Formel 1Oscar-Reif

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Oscar Piastri freut sich auf dem Podium mit Mercedes-Pilot George Russell, der sich auf den letzten Runden erfolgreich gegen Piastris Teamkollegen Lando Norris wehrte.
Oscar Piastri freut sich auf dem Podium mit Mercedes-Pilot George Russell, der sich auf den letzten Runden erfolgreich gegen Piastris Teamkollegen Lando Norris wehrte. (Foto: Giuseppe Cacace/AFP)

Der Australier Oscar Piastri gewinnt das Formel-1-Rennen in Bahrain und erhöht den Druck auf seinen Teamkollegen Lando Norris. McLaren kämpft nun mit einem Luxusproblem: zwei starke Fahrer im stärksten Auto.

Von Elmar Brümmer, Bahrain

Im Bemühen, Oscar Piastri bei dessen nächtlicher Vorneweg-Fahrt auf dem Bahrain International Circuit bei Laune zu halten, empfahl der McLaren-Renningenieur Tom Stallard seinem Schützling, er möge doch bitte mehr trinken. „Gern“, antwortete der auch prompt, „wenn das Pumpsystem funktionieren würde.“ Genauso kurz, prägnant und schmerzfrei fuhr der Australier auch. Nach dem zweiten Sieg im vierten Formel-1-Rennen der Saison ist er drauf und dran, WM-Spitzenreiter zu werden, ein nicht besonders geheimer Geheimfavorit ist er längst. Drei Punkte nur noch liegt er hinter Lando Norris, der eigentlich für die Nachfolge von Max Verstappen prädestiniert scheint. Aber der Brite nimmt sich gerade wieder eine seiner vielen Krisen. Der Kontrast zwischen den beiden McLaren-Teamkollegen könnte nicht größer sein, das macht dieses Duell noch ein bisschen brisanter.

Drastischer als auf der Wüsteninsel hätten die so unterschiedlichen Charaktere kaum sichtbar werden können. Piastri kann seine Aggressivität im entscheidenden Moment anknipsen. Das hat ihn in Sakhir zum zweiten Mal auf die Pole-Position gebracht. Und auch im Rennen konnte er im einzigen kritischen Moment nach dem Start den drängenden Mercedes-Piloten George Russell abwehren, in dem er einfach nur cool blieb. Der britische Boulevard, tendenziell dem Landsmann Norris verpflichtet, dichtet dem 24-Jährigen Australier natürlich prompt die Oscar-Reife an.

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Tatsächlich befindet sich Piastri schon nach seinem 50. Grand-Prix-Rennen in der aussichtsreichen Position, für die ihn einst der damalige deutsche McLaren-Teamchef Andreas Seidl bei Alpine abgeworben hatte. Die Franzosen hatten das Talent als neuen Fahrer für 2023 vorgestellt, dabei hatte Piastri schon bei den Briten unterschrieben. Die Begründung für den heimlichen Seitenwechsel damals ist typisch: Ihm habe bei Alpine die Klarheit gefehlt.

Fehlende Klarheit beschreibt auch den derzeitigen Gemütszustand seines Rivalen Lando Norris ganz gut. „Irgendwas macht gerade nicht klick“, sagte der 25-Jährige. Norris gilt als der Fahrer im Feld, der sich mit Hilfe seiner Selbstzweifel zu motivierten versucht. Nachdem ihm der als Nummer zwei vorgesehene Piastri im gleichen Auto überlegen und in der Gesamtwertung bis auf drei WM-Punkte nahe gekommen ist, scheint die Selbstkasteiung auch angebracht. Der Brite steckt in einer echten Krise, da geht es ihm wie seinem Kumpel Max Verstappen. Der an seinem Red-Bull-Rennwagen verzweifelnde Niederländer hat neulich behauptet, dass er allen davonfahren würde, wenn er in einem McLaren sitzen würde.

Lando Norris scheint gerade jedenfalls nicht die Nerven dafür zu haben. Nur die sechstbeste Qualifikationsrunde in Bahrain, die er mit der Einschätzung zusammenfasste: „Als ob ich noch nie in einem Formel-1-Auto gesessen hätte.“ Der Fehlstart im Rennen, als er über seine Startbox hinausgerollt war. Der vergebliche Versuch, am Rennende noch an George Russell im waidwunden Silberpfeil vorbeizukommen. Danach saß er dann auf der Couch für die Interviews und musste zugeben: „Ich wünschte, ich wüsste eine Antwort auf das alles.“

George Russell (links) verteidigt den zweiten Platz gegen Lando Norris.
George Russell (links) verteidigt den zweiten Platz gegen Lando Norris. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Piastri war im Schnitt 0,185 Sekunden pro Runde schneller als er. Selbst über seinen Sieg in Melbourne lamentierte Norris: „Es ist alles völlig anders als im vergangenen Jahr. Ich habe mich nie richtig wohlgefühlt. Ich erreiche nicht annähernd die Möglichkeiten, die mir das Auto gibt.“ Aber Norris verbittet sich die Annahme, er würde in einer Negativspirale stecken: „Wenn ich nicht zeigen würde, wie ich fühle, wäre es noch viel härter für mich.“ Er behauptet, gelernt zu haben, seine Gedanken von seinen öffentlichen Kommentaren trennen zu können. Dann wird seine Sehnsucht noch einmal deutlich: „Ich wünschte, ich könnte eines Tages auch wieder mit meinem Auto tanzen.“

Teamchef Andrea Stella, der zum Wohl der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft als Gleichstellungsbeauftragter zwischen seinen beiden Fahrern fungiert, weiß auch, dass sich die Beziehung der Piloten gerade an einem sensiblen Punkt befindet. Sollte Piastri beim Rennen am Osterwochenende in Saudi-Arabien erneut an Norris vorbeiziehen, wird sich die Psychologie des Miteinanders für alle verändern, die Rivalität verhärten.

McLaren-Boss Brown sieht in den unterschiedlichen Charakteren einen Vorteil

„Oscar hat keine Stimmen im Kopf, was in der Formel 1 sehr nützlich ist“, analysiert Stella, „dadurch verarbeitet er in entscheidenden Situationen alle Informationen besser und verbessert sich sehr schnell.“ Norris hört zu sehr auf Nebengeräusche, versucht seinen Frust öffentlich zu verarbeiten, während Piastri in ähnlichen Momenten seine Lippen zu einem Strich werden lässt. Stella sagt auch, dass er Norris dafür bewundere, die Schuld immer zunächst bei sich zu suchen. Das mache sein Leben als Teamchef leichter. McLaren-Boss Zak Brown sieht in den so unterschiedlichen Mentalitäten seiner Schützlinge einen Vorteil: „Oscar und Lando lernen voneinander, so machen sie sich gegenseitig Druck und damit besser.“ Die Frage ist nur, wer diesem Druck auf Dauer besser widerstehen kann.

Denn offen bleibt, was beim Luxusproblem zweier starker Fahrer im stärksten Auto schwieriger sein dürfte: Einen bei Piastri überlegen funktionierenden Rennwagen wieder so umzubauen, dass Lando Norris besser damit klarkommt, was gerade probiert wird? Oder doch den Kopf des Briten umprogrammieren? Oscar Piastri wirkt in seiner neuen Rolle jedenfalls sehr überzeugend: „Ich bin sehr zufrieden mit den Möglichkeiten, die mir das Auto gibt.“

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