Testfahrten in der Formel 1Wenn die Autos hoppeln wie die Hasen

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Bestzeit in Bahrain: Weltmeister Max Verstappen liegt bei den abschließenden Tests vor dem Saisonstart vorne. Alles nur Teil eines Spiels?
Bestzeit in Bahrain: Weltmeister Max Verstappen liegt bei den abschließenden Tests vor dem Saisonstart vorne. Alles nur Teil eines Spiels? (Foto: Hasan Bratic/dpa)

Die einschneidendste Reform seit 40 Jahren soll die Formel 1 spannender machen. Bei den letzten Tests vor dem Saisonstart überrascht Ferrari, Mercedes liegt ungewohnt weit hinten - die größte Pointe hält die Aerodynamik bereit.

Von Elmar Brümmer, München

Der Staub in der Wüste um den Sakhir hat sich fürs Erste gelegt. Aber ob die Formel 1 nach den letzten drei Testtagen wirklich so viel schlauer ist, was die Favoriten für den Saisonauftakt am kommenden Wochenende auf dem Bahrain International Circuit angeht? Im neuen Rennjahr, nach dem finalen Drama von 2021 nur "Die Revanche" genannt, ist so ziemlich alles anders - was die grundsätzliche Technik angeht. Der größte Reglementeinschnitt seit vier Jahrzehnten soll das festgefahrene Feld befreien, neue Chancen für tatsächlich alle Rennställe und mehr Überholmanöver ermöglichen. Prima Absichten, nachdem Mercedes die Hybrid-Ära gekapert hatte und nur Red Bull Racing auf Augenhöhe war.

Doch dann steht am Ende der Probefahrten im Königreich am Golf wieder die Nummer eins vorn, Weltmeister Max Verstappen. So leicht, als ob die ehrgeizigen Sonderschichten aller anderen umsonst gewesen wären. Nimmt man das Zeitenspiel vom Samstag als Grundlage, dann dürfen die Regelhüter und die Fans trotzdem vorsichtig optimistisch sein. Bereinigt um unterschiedliche Reifenmischungen und Tankinhalte liegt das Feld enger zusammen.

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Das US-Team Haas trennt sich von seinem russischen Hauptsponsor sowie Fahrer Nikita Masepin. Damit wird eine brisante Konstellation aufgelöst - für die Nachfolge als Teamkollege von Mick Schumacher gibt es einen Favoriten.

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Und bis man in der Abschlusstabelle zu Verstappens Gegenspieler Lewis Hamilton kommt, muss man ungewohnt lange scrollen, findet den WM-Zweiten erst auf Rang 17 und mit viereinhalb Sekunden Rückstand. Diese enorme Lücke ist natürlich nicht repräsentativ, sie zeugt lediglich davon, dass der Brite außerstand war, ernsthaft an der Zeitenjagd teilzunehmen. Er zeigt sich sogar generell desillusioniert: "Ich glaube nicht, dass wir momentan um Siege mitfahren können."

Mick Schumacher fährt in Bahrain plötzlich auf Rang zwei vor

So richtig glauben mag dennoch keiner, dass die Konstrukteure des wieder in seiner Originalfarbe erstrahlenden Silberpfeils völlig daneben liegen. Gerade erst ist das Auto mit einer kühnen Lösung der Seitenkästen aufgekreuzt. Testfahrten sind immer auch Versteckspiele, erst im letzten Moment decken viele Rennställe die Karten auf, spielen ihre aerodynamischen Tricks aus. Red Bull ist darin Spezialist, und Verstappens Bestzeit wohl Teil des Spiels. Andere begnügen sich noch mit Simulationen, wie Sebastian Vettels Aston-Martin-Team, das mehr darauf aus war, das neue Auto zu verstehen.

Dass Mick Schumacher mit dem Haas-Ferrari, dem Schlusslicht der letzten Saison, plötzlich auf Rang zwei vorfahren kann, ist auch noch nicht wirklich einzuordnen. Der Deutsche durfte noch zwei Stunden nachsitzen, nachdem sein Rennstall wegen Transportproblemen die erste Session in Bahrain verpasst hatte.

Neuer Teamkollege: Mick Schumacher (links) hat im Dänen Kevin Magnussen einen erfahrenen Piloten im Haas-Rennstall an seiner Seite. Der Vertrag mit dem Russen Nikita Masepin war als Reaktion auf den Ukraine-Krieg beendet worden.
Neuer Teamkollege: Mick Schumacher (links) hat im Dänen Kevin Magnussen einen erfahrenen Piloten im Haas-Rennstall an seiner Seite. Der Vertrag mit dem Russen Nikita Masepin war als Reaktion auf den Ukraine-Krieg beendet worden. (Foto: Mazen Mahdi/AFP)

Die Experten sehen auf der zweiten Position grundsätzlich eher ein anderes Auto, das so weit oben auch schon länger nicht mehr gesichtet worden ist: den Ferrari. Die Italiener hatten die ganze vergangene Saison der Arbeit im Windkanal geopfert, sich auf die Rennwagen mit den größeren Rädern, dem höheren Gewicht und den eingeschränkten Flügelvarianten akribisch vorbereitet. Der Monegasse Charles Leclerc, der auf Rang drei gelandet ist, spricht vom "besten Winter, den ich je erlebt habe".

Schon bei den ersten Tests sind nahezu alle von dem Phänomen namens "porpoising" überrascht worden

Das riesige Problem, mit dem der achtfache Konstrukteurs-Weltmeister Mercedes zu kämpfen hat, ist ganz offensichtlich und keineswegs exklusiv beim deutsch-britischen Rennstall angesiedelt. Schon bei den ersten Testfahrten in Barcelona vor zwei Wochen waren nahezu alle von dem Phänomen namens "porpoising" überrascht worden. Dabei handelt es sich um eine ungeahnte Pointe der Aerodynamik, die in den Windkanälen nicht aufgetaucht war. Ausgerechnet bei Höchstgeschwindigkeit beginnen die Autos zu hoppeln wie die Hasen.

Das ist ungefähr genau das Gegenteil davon, was mit dem neuen Reglement erreicht werden sollte: Rennwagen, die sich auf den Asphalt saugen, deren unzerstörbarer Sogeffekt das Heranfahren und Überholen erleichtern soll. Die Hüpfbewegungen sind weder elegant noch im Sinne der Erfinder, aber physikalisch erklärbar. Die meisten Autos sind auf der Geraden so niedrig, dass der Unterboden der Straße immer näher kommt - der gewünschte Saugeffekt. Doch wenn sie das zu fest tun, also tatsächlich auf dem Asphalt kleben, sorgt das für einen kleinen Strömungsabriss. Dieser lässt kurz das Chassis nach oben schnellen, ehe der Sog wieder einsetzt. Das Auf und Ab der Autos erinnert an die Schwimmbewegungen von Tümmlern (engl. "porpoise") - der Wagen pumpt, die Balance ist dahin.

Wieder in Silber: Mercedes hat das neue Reglement mit einer kühnen Lösung der Seitenkästen aufgegriffen.
Wieder in Silber: Mercedes hat das neue Reglement mit einer kühnen Lösung der Seitenkästen aufgegriffen. (Foto: Mark Sutton/imago)

Die meisten haben das Problem jetzt im Griff, die vorgeschriebenen beiden Lufttunnel im Unterboden sind mit Seitenschlitzen versehen. Prinzipiell wäre es ganz einfach, die Bodenfreiheit der Autos zu erhöhen - aber das würde auf Kosten des Tempos gehen.

Genau diesen Zielkonflikt für die Ingenieure hatte sich Pat Symonds gewünscht. Der britische Techniker, einst bei Benetton berüchtigt für seine Fahrzeuginterpretationen am Rande der Legalität, ist heute der Kopf hinter der Regel-Revolution: "Wir verändern die Formel 1 fundamental und schaffen damit einen Durchbruch." Die erste Rangfolge von Bahrain gibt ihm recht, aber Tests sind noch keine Rennen. Am Ende ist immer alles Physik, aber durch die strenge Kostendeckelung bleibt künftig wenig Zeit und Geld, um über die laufende Saison grundlegende Fehler beheben zu können.

Dieser Turnaround war bislang eine große Stärke von Mercedes. Doch selbst Lewis Hamilton zweifelt, nachdem sein neuer Teamkollege George Russell mit einer Sekunde Rückstand auf Rang fünf landete: "Die Herausforderungen sind in diesem Jahr deutlich größer." Max Verstappen hingegen traut der Konkurrenz nicht: "Es ist doch immer das Gleiche. Eine Woche später sind sie plötzlich wieder da und loben sich für die unglaubliche Arbeit der Mannschaft."

Autos, die sich aufschaukeln, Menschen, die sich verschaukeln - die Formel 1 scheint bereit zu sein für die nächste Achterbahnsaison.

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