Sieben Kurven der Formel 1:Entscheidung in Kurve vier

Lewis Hamilton profitiert von einer veränderten Regelauslegung während des Rennens, Fernando Alonso scheitert an einem Sandwichpapier und Mick Schumachers Auto ist so langsam wie befürchtet.

Von Philipp Schneider, Manama

Max Verstappen

F1 Grand Prix of Bahrain

Max Verstappen führt vor Lewis Hamilton

(Foto: Bryn Lennon/Getty Images)

Freute sich über die vierte Pole Position seiner Karriere so sehr, dass er dem ehemaligen Rennfahrer und gegenwärtigen TV-Experten David Coulthard am Samstag dessen eigene Geburtstagstorte ins Gesicht drückte. Im Rennen dann hatte der Red-Bull-Fahrer das schnellste Auto, machte eigentlich (fast) alles richtig - und wurde doch nur Zweiter hinter Lewis Hamilton. Wie konnte das passieren?

Zunächst verlor er seine Führung an Hamilton, weil die Rennstrategen von Mercedes erkannten, dass sich derjenige einen Vorteil erarbeiten würde, der als erster an die Box fährt zum Reifenwechsel. Mit einem solchen "Undercut" eroberte sich Hamilton dann auch die Führung. Diese hätte er aber kurz vor Rennende nach einem ebenfalls früheren zweiten Stopp wieder an Verstappen verloren. Hätte der nicht kurz vor Schluss beim Überholen des siebenmaligen Weltmeister mit allen vier Rädern die sogenannten "Track Limits" überschritten, also den erlaubten Bereich. Sein eigenes Team forderte Verstappen danach auf, den Platz wieder zurückzugeben. Aber es gab nun eine Debatte, ob die Entscheidung richtig war.

Im Qualifying noch war die Sachlage klar: Wer es in Kurve vier übertreibt und mit allen vier Rädern neben die Bahn gerät, dem wird die Zeit gestrichen. Im Rennen war dann zu erleben, wie einige Piloten die Ideallinie in besagter Kurve sehr freigiebig auslegten - und dies zumindest geduldet wurde. Bis eine Warnung der Rennleitung erging, die Mercedes an Hamilton weitergab. "Aber ich fahre doch schon die ganze Zeit so?", fragte Hamilton im Funk. Selbst Mercedes-Teamchef Toto Wolff gab zu, dass die Anweisungen der Rennleitung diesmal etwas konfus waren. "Ich bin verwirrt. Denn vor dem Rennen hieß es, es würde keine Strafen geben, wenn man den Wagen in Kurve vier hinaustragen lässt. Dann auf einmal im WM-Lauf kam die Mitteilung - wenn das weiter getan würde, werde das als Gewinnen eines unerlaubten Vorteils angesehen und geahndet", sagte Wolff. "Letztlich war es so, dass diese Entscheidung uns den Sieg gebracht hat. Weil Max die Position nach seiner Attacke zurückgeben musste." Rennleiter Michael Masi erklärte später, es sei in der Fahrerbesprechung klar kommuniziert gewesen, dass Verstöße beim Verlassen der Fahrbahn nicht überwacht würden, solang es nur um die Rundenzeit geht. Sobald damit aber ein anhaltender Vorteil - wie ein Überholmanöver - gewonnen würde, müsse er einschreiten.

Die Ansage hatte offenbar nicht mal Wolff verstanden, der dafür plädierte, das Regelwerk müsse "klar und heilig sein, und kein Shakespeare-Roman mit Interpretationsmöglichkeiten".

Verstappen nahm die Angelegenheit sportlich, sagte aber: "Ich habe schon den Eindruck, dass diese Regel nicht immer konstant gleich angewendet wird."

Lewis Hamilton

Sieben Kurven der Formel 1: Wieder Sieger, doch diesmal musste er härter kämpfen als gewöhnlich: Lewis Hamilton.

