Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Hamilton kassiert eine Zeit-, Vettel die Höchststrafe

Beim turbulenten Formel-1-Auftakt in Spielberg unterlaufen vielen Piloten erstaunliche Fehler. Es siegt ein eiskalt-souveräner Bottas im Schwarzpfeil.

Von Philipp Schneider

Die Formel 1 ist schon immer ein Wettbewerb um die prächtigsten Bilder gewesen. Jedes Rennen produziert Szenen, die bleiben. Der um 112 Tage verspätete Auftakt der Formel 1 in Spielberg lieferte Hunderte außergewöhnliche Motive: Männer mit Masken. Leere Tribünen. Piloten mit Anti-Rassismus-Shirts. In Schwarzpfeile umlackierte Silberpfeile. Eine Trachtengruppe, die den "Erzherzog-Johann-Jodler" über die grünen Wiesen in der Steiermark schmetterte. Und schließlich einen ferngesteuerten Servierwagen, der dem Rennsieger Valtteri Bottas freundlicherweise ein Handtuch und ein bisschen Sprudelwasser ohne zwischenmenschlichen Kontakt und Coronaviren zukommen ließ. Nachdem Bottas einen blitzsauberen Start-Ziel-Sieg auf den Asphalt gebrannt hatte.

Aber eines der deftigsten und unnötigsten Motive lieferte Sebastian Vettel. Weil es seinen Kritikern zusätzliche Munition liefern wird, dass die Scuderia Ferrari völlig richtig entschieden hat, seinen Vertrag am Ende der Saison auslaufen zu lassen.

In der 31. Runde hatte Vettel plötzlich Carlos Sainz vor sich, ausgerechnet jenen Fahrer, der 2020 sein Cockpit erben wird. Vettel meinte, eine Lücke erkannt zu haben; in Kurve drei, einer Spitzkehre, griff er an, wollte sich innen vorbeischieben. Die Reifen der Autos berührten sich - und Vettels Ferrari drehte sich entgegen der Fahrtrichtung, man kennt die Prozedur inzwischen. Auf Platz 15 sortierte er sich wieder ein, am Ende wurde er Zehnter. Sein Teamkollege Charles Leclerc? Er wurde tatsächlich Zweiter. Nachdem er sich fünf Runden vor Schluss noch den Platz von Sergio Perez schnappte - und dann auch den zweiten erbte von Lewis Hamilton, der eine Fünf-Sekunden-Strafe erhielt wegen eines Remplers mit Alex Albons Red Bull. Für Vettel kam der Auftakt in Spielberg einer Höchststrafe recht nahe.

Er sei froh, dass "es nur ein Dreher war", sagte er: "Ich hatte unheimlich Probleme, auf der Strecke zu bleiben." Und, es sei auch so: "Es war irgendwo der Wurm drin." Der Wurm im Ferrari von Leclerc war am Sonntag also blöderweise kleiner. Oder harmloser.

Da passte es ins Bild, dass Daimler-Konzernchef Ola Källenius Vettels öffentlicher Balz um einen Sitz im Mercedes im Fernsehen ein Ende bereitete: "Wir bleiben bei unseren zwei Jungs", sagte Källenius auf Sky.

Am Samstag hatten die Ferraris bewiesen, dass der diesjährige SF1000 noch schwächlicher unter der Haube ist, als zu befürchten war: Am Tag, als sich Valtteri Bottas im Mercedes auf die Pole Position vor Lewis Hamilton schob, lieferte Leclerc nur die siebtschnellste Zeit, Vettel gar nur die elftbeste. Nach den Tests in Barcelona waren viele noch davon ausgegangen, die roten Rennwagen wären nach den Silberpfeilen und den Red Bulls zumindest noch die drittschnellsten Flitzer im Feld. Tatsächlich aber hatten sie sich nun irgendwo in der Beliebigkeit des Mittelfelds eingereiht. Teamchef Mattia Binotto gestand: "Dass es ganz so schlimm werden würde, damit hatten wir dann doch nicht gerechnet." Er wolle nun herausfinden, "warum der Abstand so groß ist".

Das meinten kritische Geister längst herausgefunden zu haben: Denn alle sechs mit Ferrari-Motoren betriebenen Autos im Feld hatten sich auf wundersame Weise im Vergleich zum Vorjahr verlangsamt, und dies auf einer Strecke, auf der die Motorenkraft entscheidend ist. Den Ferraris fehlten gemittelt 0,7 Sekunden zu ihren Zeiten aus 2019, die Alfa Romeo verloren 1,1 Sekunden, die Haas 0,6 Sekunden. Und waren nicht im Vorjahr bei der Scuderia Unsauberkeiten bei der Benzinzufuhr des Motors entdeckt worden? "Ich würde gerne jeden bei Ferrari aufheitern", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. "Aber ich habe keinen Grund, Mattia aufzumuntern."

Weil Hamilton am Samstag Gelbe Flaggen übersehen hatte - der erste von zwei Fehlern am Wochenende - und um drei Plätze versetzt wurde, startete Bottas vor Max Verstappen im Red Bull; in der zweiten Reihe parkten Lando Norris im McLaren und Verstappens Kollege Alex Albon.

Zwölf Runden waren gefahren, da wurde Verstappen immer langsamer

Die Ampeln gingen aus in der Steiermark, dann jagten 20 Rennwagen den Berg hinauf. Der drittplatzierte Lando Norris, der später auch sensationell Dritter werden und dabei die schnellste Rennrunde vorlegte sollte, startete gut. Gleich mehrmals attackierte er in der ersten Runde Verstappen. Nach vier Runden hatte sich das Feld auf eine Weise geschüttelt, wie es zu erwarten gewesen war: Norris wurde erst von Albons Red Bull, dann auch von Hamilton passiert. Die Wagen des österreichischen Getränkeherstellers lagen nun im Sandwich zwischen den Schwarzpfeilen.

Doch, nanu? Zwölf Runden waren gefahren, da wurde Verstappen immer langsamer. Er fluchte etwas Zünftiges ins Mikrofon, rollte in die Garage. Dort stand er, parkte. Er parkte und stand. Während seine Techniker versuchten, den Wagen eines Mannes zu reparieren, der in den vergangenen zwei Jahren in Spielberg gewann. Doch für Verstappen war Schluss. Und weil Hamilton den Red Bull von Albon passierte, kreisten nun Hamilton und Bottas für eine Weile alleine an der Spitze. Die Ferraris? Nach 16 Runden hatte sich Leclerc auf Position sechs verbessert, Vettel auf neun.

Als nächster stieg Lance Stroll wegen Sensorproblemen aus seinem Racing Point. Und weil der Wagen als rosarot angepinselter Mercedes des Vorjahres gilt, ging vom Kommandostand auch eine erste Warnung an Hamilton und Bottas. Kevin Magnussen verlor die Kontrolle, sein Haas stand nun im Weg - also rückte das Safety Car aus. Die Teams riefen ihre Fahrer zum Reifentausch an die Box. Das Rennen wurde wieder freigegeben, in der 31. von 71 Runden meinte Vettel, eine Lücke zu erkennen und drehte sich. An die Mercedes-Piloten erging nun die verschärfte Warnung, die Sensorenprobleme erst zu nehmen und Randsteine zu meiden. Weil Russels Williams im Weg stand, rückte das Safety Car zum zweiten Mal aus - nach einem Crash von Kimi Räikkönen zum dritten Mal. Und dann gab es doch ein wunderbar spannendes Finale: Lando Norris erbte den dritten Platz von Sergio Perez, weil der in der Box zu schnell fuhr. Albon wiederum attackierte Hamilton in Kurve vier, die Wagen berührten sich, Albon flog ins Kiesbett. Und Hamilton erhielt eine Strafe, die ihn tatsächlich auf Platz vier spülte. "Die Strafe muss man akzeptieren, es geht weiter", sagte er. Für diese rundum merkwürdige Saison, die es geben dürfte, waren die Patzer des Favoriten nicht die schlechteste Nachricht.

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Quelle:
SZ vom 06.07.2020/vit
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