Süddeutsche Zeitung

Football:Viva Las Vegas

Die Raiders ziehen erst 2020 von Oakland nach Las Vegas, legen jedoch bereits jetzt alles darauf aus, am neuen Standort erfolgreich zu sein - selbst wenn das bis dahin zu zwei schrecklichen Spielzeiten führen wird.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Jon Gruden ist Trainer der Raiders. Er musste das in dieser Woche noch einmal deutlich sagen, weil viele Anhänger der Football-Franchise gefürchtet hatten, dass Gruden nicht nur so aussieht wie die berüchtigte Mörderpuppe Chucky aus den Kinofilmen, sondern dass er ebenso verrückt ist und gerade versucht, die Raiders zu eliminieren. Gruden hat bereits vor der Saison einen der besten Verteidiger der Liga (Khalil Mack) zu den Chicago Bears geschickt, bislang hat die Mannschaft von sechs Partien nur eine gewonnen, und in dieser Woche hat Gruden seinen begabtesten Passfänger (Amari Cooper) an die Dallas Cowboys abgegeben.

"Ich weiß schon, dass nicht alle verstehen, was ich da mache", sagte Gruden in dieser Woche: "Ich treffe Entscheidungen, von denen ich denke, dass sie am besten für die Raiders sind." Ja, er sagte wirklich nur "Raiders" und verzichtete bewusst auf den Ortsnamen.

Gruden ist mit einem Vertrag ausgestattet, der ihm in den kommenden zehn Spielzeiten 100 Millionen Dollar garantiert und deshalb nur mit erheblichen finanziellen Einbußen für den Verein kündbar wäre. Die Raiders werden in dieser und wahrscheinlich auch noch in der kommenden Spielzeit in Oakland spielen, in einem Stadion, das Coliseum heißt und nur ein kleines bisschen weniger baufällig ist als das Original in Rom. Danach werden sie umziehen, nach Las Vegas, in eine 1,8-Milliarden-Dollar-Arena für 72.000 Zuschauer, die gerade neben dem Strip gebaut wird, direkt hinter dem Dean Martin Drive. Vom Las Vegas Boulevard aus kann man zu Fuß hinlaufen.

Gruden arbeitet für die Raiders. Er will nicht zerstören, er will aufbauen unter dem Motto: Viva Las Vegas! Er war schon während seiner ersten Amtszeit bei den Raiders (1998-2001), bei den Tampa Bay Buccaneers (2002-2008, Super-Bowl-Sieger 2002) und später als Experte beim Sportsender ESPN ein Advokat gegen Verträge mit horrenden Gehältern - er sagte stets, dass es aufgrund der Gehaltsobergrenzen und den damit verbundenen Regeln sinnvoller sei, einen Titelkandidaten aus jungen Spielern und erfahrenen Haudegen zu formen.

Viele Optionen auf Talente - und viel Geld in der Hinterhand

Genau das versucht Gruden nun: Mack ist einer der besten Passverteidiger der Liga, gewiss, doch die Bears werden ihm in den kommenden sechs Spielzeiten 141 Millionen Dollar bezahlen - so viel hat in der NFL noch kein Defensivspieler verdient, und es ist natürlich Geld, das für Spieler auf anderen Positionen fehlt. Was die Raiders für Mack bekamen: vier zusätzliche Optionen bei der Wahl talentierter Nachwuchsspieler in den kommenden beiden Jahren, zwei in der ersten (2019 und 2020), einen in der dritten (2020) und einen in der sechsten Runde (2019).

Der Wide Receiver Cooper gilt als sogenannter Boom-or-Bust-Player: An einem guten Tag scheint er Sekundenkleber an seinen Händen zu haben, an einem schlechten Vaseline. Er verdient in dieser Saison aufgrund seines Nachwuchsspieler-Vertrages noch 411.000 Dollar, in der kommenden Spielzeit wird das Gehalt auf knapp 14 Millionen steigen. Zu viel für Cooper, der sich seit seinem Debüt nicht so weiter entwickelt hat, dass er nun so viel Geld pro Spielzeit (und bei einem Anschlussvertrag womöglich noch mehr) wert wäre. Bei diesem Tauschgeschäft bekamen die Raiders einen Draft Pick in der ersten Runde der kommenden Saison.

Die Raiders dürfen also in der kommenden Sommerpause drei Mal in der ersten Runde wählen (wenn sie in dieser Spielzeit selbst erfolglos sind, dürfen sie sogar sehr bald wählen) und sich die Dienste hochbegabter (und aufgrund der Gehaltsregeln unfassbar günstiger) Nachwuchsspieler sichern, vor der 2020-Saison zwei Mal - dazu kommen all die Wahlmöglichkeiten in den späteren Runden. Noch wichtiger: Die Raiders haben - Stand jetzt - in der kommenden Spielzeit noch 75 Millionen Dollar an Gehältern zur Verfügung, in der Saison danach 125,5 Millionen. Diese Summen können sie dafür verwenden, genau jene vertragslosen Akteure zu verpflichten, die ihnen dann noch fehlen.

Die aktuelle Saison dürfte schrecklich werden für dieses Football-Franchise, das noch Oakland Raiders heißt. Gruden scheint das egal zu sein, er arbeitet ja für die Raiders - also jene, die in zwei Jahren Las Vegas Raiders heißen werden. Man kann diesen Trainer für verrückt halten oder für genial, aufgrund seines Vertrages kann er es sich leisten, ein langfristiges Experiment zu wagen - und es wird überaus spannend sein, es zu beobachten.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2018
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