Süddeutsche Zeitung

Football:Literarischer Quarterback

Nach drei Jahren voller Verletzungen führt Andrew Luck die Indianapolis Colts ganz nah an die Playoffs heran.

Von Fabian Dilger

In diesem Monat empfiehlt Andrew Luck den Einsteiger-Lesern den Klassiker "Die Drei Musketiere", für die schon Erfahrenen schlägt er "Breaking Trail" vor, die Biografie der amerikanischen Bergsteigerin Arlene Blum. Andrew Luck ist jedoch kein Buchverkäufer. Auch wenn er mit seinem umgänglichen Gemüt und seiner tiefen Stimme eigentlich gut in ein kleines Literaturgeschäft passen würde, ist Luck hauptberuflich Quarterback in der NFL und brüllt dort seine Anweisungen über das Spielfeld. Und als Hobby hat Luck eben einen Buchclub gegründet - im Internet stellt er jeden Monat zwei Bücher vor. "Mit diesem Buchclub habe ich eine Plattform, um meine Liebe zum Lesen mit einem größeren Publikum zu teilen", schreibt Luck.

Luck ist, so viel kann man sagen, kein gewöhnlicher Football-Profi - auch weil er so sympathisch bodenständig erscheint. Der 29-Jährige ist eher ein normaler Mensch als ein Profisportler. Er ist ein großer, meistens vergnügt schauender Mann mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Er liest andauernd Bücher, er spielt bei Auswärtsfahrten den informierten Städteführer für sein Team, er fährt mit seinem Rad durch die Midwest-Großstadt Indianapolis.

Das Comeback des Jahres

Viele Football-Fans gönnen Andrew Luck deswegen von Herzen, was in dieser Saison bislang passiert: Der Spielmacher feiert das Comeback des Jahres. Persönlich und zusammen mit seinem Team. Zuerst einmal war es allein schon ein Triumph, dass er zu Saisonbeginn überhaupt auf dem Feld stand. Luck hat in den letzten drei Jahren eine schier endlose Verletzungsgeschichte hinter sich gebracht, die Chronologie dazu würde bei lautem Vorlesen aller Updates, News und neuer Entwicklungen eine abendfüllende Dokumentation ergeben. Die Kurzfassung: Schon 2015 hatte sich Luck die rechte Schulter, seine Wurfschulter, verletzt, er schleppte sich damit jedoch durch zwei Saisons, musste sich operieren lassen und spielte schließlich in der letzten Saison überhaupt nicht. "Es gab eine Zeit, in der ich sehr viel Angst um Football und meinen Platz im Football hatte", sagte er im Sommer dem Indianapolis Star über die lange Misere. Dementsprechend wurde er in der Vorbereitung und zu Beginn der Saison beäugt. "Ich war sehr skeptisch", sagt zum Beispiel Christoph Kröger, 28, der den deutschen Football-Podcast "Down, Set, Talk" moderiert. Zu Beginn warf Luck vor allem kurze Pässe, und das gesamte Team kam nicht gut in die Saison. Nach sechs Spielen hatten die Colts fünf Niederlagen.

Dann aber die Explosion: Von den letzten acht Spielen gewann Indianapolis sieben, mittlerweile hat das Team wieder Chancen auf die Playoffs. "Absolut beeindruckend", nennt Kröger die Rückkehr von Luck, "man merkt überhaupt nicht mehr, dass er diese lange Verletzungspause hatte." Andrew Luck ist wieder das, was er in seinen ersten NFL-Jahren schon war: ein Elite-Spielmacher. "Er ist für mich einer der ausbalanciertesten Quarterbacks der Liga", sagt Kröger, "er kann extrem viel gut" und zählt dann auf: Grundathletik, ein guter Passer im Lauf und wenn er tief geht und seine Präzision im Kurzpassspiel. Und er besitzt im Übermaß das, was die Amerikaner Football-IQ nennen. "Natürlich ist er einer der cleversten Quarterbacks der Liga", meint Kröger.

Schon früher hat Luck seine Colts, die ihn 2012 an Nummer 1 gedraftet haben, in die Playoffs geführt. Oftmals hob der Spielmacher ein mittelmäßiges Team alleine auf ein akzeptables Niveau. Doch in dieser Saison spielt nicht nur Luck hervorragend, seine Mannschaft ist ebenfalls verbessert. "Das Wichtigste bei den Colts ist, dass sie die O-Line so verbessert haben", meint Kröger zu den Spielern, die den Quarteback vor den Gegnern beschützen sollen. Für die Verbesserung war keine große Grübelei notwendig: Bei den letzten beiden Talentauswahlen holten die Colts mit ihren wertvollen Picks vor allem für diesen Mannschaftsteil Verstärkung. Zum Beispiel Quenton Nelson. "Im College eine Übermacht, der hat sie an der Line alle in die Tasche gesteckt", sagt Kröger. Nelson wurde in seinem ersten Jahr als Profi bereits in das All Star-Game gewählt. Weil die Offensive Line stabiler steht, hat Luck mehr Zeit, seine Pässe anzubringen. "Stabil" ist dabei fast eine Untertreibung, erst 16 Mal konnten die Gegner Andrew Luck zu Boden bringen - Liga-Bestwert.

Neben der Mannschaft hat sich auch der Trainerstab verändert. Frank Reich ist seit dem Sommer der neue Cheftrainer, er gewann letztes Jahr als Koordinator der Offensive mit den Philadelphia Eagles den Super Bowl. Von Reich höre man, dass er ein "guter Leader" mit einem guten Einfluss auf junge Spieler sei, sagt Kröger. Den schlechten Saisonstart erklärt er mit all diesen Wechseln, "die sich im Lauf der Saison erst entwickeln und greifen mussten."

Einen Titel hat Andrew Luck fast sicher

Mit fortschreitender Saison werden nun auch die Playoffs zum Thema: Gewinnen die Colts ihre beiden letzten Spiele, dann stehen die Chancen auf ein Weiterkommen gut. Dachte sich auch eine Reporterin des amerikanischen Fernsehens und bohrte nach dem letzten Sieg bei Andrew Luck nach: Sie könne ja gar nicht glauben, dass in Indianapolis niemand über die K.o.-Runde rede. Die Antwort fiel Andrew Luck-mäßig aus: breites Lachen, linkisches Schulterzucken, Grinsen. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll." Dann nochmal ein breites Grinsen, dann ein Kopfnicken in der Art "Ich werde nichts mehr sagen". Auf etwas unbeholfene, aber charmante Weise hatte der Quarterback damit klargemacht: Wir werden nicht offiziell darüber sprechen.

Inoffiziell werden die Colts natürlich den Rechenschieber in der Kabine aufstellen. Einige Experten sehen das Team als Überraschungsmannschaft, das an einem guten Tag auch die Top-Mannschaften der Liga schlagen kann. "Man darf jetzt auch nicht den Fehler machen und sagen, die Colts gehören zu den Top-Teams der NFL", schränkt Kröger ein. Überraschungen passieren, auch in den Playoffs, aber spannender sind für Kröger die nächsten Jahre. "Sie haben eine richtig gute Basis", sagt er über die Zukunft in Indianapolis. Luck hat noch einige gute Jahre vor sich, es sind viele junge, gute Spieler an Bord: "Daraus kannst du echt was machen." Einen Titel, den die NFL vergibt, wird Andrew Luck fast sicher schon in dieser Saison bekommen: Comeback Player of the Year.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4264121
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.12.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.