Formel 1:Angriff mit Trauerflor

Lesezeit: 3 min

Sebastian Vettel ist nach dem Tod von Sergio Marchionne am Hungaroring von allen offiziellen Verpflichtungen entbunden. (Foto: Zoltan Balogh/dpa)
  • Der Tod des Präsidenten trifft Ferrari in einer Phase, in der Sebastian Vettel die Führung in der WM verliert.
  • Dabei rennt der Rennstall seit Jahren dem WM-Titel hinterher.
  • Die Formel 1 ist die einzige Marketingmaßnahme der Automobilmarke.

Von Elmar Brümmer, Budapest

Am Eingang zum Fahrerlager des Hungarorings steht ein abgedunkeltes Motorhome, das dem traurigen Anlass entsprechen würde. Es gehört Mercedes. Gleich daneben hat die Scuderia Ferrari ihr Quartier aufgeschlagen, es leuchtet rot, aber das wirkt seltsam deplatziert in diesem Moment. Die beiden auf Halbmast gezogenen Fähnchen mit dem springenden Pferdchen auf dem Dach können über diese Wirkung auch nicht hinwegtäuschen. Noch seltsamer ist die Leere, die den Besucher in den geräumigen Eingangsbereichen der mehrstöckigen Behausungen empfängt. Alles verwaist. Auch die Kaffeebar, die zum Aufgalopp eines Grand Prix ansonsten ein beliebter Umschlagplatz für Nachrichten ist. Ziemlich ruhig.

Der Automobilverband Fia und sein Präsident Jean Todt, selbst Architekt bei Ferrari in der erfolgreichen Ära mit dem Fahrer Michael Schumacher, haben alle Mitarbeiter der Scuderia von den offiziellen Verpflichtungen entbunden. Teamchef Maurizio Arrivabene und Kimi Räikkönen ist das sicher recht, auch die Sprechstunde mit Sebastian Vettel entfällt. Was hätten sie auch äußern sollen außer Beileidsbekundungen? Alles andere ist ja ungewiss. Nach dem Tod des Konzernlenkers Sergio Marchionne steht Ferrari unter Schock. Vor allem aber die "Gestione sportiva", die Sportabteilung der Scuderia, deren Motor der nur 66 Jahre alt gewordene Manager war.

Der Tod des großen Fürsprechers im Fiat-Konzern, den Mercedes-Teamchef Toto Wolff als "überlebensgroß" würdigte, trifft Ferrari in einem entscheidenden Moment des Titelrennens, in der der italienische Rennstall aus sportlichen und technischen Gründen ohnehin aufgewühlt ist. Zu klären gilt es gleich eine Reihe an Fragen. Ob künftig der Ferrari-Junior Charles Leclerc neben Sebastian Vettel fährt - oder Räikkönen eine weitere Gnadenfrist bekommt? Wie sich das Team im Rangeln um neue Reglements und Kostenbeschränkungen positioniert? Und was es noch an zusätzlichen Mitteln bräuchte, um im kommenden Vierteljahr Marchionnes Lebenstraum, den Gewinn des Weltmeistertitels, posthum zu erfüllen?

Bottas und Räikkönen
:Gutes Finnisch

Sie tun, was zweite Männer tun müssen: Kimi Räikkönen und Valtteri Bottas ordnen sich zwar Sebastian Vettel und Lewis Hamilton unter - aber sie haben großen Einfluss im Rennen um die Weltmeisterschaft.

Von Elmar Brümmer

Der Schweizer Louis Carey Camilleri, 63, als neuer Ferrari-Chef und Agnelli-Erbe John Elkann, 42, als Ferrari-Präsident haben vermutlich dringendere Sorgen. Sie müssen die Sportwagenmarke auf wirtschaftlichem Kurs halten. Aber bei keinem anderen Automobilhersteller der Welt hat der Motorsport einen solchen Stellenwert und eine so große Bedeutung. Schon für den Patriarchen Enzo Ferrari war der Triumph auf der Rennstrecke Herzenssache. "Il commendatore" hat die Angelegenheit persönlich genommen, sehr persönlich: "Rennfahren ist eine Leidenschaft, der man alles unterzuordnen hat."

