Bayer Leverkusen schlägt Union Berlin:Wirtz, das Schreckgespenst

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„Er ist ein Gamechanger“: Nach seiner Einwechslung führt Nationalspieler Florian Wirtz (Mitte) Leverkusen zu einem 2:1-Erfolg im Stadion An der Alten Försterei. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Leverkusen und Union liefern sich ein bärbeißiges Duell – bis Florian Wirtz ins Spiel kommt und den Meister auf ein höheres Niveau hebt. Vor der Pokalpartie gegen München steckt in diesem 2:1-Sieg auch eine Botschaft an den FC Bayern: Fürchtet euch!

Von Javier Cáceres, Berlin

An der Rezeption des Stadions An der Alten Försterei lagen am Samstag, fein säuberlich gestapelt, einige Exemplare eines Branchenmagazins aus: Bundesliga, herausgegeben von der Deutschen Fußball-Liga DFL, und das hatte, wie sich herausstellen sollte, etwas Prämonitorisches. Denn wer da im Stile kommunistischer Ikonen auf dem Titel abgebildet war, das heißt: im Halbprofil, den Blick ernst und klar in die Zukunft gerichtet, das war Florian Wirtz. Am Samstag wurde er zur 55. Minute eingewechselt, und was er vollbrachte, war eine revolutionäre Tat. Er wälzte ein nicht großartiges, ob seiner Bärbeißigkeit aber interessantes Spiel um. Und er verhalf seiner Mannschaft mit seinem rund 40-minütigen Einsatz dazu, ein drittes Bundesligaspiel in Serie zu gewinnen, den dritten Tabellenplatz zu sichern. Oder, anders gewendet, dem 1. FC Union Berlin die erste Heimniederlage der laufenden Saison zuzufügen.

Dass Leverkusen nicht zu den Teams zählt, mit denen die Köpenicker Sträuße auf Augenhöhe ausfechten, war einer der Gründe dafür, dass der 1. FC Union nicht in eine Winterdepression verfiel. Ein 1:2 gegen den Meister, Pokalsieger und Europa-League-Finalisten der vergangenen Saison darf schon mal vorkommen; da klingen die Adventsglocken weiterhin süß und nicht nach Alarm. Auch wenn der vorerst letzte Sieg der Unioner (2:0 bei Aufsteiger Kiel am 20. Oktober) nun schon ein paar Wochen zurückliegt und dazwischen das Zweitrunden-Aus im DFB-Pokal beim unterklassigen DSC Arminia Bielefeld (0:2) geschluckt werden musste. Union hat nach zwölf Spieltagen mehr Punkte (16) auf dem Konto als nach der gesamten Hinrunde der vergangenen Spielzeit.

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Kommentar von Sebastian Fischer

Trainer Bo Svensson klang auch wegen einer akzeptablen B-Note gegen Leverkusen alles andere als pessimistisch, man habe „viele gute Sachen auf den Platz gebracht“, lobte er. Vor allem schaffte es Union doch tatsächlich, nach vier Spielen ohne eigenes Tor einen Treffer zu erzielen. Woo-yeong Jeong traf in der 29. Minute zum zwischenzeitlichen Ausgleich. Und fürwahr machte es am Ende den Eindruck, dass Union sich nur deshalb einem qualitativ überlegenen Gegner beugen musste, weil der einen Spieler in seinen Reihen hatte, der über den Dingen schwebt und sich dazu berufen zu fühlen scheint, den Unterschied auszumachen: Florian Wirtz.

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Union hatte fast vom Start weg hinten gelegen, weil Leverkusen schon in der zweiten Minuten darlegte, in Köpenick nicht unbedingt glänzen, sondern vor allem siegen zu wollen, im Zweifelsfall unverschnörkelt und direkt. Der Führungstreffer weckte Assoziationen mit dem Narrenmatt aus dem Schach.

Alejandro Grimaldo erlief einen von Nationalverteidiger Jonathan Tah lang geschlagenen Ball, legte quer auf Jeremie Frimpong, und dieser schob weitgehend unbedrängt aus zentraler Position ein. Danach konnte man an der Haltung des Teams erkennen, dass die Spieler von Trainer Xabi Alonso darauf geeicht worden waren, keinen Schritt zurückzuweichen, nicht einmal mit den Augen zu zwinkern, dagegenzuhalten. Union lebe von der „besonderen Verbindung der Mannschaft zu ihrem Anhang“, und diese sei wieder da. Der Ausgleich war freilich weniger einer mystischen Kraft als der Indisposition seiner Defensive geschuldet: Obschon es Leverkusen nicht an nominellen Innenverteidigern gebricht, stand Jeong im Fünfmeterraum sehr allein. „Solche Spiele haben wir am Anfang der Saison noch aus der Hand gegeben“, sagte Torwart Lukas Hradecky. Diesmal nicht. Nicht zuletzt, weil Wirtz kam. „Er ist ein Gamechanger“, sagte Alonso.

Dass er lange auf der Bank gesessen hatte, war ausschließlich eine Frage der Dosierung gewesen – insbesondere mit Blick auf das Pokalspiel, das am Dienstag beim FC Bayern München ansteht. „Wir müssen ihn schützen“, sagte Alonso, obschon auch er weiß: „Mit Flo auf dem Platz sind wir eine bessere Mannschaft.“ Die Präzision der Wirtz-Flanke auf den tschechischen Stürmer Patrik Schick hatte das von Union-Trainer Svensson bemühte Prädikat „Weltklasse-Aktion“ absolut verdient: Ehe der Ball auf der mächtigen Brust von Schick landete und von dort zum Sieg ins Tor gedrückt wurde (71.), beschrieb er eine so firm gesetzte Kurve, dass sie sich auch auf einem Gemälde von Kandinsky gut gemacht hätte.

Es war Schicks 48. Treffer für Bayer Leverkusen im 100. Spiel, er hat damit einen klubinternen Torrekord des Dresdners Ulf Kirsten (47 Tore in den ersten 100 Spielen) verbessert. Wichtiger als dieser Fun Fact aber war in der Wahrnehmung der Leverkusener etwas anderes: die Pokalpartie bei den Bayern. Denn dort wird es nicht nur darum gehen, ins Viertelfinale einzuziehen. Sondern auch darum, den Münchnern zu zeigen, dass ihre Hirne Angstsignale empfangen und senden können. Die Bayern sollen sich wieder „jagdbar“ fühlen, sagte Hradecky, noch ehe er wissen konnte, dass der FC Bayern in Dortmund zwei Punkte liegen lassen würde.

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