Formel-1-Pilot PiastriDer Eismann, der lieber seinem Instinkt vertraut

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Oscar Piastri (vorne) zeigte ein großes Rennen in Baku - und ein waghalsiges Überholmanöver.
Oscar Piastri (vorne) zeigte ein großes Rennen in Baku - und ein waghalsiges Überholmanöver. (Foto: Maxim Shemetov/Reuters)

Wie cool ist dieser Oscar Piastri? Bei seinem Sieg in Baku zeigt der Australier eines der spektakulärsten Überholmanöver, ignoriert dabei seinen Renningenieur - und kann sich trotz Stallorder noch Hoffnungen auf die WM machen.

Von Elmar Brümmer

Vage war sie, die Stallorder, zu der sich McLaren vor dem Großen Preis von Aserbaidschan durchgerungen hatte. Oscar Piastri solle dem WM-Kandidaten Lando Norris Schützenhilfe leisten, dürfe aber gleichzeitig auch gewinnen. Wie sich das Paradoxon elegant und erfolgreich auflösen lässt, hat der 17. WM-Lauf auf spektakuläre Art verdeutlicht. Der Australier gewann am Kaspischen Meer sein zweites Formel-1-Rennen, und Kollege Norris wurde vom aussichtslosen 15. Startrang noch Vierter. Teamchef Andrea Stella frohlockte nicht nur, weil das britische Traditionsteam nun zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder an der Spitze der Konstrukteursweltmeisterschaft steht – sondern weil es Norris war, der Piastri den Weg zum Sieg geebnet hatte. Echtes Teamplay also.

Der als Nummer eins vorgesehene Fahrer befand sich auf dem Straßenkurs genau vor Sergio Perez im Red-Bull-Rennwagen. Der Mexikaner war in der Boxenstopp-Phase des Rennens früher an der Box als Piastri und drohte den zu diesem Zeitpunkt auf Platz zwei liegenden Australier zu überholen. Doch er kam mit frischen Reifen direkt hinter Lando Norris zurück auf die Strecke. Und der machte sich mit seinem papayafarbenen Auto extrem breit und wehrte so alle Angriffe ab, bis Piastri wieder vor Perez auf die Strecke zurückkehren und zu seinem Angriff auf die Spitze ansetzen konnte. „50 Prozent an diesem Sieg gehören deshalb Lando“, betonte der stolze Stella, „das verstehen wir unter Mannschaftsleistung.“ Norris ergänzte: „Ich habe meinen kleinen Teil für das Team beigetragen. Dass wir dadurch den ersten Platz in der Konstrukteurswertung erreicht haben, ist das, was mich am glücklichsten macht.“

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Der umgekehrten Hilfe folgte eines der spektakulärsten Überholmanöver der Saison. Eines, das Piastri so gar nicht erlaubt gewesen war. Denn kurz vorher hatte ihn sein Renningenieur Tom Stallard noch ermahnt: „Fang schonend an mit deinen frischen Reifen.“ Doch der Fahrer vertraute lieber seinem Instinkt: „Ich dachte, wenn ich diese Chance nicht nutze, dann bekomme ich keine weitere mehr. Das Risiko war groß, aber ich musste es einfach tun. Ich wollte einfach nicht Zweiter werden.“

Piastri bremste so spät und hart, dass sein monegassischer Gegner Charles Leclerc förmlich übertölpelt wurde. Dennoch ging er bei dem rasanten Manöver, als er scheinbar aus dem Nichts heran geschossen kam, auch sehr klinisch zur Sache – das ist einfach sein Stil. „Oscar geht sehr methodisch an die Dinge heran“, lobte sein Manager Mark Webber. Danach tobte eine fast einstündige Abwehrschlacht gegen den Ferrari, sodass der Aufsteiger des Jahres zugeben konnte: „Es war der stressigste Nachmittag meines Lebens.“

Mit der Präzision, mit der Oscar Piastri fährt, geht er auch sonst zu Werke

Mit der Präzision, mit der Oscar Piastri fährt, geht er auch sonst zu Werke. Die Huldigungen über Boxenfunk nach seinem erst zweiten Formel-1-Sieg nahm er geschäftsmäßig entgegen, der 23-Jährige scheint hauptsächlich aus Ehrgeiz und Zielstrebigkeit zu bestehen. Der kompromisslose Kernsatz, der ihm zugeschrieben wird, lautet: „Druck ist nur etwas für Reifen.“ Das klingt fast so wie einst Kimi Räikkönen, und tatsächlich hat die Formel 1 mit dem Mann aus Melbourne einen neuen Iceman gefunden.

Auf den freundlichen Hinweis, dass er nun der erfolgreichste Fahrer der vergangenen sieben Rennen sei, antwortete er gelassen: „Vielleicht ist ein anderer der Beste in den letzten acht Rennen gewesen. Ich funktioniere nicht so, dass ich mir nur die Rosinen aus dem Kuchen picke. Es lag ja auch nicht bloß an mir, sondern auch an einem Auto, das überall schnell ist, wenn auch nicht immer das schnellste.“ Tatsächlich sah Ferrari in Baku besser aus – und somit waren es doch wieder die Fahrer und deren Teamarbeit, die den Unterschied gemacht hatten.

McLaren liegt jetzt mit 20 Zählern vor Red Bull Racing in der Geldmeisterschaft, was auch mit dem späten Crash von Sergio Perez zu tun hat. Der Mexikaner hätte noch Zweiter werden können. So aber hat es das britische Dino-Team erstmals seit zehn Jahren wieder ganz nach oben geschafft. Der letzte Konstrukteurstitel datiert aus dem Jahr 1998, nachdem der Erfolg zusammen mit Mercedes 2007 wegen einer Spionageaffäre aberkannt worden war. Ein phänomenaler Aufstieg, wie auch der ehemalige Ferrari-Ingenieur Stella weiß: „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Anfang 2023 als Letzte in die Saison gestartet sind und jetzt die Rangliste anführen. Das ist ein riesiger Meilenstein.“

In der Fahrerwertung liegt Lando Norris noch 59 Zähler hinter Max Verstappen, 206 Punkte sind in den letzten sieben WM-Läufen noch maximal zu holen, beginnend mit dem Nacht-Grand-Prix in Singapur am Wochenende.

Oscar Piastri ist auch noch nicht ganz aus dem Rennen, er liegt nur noch 32 Zähler hinter Norris. Möglich, dass es noch zu einem Mehrkampf um den Titel kommt, so überlegen wie der McLaren momentan erscheint. „Mein Auto ist einfach geflogen“, bestätigte Lando Norris. Andrea Stella reicht das nicht: „Der Wagen ist immer noch nicht schnell genug, damit es langweilig werden kann an der Spitze.“ Red Bull Racing, das nach 55 Rennen den Spitzenplatz der Markenwertung räumen musste, wirkt immer noch verunsichert, verspricht seinem Champion Max Verstappen erst für Mitte Oktober ein verbessertes Auto. Der Niederländer gibt sich trotzig optimistisch: „Sie brauchen auch erst mal einen perfekten Lauf bis zum Ende des Jahres. Der Vorsprung ist immer noch ordentlich.“ Doch er schmilzt.

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