ein heftiger Tritt gegen den Plattfuß. Jenseits der Barriere vereinten sich Schock und Frust in Resignation, Verstappen ließ Helm und Kopf auf die Ellbogen sinken. Bei der Siegerehrung für den Teamkollegen Sergio Perez verbarg er die Niedergeschlagenheit hinter einer orangefarbenen Gesichtsmaske. Alles hatte er in den Händen gehabt, alles zerronnen, ohne dass er auch nur den kleinsten Fehler gemacht hätte. Sogar die Reaktion von Reifenhersteller Pirelli ahnte er voraus: "Sie werden sagen, dass es ein Trümmerteil war, über das ich gefahren bin. Aber es kann nicht nur immer das sein, da muss etwas anderes falsch sein." Immerhin: die WM-Führung hat er noch behalten, weil auch Hamilton am Ende vom Glück verlassen wurde. Verstappen drückte die Zukunft wieder in der Zeichensprache aus - mit zwei gekreuzten Schwertern.

Lewis Hamilton

Der klagende Satz "Es lief doch alles so gut..." hätte eine Blaupause von Max Verstappen sein können. Lewis Hamilton genießt diesen Kampf um die WM-Spitze, denn er kann in einem unterlegenen Auto zeigen, was sein Champion-Faktor ist. Als er sich kurz nach dem Start Spitzenreiter Charles Leclerc schnappte, schien alles für ihn zu laufen. Doch dann stand er beim Boxenstopp doppelt so lange wie üblich, auf der Strecke zogen Verstappen und Perez an ihm vorbei. Verstappens Drama spielte ihm in die Hände, aber die erste Reaktion über Funk war die bange Frage: "Ist er okay?"

Vor dem Neustart der letzten beiden Runden war er sich mit den Ingenieuren einig, dass diese WM nicht im Sprint, sondern im Marathon entschieden wird. Dann schnellte er nach vorn, zog im Rad-an-Rad-Duell mit Perez vorbei - und schoss geradeaus in die Auslaufzone. Die Hinterradbremsen waren deaktiviert, von ihm selbst beim Hochschalten am Lenkrad versehentlich verursacht. Ausgebremst von der Funktion "Magical Brake". Damit endet eine Serie: 54 Rennen hintereinander landete er immer in den Top Ten, wenn er die Zielflagge sah - diesmal blieb nur der 15. Rang: "Einer der härtesten Momente, den ich seit einiger Zeit durchmachen muss."

Sergio Perez

Endlich hört das Gerede auf. Anpassungsschwierigkeiten? Pah! Kulturunterschiede? Ach was. Sergio Perez hat sich mit einem Sieg von allem befreit, was ihm an Problemen nachgesagt wurde. Er hat Genugtuung geübt nach seiner Ausmusterung bei Aston Martin, die Zweifler bei Red Bull nach seinem Umstieg mundtot gemacht. Zur Stelle sein, wenn die Nummer eins im Team unpässlich ist, Red Bull Racing zusammen mit Verstappen an Mercedes an die Spitze der Konstrukteurswertung führen. Brav bedankte sich der 31-Jähre beim Konzernlenker Dietrich Mateschitz dafür, noch einmal eine Chance bekommen zu haben.

Fair gesteht er, dass der Sieg Verstappen gebührt hätte, sagt auch "Sorry" über Hamiltons Schicksal - aber wie das eben so sei bei Achterbahnrennen: "Ich hab von der ersten Runde an Vollgas geben müssen, und mit Hamilton im Nacken konnte ich nicht mal richtig atmen." Im entscheidenden Moment nach dem Neustart hatte er an die eigene Ehre appelliert: "Du kannst dieses Rennen unmöglich zwei Runden vor Schluss noch verlieren. Also habe ich so spät gebremst wie es nur ging." Am Ende ist er froh, sein Auto überhaupt über die Ziellinie gebracht zu haben, nachdem vom Kommandostand Hydraulikprobleme diagnostiziert worden waren und die hektische Anweisung an den Fahrer kam: "Mach den Motor aus. Sofort! Mach ihn aus..." Zu Fuß musste der Sieger zum Podest laufen.

Valtteri Bottas

Rang zwölf, knapp vor dem Rookie Mick Schumacher. Mehr muss man nicht wissen über das Wochenende des Finnen, dessen Form ziemlich synchron verläuft zu der seines in die Krise geratenen Mercedes-Rennstalls. Bottas' Flug kam schon zu spät in Baku an, danach brachte er das Auto im Gegensatz zum Kollegen Hamilton an diesem Wochenende nie unter Kontrolle. Blieb nur das Hadern: "Irgendwas stimmt da nicht." Er ahnte wohl auch, dass sein Wunsch nach einer Vertragsverlängerung im Sommer eher als Alptraum enden wird. Gut, dass Personalchef Toto Wolff gerade eine Menge andere Sorgen hat. Überall, wo die Kurven eng und langsam sind, läuft das wohl längste Auto im Feld nicht richtig - wie schon in Monte Carlo. Selbst der Hamilton-Faktor, der durch Nachtarbeit mit den Ingenieuren zumindest zu Beginn des Rennens für ein ungeahntes Comeback führte, reichte am Ende nicht. Bottas ist sowieso zu fern, um dem Team zu helfen, vielmehr wirkt er hilflos. Wolff spricht von einem "hundsmiserablen Wochenende", sieht aber insgesamt auch die ausgleichende Gerechtigkeit: "Erst hat das Karma Max, dann hat es uns getroffen."

Charles Leclerc

Die Geschichte wiederholt sich: Zum zweiten Mal überraschend die Pole-Position zu holen, zum zweiten Mal begünstigt durch Crashs in der Qualifikation. Die Zuneigung des Zufalls allein aber hat nicht dafür gesorgt, dass sich Ferrari nach zwei harten Krisenjahren plötzlich wieder deutlich in Richtung Spitze bewegt. Vielleicht begünstigt durch die Streckencharakteristik, aber generell scheint über den Winter etwas passiert zu sein in Maranello. Die Mannschaft wirkt verschworener, die Technikabteilung besser strukturiert, die Ergebnisse zuversichtlicher. Vierter wird der Monegasse am Ende. Dass er am Anfang leichte Beute für Hamilton war, schiebt Leclerc einem Ast zu, dem er plötzlich vor sich auf der Strecke ausweichen musste.

Es ist die aerodynamische Effizienz, auf die die Roten bauen können, nicht bloß auf Stadtkursen. So soll das neue Fahrzeugkonzept auch angelegt bleiben, tauglich für viele Strecken - abgeguckt ist die Strategie von Mercedes. Das deutsche Werksteam bleibt auch das Vorbild bei der Motorensteigerung, denn noch fehlen dem italienischen Aggregat gut 20 PS. Leclercs Worte sind beinahe euphorisch: "Baku ist ein gutes Zeichen für die Zukunft, wir müssen so weitermachen. Seit unserem missratenen Start im letzten Jahr haben wir viel Arbeit in das Auto investiert. Es sind die vielen kleinen Schritte, die alle in die richtige Richtung gehen. In Summe haben wir einen großen Sprung gemacht."

Sebastian Vettel

Zweites Stadtrennen in Folge, zum zweiten Mal ist Sebastian Vettel in den Punkten - so weit oben, auf Rang zwei, stand er zum letzten Mal im Herbst 2019, und das von Startplatz elf aus. Bei der Zieldurchfahrt stotterte der Hesse vor Freude: "Ha, ha, ha, ha", "Yes, Yes, Yes", "Yeah, Yeah, Yeah". Und freute sich über die Versöhnung mit seinem Dienstwagen: "Das Auto war unglaublich, der Schlüssel zum Erfolg war das gute Tempo." Der vierfache Weltmeister selbst machte auch einen perfekten Job beim Reifenschonen, so konnte er Position um Position nach vorn kommen. "Ich fühle mich wie auf Wolke sieben", frohlockte der 33-Jährige. Und Sieger Perez, sein Vorgänger im Team aus Silverstone, klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter: "Ich freu mich auch für Dich!" Vettel wurde zum Fahrer des Tages gewählt, zieht aber größere Genugtuung aus dem generellen Aufwärtstrend, der für ihn über die Verrücktheiten des aserbaidschanischen Sonntags hinausgeht - und der sich schon mit dem fünften Rang in Monte Carlo angedeutet hatte. Auf Fahrerstrecken kann der Heppenheimer beweisen, dass seine Fähigkeiten, sein Kampfgeist und seine Moral intakt sind. Der ehemalige Ferrari-Rivale Leclerc wird das bestätigen können, das rote Auto wurde zum Opfer des grünen Aston Martin. Vettel ist Realo genug, dass er sich auch über einen vierten Rang gefreut hätte, wenn Verstappen und Hamilton nicht ausgefallen wären: "Wichtig ist nur, dass wir das Momentum jetzt nutzen."

Yuki Tsunoda

Franz Tost, der Teamchef von Alpha Tauri, handelt so, wie er spricht: Kompromisslos in den Worten, schneidend im Ton. Vielleicht macht ihn genau das zu einem der fähigsten Rennfahrerausbilder überhaupt. Mit dem Japaner Yuki Tsunoda hat er ein Talent unter seinen Fittichen, von dem er selbst - völlig unüblich - überzeugt ist, dass der einmal Weltmeister wird: "Er besitzt einen unglaublichen Grundspeed." Doch seit dem starken Debüt in Bahrain gleich mit den ersten beiden WM-Punkten fiel der mit 21 Jahren jüngste Fahrer im Feld mehr durch Fehler und Pöbelei am Boxenfunk auf.

Damit der Lernprozess jetzt so verläuft, wie sich das Tost vorstellt, wurde Tsunoda kurzerhand zum Umzug aus England in die Emilia Romagna gezwungen. Das Red-Bull-Schwesterteam hat seine Fabrik in Faenza. Widerrede zwecklos, wie Tost gleich klar machte: "Es ist ein Geschenk, wenn man von der Insel nach Italien ziehen darf. Tolles Wetter, fantastische Küche, nette Menschen." Dazu kommt allerdings ein heftiger Stundenplan: Vormittags Training, nachmittags Briefings mit den Ingenieuren, anschließend Englischunterricht und weitere technische Meetings. Wenn noch Zeit bleibt, dann fürs Fitnessstudio. Offenbar schlägt der Intensivkurs bereits an: Siebter in der Qualifikation, Siebter im Rennen. Und was sagte der Renn-Azubi? "Ich hatte mir mehr ausgerechnet, so stark wie das Auto war."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5314315
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/schm/cch
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.