Mitten in der Saison früher in den Feierabend gehen, dazu bei einem Rennstall, der den eigenen Erwartungen ziemlich hinterherfährt? Die Belegschaft von Aston Martin ahnte, dass sich an diesem Mai-Abend hinter den Mauern ihrer Rennfabrik etwas ganz Besonderes ereignen würde, als alle das Gelände verlassen mussten. Geblieben war nur Lawrence Stroll, der Besitzer.
Tatsächlich hatte der milliardenschwere Kanadier ein Date. Stundenlang spazierte er mit seinem Ehrengast durch die Gebäude, den Windkanal, die Werkstätten. Alles auf dem neuesten Stand der Technik. Am Dienstagmittag nun, kurz bevor sich die Formel 1 auf den Weg zum nächsten Rennen in Aserbaidschan macht, konnte Stroll auch denjenigen präsentieren, dem er damals wohl ebenfalls gesagt haben dürfte: „Alles hier zeigt unsere Absicht zu gewinnen.“ Ein Mann, der mit den modernsten Werkzeugen endlich Siege schmieden soll: Adrian Newey, der erfolgreichste Designer der Grand-Prix-Geschichte, das Superhirn hinter Rennwagen, die gut für 13 Fahrer- und zwölf Konstrukteurstitel waren. „Atemberaubend“, beschreibt der Brite das, was er im Frühjahr gesehen hatte. Es war die perfekte Verführung.
„Es ist die aufregendste Neuigkeit in unserer Geschichte, vielleicht sogar in der ganzen Formel 1“, tönt Stroll, als er den Designer in einer ganz neuen Rolle präsentiert – Adrian Newey wird Anteilseigner und Partner in der Unternehmensführung. Den Zugang stellt er „als einen Gentleman, einen Gewinner, einen Wettbewerbstypen“ vor. Und da dem großen Boss das immer noch zu schwach erscheint, legt er nach: „Er ist das größte und wichtigste Puzzlestück, das uns zum Erfolg noch gefehlt hat.“
Fünf Topingenieure und Manager hat der Kanadier in den vergangenen anderthalb Jahren bereits gelockt, jetzt hat das Ensemble auch den richtigen Kopf. Stroll nennt ihn den „Allergrößten der Welt auf seinem Feld“. Die Gelegenheit war günstig, das Timing ist es auch. Newey darf am 1. März 2025 anfangen, dann hat er noch gut ein Jahr Zeit, um den Rennwagen für das von 2026 an gültige, komplett neue Reglement zu gestalten. Aston Martin bedient sich bei den neuen Kombimotoren exklusiv der Honda-Technik, Newey hat bereits die vergangenen sechs Jahre mit den Japanern zusammengearbeitet. Klingt alles nach einem Masterplan. Die Belegschaft, der Newey kurz vor der Mittagspause präsentiert worden war, empfing den neuen leitenden Angestellten mit frenetischem Applaus.
Lawrence Stroll scheint mit der Planung schon wieder einen Schritt weiter zu sein
Im Frühjahr hatte Adrian Newey seinem bisheriger Arbeitgeber Red Bull Racing mitgeteilt, dass er sich neu orientieren wolle. Er hatte wohl genug vom ganzen Trubel um den aktuellen Weltmeister-Rennstall, beim umstrittenen Teamchef Christian Horner vermisste er die Wertschätzung. Der 65-Jährige bat um Vertragsauflösung. Was er machen wolle, wusste er noch nicht. Bei einem Rennwochenende im Nahen Osten hatte er im Fitnessstudio des Hotels dann Lawrence Stroll getroffen. Der Geschäftsmann auf dem Laufband, Newey vor ihm auf dem Fahrrad – so kam die Sache ins Rollen. Lange mitgebuhlt hatte Ferrari, Audi war ebenfalls stark interessiert, zuletzt auch Alpine.
In den Verhandlungen ging es um Wohnortwechsel, Arbeitszeiten, Zuständigkeiten. Natürlich auch ums Geld. Newey, der ohnehin als der am höchsten honorierte Techniker der Branche gilt, hatte bislang stets seine jeweiligen Lebensgefährtinnen für sich verhandeln lassen. Um den letzten großen Vertrag aber sollte sich ein gewiefter Insider kümmern – der ehemalige Teamchef Eddie Jordan, der einst aus den Schumacher-Brüdern viel Kapital für sich geschlagen hatte. Der Ire soll laut BBC ein Jahresgehalt von rund 35 Millionen Euro verhandelt haben. Eine ordentliche Kompensation für den enormen Erfolgsdruck, denn als besonders geduldig oder nachsichtig gilt Lawrence Stroll nicht. Newey ist nicht bange, mit leiser Stimme spricht er bei seiner Präsentation davon, dass er Druck von außen nicht wahrnehme. Der, den er sich selbst immer mache, sei ohnehin größer.
In seinem blassblauen Jackett inmitten der Kulissen im überbordenden British Racing Green wirkt Adrian Newey gewohnt ungelenk, sogar schüchtern. Geld und Erwartungshaltung sind abgehakt, sein ureigener Grund, noch mal die Farben und die Seiten zu wechseln, sei ein sehr persönlicher: „Du musst deinen Geist frisch halten.“ Bei Red Bull hatte er sich zuletzt um andere Projekte gekümmert – wie einen Supersportwagen der Marke Aston Martin, die ironischerweise bis vor ein paar Jahren Hauptsponsor des Getränkerennstalls gewesen war. Jetzt aber gilt: „Voll rein heißt meine Maxime.“
Ein Büro, in das sein altmodisches, riesiges Zeichenbrett passt, an dem ihm immer noch die besten Ideen kommen, habe er sich noch nicht ausgesucht. Klar für ihn sei nur, dass er mitten hineinmüsse in die Fabrik, um Teil der Kommunikation zu sein. Als Newey über seine Passion spricht, nickt Lawrence Stroll – selbst Experte für extreme Leidenschaften. Der Investor scheint mit der Planung schon wieder einen Schritt weiter zu sein. Zwar sind sein Sohn Lance und Altmeister Fernando Alonso mit langen Verträgen ausgestattet. Aber mit einem Adrian Newey in der Firmenleitung und im Designstudio wird die bisherige Mittelfeldtruppe auch für die aktuellen Topfahrer deutlich interessanter. Warum in Zukunft nicht auch für einen Max Verstappen? Wie sagte Adrian Newey doch: „Lawrence ist einer, der gern alles auf eine Karte setzt.“