Wieder Sieger, doch diesmal musste er härter kämpfen als gewöhnlich: Lewis Hamilton.

(Foto: ANDREJ ISAKOVIC/AFP)

Ja, es gab und gibt noch ein paar Rekorde von Michael Schumacher, die Lewis Hamilton noch nicht gebrochen hat. Aber seit Sonntag ist es mal wieder einer weniger. In der 43. Runde des Großen Preis in Bahrain erlebte Hamilton die 5112. Führungsrunde seiner Karriere - eine mehr als Schumacher. Noch weit mehr dürfte ihn erfreut haben, dass er den Saisonauftakt gewann, obwohl Verstappen derzeit das bessere Auto fährt. Selten wurde an der Dominanz von Mercedes so sehr gerüttelt. In den Testfahrten, im Training und im Qualifying war Red Bull überlegen, auch im Rennen hatten sie das schnellere Auto. Aber dann bewies Hamilton mal wieder, was ihn so erfolgreich macht: Er fährt genau dann schnell, wenn es drauf ankommt. Wie in jener Phase, als er nach dem ersten Stopp auf frischen Reifen Boden gut machen musste auf Verstappen - und dann mal wieder ablieferte. Und was die Track-Limits in Kurve vier angeht? Dort hatte auch Hamilton schön regelmäßig den zulässigen Bereich verlassen und sich so wertvolle Zehntel ergattert. Aber eben nur so lang, bis es verboten wurde. Manchmal ist es die Summe von Kleinigkeiten, die einen zum siebenmaligen Weltmeister macht.

Mick Schumacher

F1 Grand Prix of Bahrain - Qualifying

Hat sein erstes Rennen hinter sich: Mick Schumacher.

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

In der Nacht vor Mick Schumachers erstem Rennen in der Formel 1 war ein Sturm aufgezogen über der Wüsteninsel Bahrain. Die Palmen bogen sich im Wind, Sand wehte auf die Strecke. "Es ist wie im Windkanal", scherzte Hamilton. 20 Grad zeigte das Thermometer, so kalt war es noch nie bei einem Rennen in Bahrain.

Und nach seinem Dreher könnte man nun herleiten und sagen: Einmal wurde Mick Schumacher vom Wüstenwind verweht. Sonst sah alles ganz ordentlich aus, bloß sein Auto, der Haas, ist wirklich so lahm wie zu befürchten war. "Ich war nach der Safety-Car-Phase mit kalten Reifen ein bisschen zu früh auf dem Gas und habe gleich das Heck verloren", analysierte Schumacher nach dem Rennen. "Es war auch wegen der Windbedingungen nicht so einfach heute, das Auto auf der Strecke zu halten." Deshalb der Dreher, gleich zu Beginn. Und dass es überhaupt eine Safety-Car-Phase gab, das war die Schuld seines Teamkollegen Nikola Masepin, der von der Strecke kreiselte und so Schumacher zum eindeutigen Sieger im teaminternen Duell werden ließ. Es deutet sich an, dass er wohl eine sehr einsame Saison verbringen wird. Vielleicht schiebt er sich in Zukunft hier und da mal vorbei an einem Williams. Aber 16. wie am Sonntag wird er realistisch betrachtet oft nur werden, wenn vier Autos die Zielflagge nicht sehen.

Fernando Alonso

F1 Grand Prix of Bahrain

Wieder da: Fernando Alonso.

(Foto: Bryn Lennon/Getty Images)

Nicht nur Mick Schumacher beging in Manama ein Jubiläum, als er 30 Jahre nach seinem Vater bei einem Formel-1-Rennen debütierte. Ein etwas kleineres Jubiläum feierte auch der zweimalige Weltmeister Fernando Alonso: Nachdem er vor 20 Jahren in Melbourne erstmals in der Königsklasse gefahren war, kehrte er nun nach seinem Abschied vor zweieinhalb Jahren wieder zu ihr zurück. Vor dem Start sprach er wie ein Kind mit Schultüte vor der Einschulung: "Ich werde erstmals wieder in der Startaufstellung stehen, das erste Mal seit der Rückkehr wieder versuchen, mich in der ersten Kurve aus allen Scharmützeln rauszuhalten, die ersten Boxenstopps erfahren, die nur zwei Sekunden dauern und die sich sehr neu anfühlen werden. Ich freue mich schon darauf, die vielen neuen Dinge zu erleben."