Bis heute ist die Formel 1 Ferraris einzige Marketingmaßnahme. Dem Weltmeistertitel bei den Piloten fährt man seit 2007 hinterher, dem bei den Konstrukteuren seit 2008. Deshalb hatte Marchionne tabula rasa in Maranello gemacht, alte Strukturen aufgebrochen, Sebastian Vettel verpflichtet und einen Drei-Jahres-Plan aufgestellt, um das Championat zu gewinnen. Das Rennjahr 2018 ist bereits Jahr vier nach dieser Zeitrechnung, im Endspurt der vergangenen Saison kosteten Unzuverlässigkeiten einen möglichen WM-Titel.

Die Mission scheint schwieriger geworden zu sein, obwohl Mercedes in diesem Sommer ungeahnte technische und taktische Schwächen gezeigt hat. Denn Ferrari hat immer dann, wenn die Silberpfeile unpässlich waren, nicht genügend Kapital daraus schlagen können. Sebastian Vettels Ausrutscher in Führung liegend in Hockenheim am vergangenen Sonntag war deshalb ein weit größerer Rückschlag, als es der Fahrer und sein Team zugeben wollten. Das hat weniger mit Selbstzweifeln zu tun, mehr mit verschenkten Punkten.

In Frankreich verursachte Sebastian Vettel einen Startunfall, wurde Sechster. In Österreich, wo erstmals beide Mercedes-Fahrer in einem Rennen ausfielen, belegte der Herausforderer nur den dritten Rang. Und dann Hockenheim, wo Hamilton von Startplatz 14 aus noch die Maximalpunktzahl holte, weil der Deutsche patzte. Zur Halbzeit der Formel 1 liegt Vettel 17 Punkte hinter Hamilton, und Ferrari acht Zähler hinter Mercedes. Der zwölfte WM-Lauf an diesem Sonntag hat enorme Bedeutung, auch wenn er Ferrari keine Zeit zum Trauern lässt. Es gilt, verlorenen Boden wettzumachen und den Vorteil gegen Mercedes auf der langsamsten permanenten Rennstrecke im Kalender zu nutzen.

Auf dem Hungaroring ist die Scuderia Favorit, vor allem mit jenen über den Frühsommer gefundenen 38 PS, über die die Konkurrenz rätselt - höflich ausgedrückt. Der massive Leistungsschub, der von einer neuen Software für das Batteriemanagement kommen soll, drückt sich vor allem in einem Leistungsgewinn auf der Geraden aus, der bisherigen Mercedes-Domäne. Der Power-Schub erfolgt im Bereich zwischen 250 und 320 km/h, der Motor klingt dann auch anders als bisher. Ein solcher Leistungssprung, rechnet Mercedes-Teamchef Toto Wolff vor, dauert unter normalen Umständen etwa zwei Jahre. Weil der Spec2-Motor von Ferrari innerhalb von nur zwei Monaten verbessert wurde, ist die Konkurrenz so misstrauisch. Renndirektor Charlie Whiting versichert, dass der Automobilweltverband keinerlei Reglementverstöße feststellen konnte. Schon mehrfach stand Ferrari unter Beobachtung, was nicht ungewöhnlich ist in einem derart zugespitzten Titelkampf und dem nicht minder hart geführten technischen Entwicklungsrennen. Mercedes endlich als Primus der Hybrid-Ära abzulösen, ist für Ferrari eine Frage der Ehre im Sinne von Enzo Ferrari. Der legte sich einst fest: "Aerodynamik ist etwas für Leute, die keine Motoren bauen können."

Titelverteidiger Mercedes hat auf dem Hungaroring, nicht gerade eine Lieblingsrennstrecke der Silberpfeile, einen Überschuss an mentaler Stärke entgegenzusetzen. Ferrari sei momentan etwas im Vorteil, sagte Hamilton. Aber es sei auch so: Wer in diesem Jahr nicht genügend positive Energie habe, werde nicht erfolgreich sein." Ob Ferrari noch Favorit sei? "Sicherlich nicht meiner", sagte Hamilton.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Formel 1
:Lewis Hamilton holt Pole in Ungarn - Vettel fährt hinterher

Pep Guardiola schwärmt vorm Testspiel gegen den FC Bayern von seiner Zeit in München. Mick Schumacher feiert einen großen Erfolg.

Meldungen in der Übersicht

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: