Formel 1:Vorne wieder hui, dahinter "die Seuche"

Formel 1: "Das ist exakt der Start in die Saison, den wir uns gewünscht und den wir auch gebraucht haben": Max Verstappen erlebt einen Auftakt nach Maß.

"Das ist exakt der Start in die Saison, den wir uns gewünscht und den wir auch gebraucht haben": Max Verstappen erlebt einen Auftakt nach Maß.

(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Beim Saisonauftakt in Bahrain dominieren Red Bull und Weltmeister Verstappen die Konkurrenz nach Belieben. Ferrari und Mercedes erleben ein Desaster - dafür stürmt Fernando Alonso zurück aufs Podium.

Von Philipp Schneider

Zwei Rennwagen jagten durch die Nacht von Bahrain, 20 Runden waren noch zu fahren, und ein siebenmaliger Weltmeister war auf der Flucht vor einem zweimaligen Weltmeister. Kurve um Kurve rasten sie Heck an Frontspoiler über die Strecke, Rad an Rad beackerten sich die Piloten - dann setzte sich der Verfolger mit einem knallharten Bremsmanöver in einer Spitzkehre vor Lewis Hamilton. Was für ein Duell! Und das gleich zum Auftakt dieser neuen Saison in der Formel 1. Ein bisschen bedauerlich nur, dass der zweimalige Weltmeister nicht Max Verstappen war, von dem man sich aus Spannungsgründen erhofft hatte, er würde sich in diesem Jahr mal wieder ein Duell um die WM mit Hamilton liefern. Sondern Fernando Alonso im Aston Martin, im Kampf um Platz vier.

"Yes, lets go!", rief der 41-Jährige nach dem Erfolgserlebnis gegen seinen alten Rivalen in sein Mikrofon. Und einmal innerlich in Flammen gesetzt, raste Alonso nun immer weiter, schnappte sich elf Umdrehungen vor Schluss nach einem Duell um sieben Kurven auch noch den Drittplatzierten Carlos Sainz im Ferrari. Und so kam es, dass sich Alonso aus dem spanischen Oviedo im ehemaligen Auto von Sebastian Vettel, in dem dieser zwei Jahre lang regelmäßig vor Frust ins Lenkrad gebissen hatte, am Sonntag in Bahrain tatsächlich zum ersten Mal seit November 2021 einen Podiumsplatz schnappte. "Es ist unglaublich, was mein Team über den Winter geleistet hat", sagte Alonso. "Das zweitbeste Auto im ersten Rennen zu stellen, das ist surreal!"

Ferrari geht beim Auftakt der Saft aus, Mercedes kommen Zweifel am eigenen Fahrzeug

Nichts aufregender als der Start in eine neue Saison der Formel 1! Zumindest, wenn sich die Kräfteverhältnisse überraschend verschieben wie im Fall von Alonso. Schade allerdings, wenn diese Justierung im Falle der vermeintlichen Spitzenteams ausbleibt. Aus Sicht von Mercedes und Ferrari geriet der Auftakt zum Desaster. Hatte Charles Leclerc im roten Rennwagen vor einem Jahr noch in Bahrain triumphiert, rollte er diesmal 16 Runden vor Schluss aus, er funkte mal wieder "no power". Die noch schlimmere Nachricht lautete aus Sicht der gestione sportiva: Die roten Rennwagen wären auch ohne technischen Defekt chancenlos gewesen angesichts der Dominanz von Red Bull. "Das ist exakt der Start in die Saison, den wir uns gewünscht und den wir auch gebraucht haben", jubelte Verstappen, als er vor seinem Teamkollegen Sergio Perez über die Zielgerade bretterte.

Mercedes dämmerte schon nach der enttäuschenden Zeitenjagd am Samstag, dass sie ihr komplettes Fahrzeugkonzept infrage stellen müssen. "Der Rückstand ist weiter da. Wir haben nicht aufgeholt, wir haben uns nicht verbessert. Wir müssen eine andere Richtung einschlagen", sagte Teamchef Toto Wolff. Am Renntag wurde Hamilton Fünfter, George Russell Siebter.

Über den Platz dazwischen freute sich Alonsos Teamkollege Lance Stroll, was die fabelhafte neue Stärke von Aston Martin noch deutlicher machte: Der Sohn des Teambesitzers Lawrence Stroll hatte sich bei einem Fahrradunfall beide Handgelenke schwer verletzt, dazu einen Zeh gebrochen. Er musste in dieser Woche operiert und ihm mindestens eine stabilisierende Schraube eingesetzt werden. Das Lenken bereitete ihm große Schmerzen. Und trotzdem hängte sogar Stroll in einem Kundenfahrzeug von Mercedes einen der beiden Silberpfeile ab. "Bei uns: die Seuche", klagte Wolff.

In großen Teilen las sich die Startaufstellung für das erste Rennen des Jahres, als sei sie aus dem Vorjahr entlehnt. Zwei Red Bull vor zwei Ferraris hatte es 2022 oft genug gegeben. Auch dass die beiden Silberpfeile erst mit einigem Abstand folgten, kam einem vor wie ein Déjà-vu. Eine von den Freunden der Chancengleichheit lang ersehnte Pointe lieferte auch da schon Alonso mit der fünftbesten Zeit. Viele erkannten: Der Plan des kanadischen Milliardärs Stroll, Anschluss zu finden, indem er Fachkräfte von der Konkurrenz abwirbt, scheint aufzugehen. Aston Martin holte Aerodynamiker vom Weltmeister-Team Red Bull, dazu einige Ingenieure aus der zweiten Reihe von Mercedes. Und der 41-jährige Alonso brachte die nötige Erfahrung mit, das gar nicht mal schlecht zusammengefügte Auto in Schwung zu bringen.

Rückkehrer Nico Hülkenberg will mal "eine Kuh furzen lassen"

Sofort den Hammer fallen ließ auch Nico Hülkenberg bei seiner Rückkehr nach drei Jahren Pause in die Formel 1. Im ehemaligen Haas von Mick Schumacher qualifizierte er sich auf Anhieb für die Top Ten; sein Teamkollege Kevin Magnussen flog schon im ersten Qualifikationsdurchgang raus, er verlor in der ersten K.-o.-Runde sechs Zehntel auf seinen neuen Teamkollegen. Er wolle alles dafür tun, um im späteren Saisonverlauf mal "eine Kuh furzen zu lassen", kündigte Hülkenberg auf dem Weg in die Startaufstellung an. Dann stieg er ins Auto, und die Kuh schlief leider sofort ein. Er wurde gleich nach dem Start nach hinten durchgereicht und wurde 15. In der Auftaktrunde hatte er sich allerdings den Frontflügel beschädigt - viel zu spät verpasste ihm sein Team eine neue Nase. Hülkenberg bekam außerdem noch eine Fünf-Sekunden-Strafe, weil er die Streckenbegrenzung mehrfach überschritten hatte.

Formel 1: Wieder zurück in der Startaufstellung: Nico Hülkenberg - 2023 der einzige Deutsche in der Formel 1 - wird bei seinem Comeback 15.

Wieder zurück in der Startaufstellung: Nico Hülkenberg - 2023 der einzige Deutsche in der Formel 1 - wird bei seinem Comeback 15.

(Foto: Hamad I Mohammed/Reuters)

Die Ampeln gingen aus in der Steinwüste von Bahrain, und Verstappen raste von der Pole Position los, als könne er es nicht erwarten, den dritten Weltmeistermeisterpokal seiner Karriere in Empfang zu nehmen. Viel schneller als Teamkollege Perez, der vor der ersten Kurve Leclerc vorbeiziehen lassen musste. Alonso wurde direkt in der ersten Runde zum Opfer von Garagennachbar Stroll, der zu spät bremste und den Spanier am rechten Hinterrad traf. Beide Silberpfeile nutzten den Rempler zur Vorbeifahrt an Alonso, und Hamilton überholte Russell.

Und dann raste Verstappen auf und davon - was wenig Gutes für den zu erwartenden Spannungsbogen dieser Saison versprach. Nach sechs Runden hatte der Niederländer bereits vier Sekunden Vorsprung auf Leclerc herausgefahren - und dass sich Perez mühelos im Windschatten des Monegassen hielt, sprach ebenfalls Bände.

Bei Aston Martin wurden Probleme mit dem Funk gemeldet. Es gebe Hall. Andererseits: Wenn es jemandem gefällt, die eigene Stimme doppelt zu hören, dann gewiss Fernando Alonso. Und siehe da: Immer näher schob er sich an das Heck von Russell - und nach 13 Runden rollte er mit überlegener Kraft und viel Können am Mercedes vorbei und schrieb damit den ersten Teil der bestimmenden Geschichte des Tages.

Den Oscar in der Kategorie beste Komödie sicherte sich der Franzose Esteban Ocon: Weil er sich beim Start falsch positionierte, erhielt er zunächst eine Fünf-Sekunden-Strafe. Nachdem er diese in der Box nicht bis zum Ende absaß, kassierte er dazu eine Zehn-Sekunden-Strafe. Und weil er blöderweise in der temporegulierten Gasse auch noch schneller raste als erlaubt, erhielt er noch ein zusätzliches Fünf-Sekunden-Knöllchen. Zum Lachen geriet die Fortsetzung einer Saison, in der Verstappen bereits 15 von 22 Rennen gewonnen hatte, für die Konkurrenten dennoch nicht.

Zumal sich Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko noch eine Spitze in Richtung der am Boden liegenden Silberpfeile erlaubte: "Wir hatten erwartet, dass sie hier mit einem wettbewerbstauglichen Auto an den Start gehen. Wie immer ihr Plan B aussieht, wir lassen uns überraschen."

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