Das war überragend kokett. Ein Fernando Alonso verlernt ja das Rennfahren nicht. Und niemand weiß das so gut wie er. "Ich bin besser", hatte er vor wenigen Tagen in einem BBC-Interview gesagt. Er war gefragt worden, wie er sich denn mit den aktiven Formel-1-Piloten wie Lewis Hamilton oder Max Verstappen vergleiche. In Bahrain stellte er dann seine Version der Dinge dar. Es war nämlich so: Er hat die Frage total falsch verstanden! "Ich dachte, die Frage wäre: Bist du so gut wie 2018, als du den Sport verlassen hast?", erzählte Alonso. Und deshalb habe er statt dem englischen "better than them" (besser als sie) geantwortet, er sei "better than then" (besser als einst). Nun ja. Englisch ist eine komplexe Sprache.

Nach seinem zweiten Boxenstopp lag Alonso am Sonntag auf Platz 14, als er plötzlich über Bremsprobleme klagte und sein Auto abstellen musste. Nach Auskunft von Alpine-Geschäftsführer Marcin Budkowski war der Grund dafür, Achtung: ein Sandwichpapier! "Es steckte im hinteren Bremsschacht von Fernandos Auto, was zu hohen Temperaturen führte und einen Schaden an der Bremsanlage verursachte, sodass wir ihn aus Sicherheitsgründen aus dem Rennen nehmen mussten."

Und so hatte Fernando Alonso in seinem 312. Rennen in der Formel 1 tatsächlich noch etwas Neues erlebt.

Yuki Tsunoda

F1 Grand Prix of Bahrain

Aufsteiger aus der Formel 2: Yuki Tsunoda

(Foto: Peter Fox/Getty Images)

Als Fernando Alonso im März 2001 in Melbourne erstmals in ein Formel 1 Auto stieg, war Yuki Tsunoda neun Monate alt. Inzwischen ist der in Sagamihara in der Präfektur Kanagawa geborene Japaner 20 Jahre alt. Und er ist neben Mick Schumacher und Nikita Mazepin einer von drei Aufsteigern aus der Formel 2. Tsunoda war als Gesamt-Dritter befördert worden, nachdem er gleich in seiner Debüt-Saison in Silverstone, Spa und Sakhir gewonnen hatte. Weil er nur 1,60 Meter groß ist, waren in der Formel 1 einige Umbauarbeiten notwendig an seinem Alpha Tauri. Zunächst mussten sie das Cockpit aufschäumen, um die Sitzposition zu erhöhen. "Damit ich eine klare Sicht habe", erklärte Tsunoda. Zudem musste ein spezielles Pedalgehäuse angefertigt und installiert werden, damit er mit seinen Beinen besser heranreicht.

Dass sich die Mühen lohnen, beweist Tsunoda seit Wochen: Schon bei den dreitägigen Tests in Bahrain legte er im Ausbildungsflitzer von Red Bull die zweitbeste Zeit vor. Und auch am Renn-Wochenende brachte der 20-Jährige dann den Nachweis, weshalb ihm viele zutrauen, irgendwann der erste Rennsieger in der Formel 1 aus Japan zu werden. Dank eines tollen Manövers in der letzten Runde wurde er Neunter und sicherte er sich zwei Punkte. Doch Tsunoda, der im Funk gerne mal so deftig flucht, dass ihn die Regie überpiepen muss, war nur "50 Prozent" glücklich. Er kritisierte nicht das Auto, nicht die Gegner, er kritisierte sich selbst. "Ich habe gleich auf der ersten Runde viele Punkte verloren." Da war er von Startrang 13 auf Platz 15 zurückgefallen: "Das war mein großer Fehler."

