Lewis Hamilton in der Formel 1:Als Botschafter durchs wilde Schurkistan

Formel 1: Lewis Hamilton beim Großen Preis von Bahrain 2021

Lewis Hamilton ist nicht nur Formel-1-Weltmeister, sondern auch Frontmann der Black-Lives-Matter-Bewegung.

(Foto: imago images/PanoramiC)

Die Formel 1 lacht Corona ins Gesicht und startet eine Rekordsaison - mit weiteren Stopps in Schurkenstaaten. Lewis Hamilton will seine Stimme und seine Position nutzen, um zu helfen.

Von Philipp Schneider, Manama

Die Formel 1 rollt heran, unaufhaltsam wie die dritte Welle. Doch vielleicht nirgendwo stemmen sich die Protagonisten des Vollgasgeschäfts der Pandemie so effektiv entgegen wie im Königreich Bahrain. Dort, wo sich die Kräfte der Formel 1 mit denen eines gut geölten autokratischen Staatsapparats mischen, der sich seit Jahren auf die Unterdrückung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im Land spezialisiert hat.

Manama Airport. Mittwochabend. Gerade erst raus aus dem Flieger, entdecken alle ausländischen Fluggäste Schilder, auf denen der eigene Name zu finden ist. Oder zumindest Vorname, zweiter Vorname, kein Nachname. "Hello my friend", sagt der freundliche, auf Smalltalk spezialisierte und dabei zum Glück astrein maskierte Bahrainer, der einem nicht mehr von der Seite weichen wird auf dem gemeinsamen Weg bis zur Corona-Teststation. Die so riesig ist, dass sie in eigenem weißen Zelt vor den Toren des Airports untergebracht ist.

"Number 421, Counter 7; Number 423, Counter 15; Number 425, Counter 2...". Es geht zack, zack! So viel orchestrierte Bewegung gab es in einer deutschen Behörde noch nie. Schritt hinter den Vorhang. Treffen mit einem medizinisch Vollvermummten. Ein tiefer Stich in die Nase. Nach gerade mal 35 Minuten sind alle Insassen des ausgebuchten Linienflugs Gulf Air "GF16" von Frankfurt am Main nach Manama ausgecheckt, am Paketband mit Koffer versorgt und frisch auf Corona getestet. Und dann einzeln in Taxis verfrachtet, die den Gast in ein Hotel karren, wo er wartet, bis das Ergebnis erscheint. Auf der schönen blauen App "Be Aware Bahrain". Dem Realität gewordenen Albtraum aller Datenschützer.

Cash is King! Mehr denn je

Die App funktioniert nur, wenn sie verknüpft wird mit den Daten des Reisepasses. Bluetooth? Läuft. Ortung des Handys? Rund um die Uhr! Schön übersichtlich ist die App auch: Auf der Startseite informiert sie den Benutzer dankenswerterweise darüber, dass er nicht geimpft ist. Gut, könnte er vielleicht selbst sogar besser wissen. Und sie verrät auch die tagesaktuellen Zahlen aus Bahrain: 7379 aktive Fälle, 108 Patienten in akuter medizinischer Behandlung. 49 kritische Fälle. Bahrain hat nur 1,5 Millionen Einwohner.

Die Sieben-Tage-Inzidenz? Liegt am Donnerstag bei 304. Trotz Orwellscher Totalüberwachungs-App und Außentemperaturen von 33 Grad Celsius. Kann also losgehen.

Gentlemen, start your engines!

Die Formel 1 lebt gerade vor, wie es sich einer trauen kann, auf dem mutationsreichen Wendepunkt der Pandemie eine internationale sportliche Großveranstaltung durchzuziehen. Kein uninteressanter Versuchsaufbau im Jahr der im Sommer zumindest noch immer geplanten Olympischen Spiele in Tokio. Wenngleich die Zahl der Athleten und Betreuer in Bahrain sehr viel geringer ist.

Vor einem Jahr stand der damals noch sechsmalige Weltmeister Lewis Hamilton im Mittelpunkt des geplanten Saison-Auftakts der Formel 1. Damals raunte er seine Bedenken, es fühle sich falsch an, dass sich nun alle dicht an dicht drängten auf einer Pressekonferenz. An einem Tag, an dem die USA wegen der Pandemie soeben die Grenzen dichtgemacht hatten, um sich abzuschirmen vor Reisenden aus Europa. Damals, im März 2020, weilten Hamilton und die Formel 1 in Melbourne, im liberalen Australien - und die Welt stand vor dem Beginn der ersten Welle. "Cash is King", ätzte Hamilton auf die Frage, warum er glaube, dass die Formel 1 trotzdem loslegen wolle in ansteckenden Zeiten. In diesem pointierten Satz steckte und steckt noch immer so viel Wahrheit, dass er die Renngemeinschaft derart aufschreckte, dass sich die Teams genötigt sahen, ihre Garagen zu räumen und das Rennen abzublasen.

Ende März 2021 steht die Welt längst im gefühlt zweiten Basislager der dritten Corona-Erhebung. Die Infektions-Zahlen sind weit höher als im Vorjahr. Australien hat abgewinkt als Veranstalter der Jahresanfangssause und den eigenen Termin verlegt in den November. Aber bei der Formel 1, insbesondere in Bahrain, arbeiten ja Hygiene-Profis.

Lewis Hamilton, inzwischen siebenmaliger Weltmeister, steht wieder im Mittelpunkt. Aber diesmal nicht wegen seiner politischen Botschaften. Denn das aufwendige Hygiene-Konzept der Formel 1 hat sich ja im Vorjahr tatsächlich bewährt, wenngleich sich der Rennzirkus da noch überwiegend auf Stationen in Europa konzentrierte. Was also macht die Formel 1 in dieser Saison? Sie lacht der Seuche einfach mal ins Gesicht. Plant ein Jahr mit 23 Rennen auf fünf Kontinenten. So viele gab es noch nie. Cash is King! Mehr denn je. Weil die Pandemie die Formel 1 und insbesondere die kleineren Teams im Vorjahr finanziell fast zerrissen hätte. 2019 hatte die Rennserie noch einen Gewinn von 17 Millionen US-Dollar erwirtschaftet. Ein Jahr später machte sie 386 Millionen Dollar Verlust.

March 13, 2021, Sakhir, Bahrain: LEWIS HAMILTON of Great Britain and Mercedes-AMG F1 Team drives during day two of the 2

Der schwarze Bolide vor Palmen: Lewis Hamilton bei Testfahrten in Bahrain.

(Foto: James Gasperotti /Zuma/imago)

Also rast sie nun mit ihrem wichtigsten Botschafter in eine Zukunft, die für beide ungewiss ist: Am Ende der Saison könnte Lewis Hamilton seinen inzwischen achten Weltmeisterpokal stemmen. Damit wär er nach Zahlen der größte Rennfahrer der Geschichte. Er hätte dann tatsächlich einen Titel mehr gewonnen als Michael Schumacher. Und von dem dachten ja viele vor gar nicht allzu vielen Jahren noch, er wäre noch Rekordweltmeister, wenn in Gorleben der Atommüll nicht mehr strahlt.

Tja, aber was macht Sir Lewis Hamilton 2022?

Als er sich Anfang Februar, nachdem er an Silvester von der Queen zum Ritter geschlagen worden war, und nach einem irren Hin und Her in den Verhandlungen mit seinem Rennstall Mercedes auf einen neuen Vertrag einigte, da überraschte er mit einer Minimallaufzeit: Ende des Jahres ist Schluss. Es sei denn, er setzt sich im Sommer schon wieder an den Verhandlungstisch mit Teamchef Toto Wolff.

Ein Verzicht auf all die Rennen in den Schurkenstaaten käme die Formel 1 teurer

Die kurze Laufzeit der Vereinbarung lässt sich gut damit erklären, dass beide Seiten auf eine Verbesserung der Verhandlungsposition hofften. Hamilton dürfte erkannt haben, dass das ansonsten rundum wundersame Coronavirus nicht dazu neigt, die Gehälter von Rennfahrer-Millionären noch weiter nach oben zu mutieren. Wolff und seine Teamchef-Kollegen auf der anderen Seite sind nicht abgeneigt vom Gedanken, in absehbarer Zeit einen Kostendeckel für Fahrergehälter einzuführen. In allen anderen Bereichen hat sich die Formel 1 schon das Sparen auferlegt, die Gehälter sind die letzte verbliebene Stellschraube.

Hamilton hat sich längst ein politisches Repertoire angeeignet, mit dem er nach der Karriere ganz andere Bühnen bespielen könnte als den flirrenden Asphalt des Bahrain International Circuit. Als Frontmann der Black-Lives-Matter-Bewegung hat er nicht nur Mercedes dazu gebracht, den Lack der Silberpfeile schwarz zu streichen. Er hat auch den politischen Druck auf das traditionell wenig wendige Management der Formel 1 so erhöht, dass es gar nicht anders konnte, als eine von Hamilton erdachte Protest-Choreografie gegen Rassismus vor den Rennen zuzulassen. Diese Geste kostet die Formel 1 allerdings kein Geld. Im Gegensatz zu einer anderen, immerhin theoretisch möglichen: den Verzicht auf all die Rennen in den Schurkenstaaten.

Im November, als er zuletzt in Bahrain fuhr, sagte Hamilton, er habe Post bekommen von drei politischen Gefangenen im Königreich, einer von ihnen war zum Tod verurteilt. Er habe sich mit ihren Anliegen noch nicht eingehend auseinandergesetzt, aber klar sei: "Jeder Sport muss seine Plattform nutzen, um auf Veränderungen zu dringen." Die Menschenrechtslage sei "in so vielen Ländern, in denen wir fahren, ein massives Problem". Er versprach, seine Position und Bedeutung zu nutzen, um zu helfen. Als er nun am Donnerstag gefragt wurde, ob er inzwischen weitergekommen sei im Kampf um die Menschenrechte in Bahrain, wollte er keine Details nennen. Er sagte nur, er habe mit Verantwortlichen gesprochen, wolle aber die Verhandlungen nicht gefährden.

In diesem Jahr nun hat die Formel 1 ihre globale Rundfahrt durchs wilde Schurkistan sogar noch ausgeweitet. Sie hält eine Etappe ab in Saudi-Arabien, wo bekanntlich mit Billigung des Prinzen kritische Journalisten schon mal mit der Knochensäge zerteilt werden. Es wartet also noch viel Arbeit auf Sir Lewis Hamilton. Und die Erfahrung zeigt: Wenn er nichts sagt, ändert sich gar nichts.

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