Sergio Perez

Sieben Kurven der Formel 1: Sergio Perez beim Grand Prix in Bahrain.

Sergio Perez beim Grand Prix in Bahrain.

(Foto: ANDREJ ISAKOVIC/AFP)

All die neuen Knöpfe. Ein völlige neues Lenkrad. Was also tun? Als Sergio Perez in der Einführungsrunde liegenblieb mit seinem Red Bull, da war für ihn das Rennen eigentlich vorbei. "Mitten in der Kurve hat sich einfach alles abgeschaltet", erklärte Perez später. Während die Rennleitung schnell entschied und den Startvorgang abbrach, um eine weitere Einführungsrunde anzusetzen, war der 31-Jährige ganz auf sich gestellt. "Ich konnte nichts hören, auch nicht meine Ingenieure", sagt er. "Ich war schon im Begriff, aus dem Auto zu steigen." Doch als die Streckenposten die Bergung in Angriff nehmen wollten, schickte Perez sie weg. Im letzten Moment gelang es ihm, seinen Dienstwagen wieder anzuschmeißen. "Ich habe das Auto einfach wieder gestartet und bin weitergefahren."

Keine schlechte Leistung für jemanden, der den Red Bull noch gar nicht so gut kennt, weil er vor der Saison erst aus dem Auto geholt wurde, in dem Sebastian Vettel nun sitzt: dem Aston Martin, ehemals bekannt als Racing Point. Die Selbsthilfeaktion lohnte sich für Perez. Er musste zwar aus der Box starten, dann aber zeigte er eine starke Fahrt und überquerte nach 56 Runden die Ziellinie sogar noch als Fünfter. Dafür gab es Lob von Teamchef Christian Horner: "Seine Überholmanöver und seine Pace waren sehr stark. Das sollte ihm Mut machen."

Sebastian Vettel

Sieben Kurven der Formel 1: Grünes Auto, alte Probleme: Sebastian Vettel.

Grünes Auto, alte Probleme: Sebastian Vettel.

(Foto: GIUSEPPE CACACE/AFP)

Ach, Vettel. Was soll man da noch sagen? Der Plan klang ja eigentlich ganz gut. Da wechselt ein glückloser Rennfahrer aus einem unterlegenen Ferrari zur kommenden Saison in ein wundersames Auto, das unter dem Namen Racing Point die halbe Formel 1 wuschig macht, weil es eigentlich ein frech nachgebauter Mercedes ist. Das Auto wird grün umlackiert, in Aston Martin umgetauft. Und dann setzt sich Vettel rein - und mit ihm zieht all das ein ins Cockpit, was ihn schon bei Ferrari so unglücklich machte: Ungeschick, Verbremser, Rammstöße. Das volle Programm.

Am Samstag wird Vettel am Ende der Qualifikation, die er als 18. beendetet hat, strafversetzt ans Ende des Feldes. Weil er zwei gelbe Flaggen missachtet und trotzdem gasgegeben hat. Im Rennen dann gibt es erst einen Fehler ohne Fremdeinwirkung - und dann eine wilde Fahrt ins Heck von Esteban Ocon, für die ihn die Rennkommissare mit einer 10-Sekunde-Strafe ahnden. Am Ende: 15. Platz, Vorletzter. Grün ist die Enttäuschung. Wer trägt die Schuld? "Ich fühle mich nicht zu Hause im Auto, viele Dinge kämpfen da gegen mich, sodass ich mich nicht aufs Fahren konzentrieren kann", sagt Vettel. "Es gibt viele Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Die anderen waren teilweise zwei Sekunden schneller." Lance Stroll, sein Teamkollege, wird am Ende Zehnter. Das ist fünf Plätze besser.

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