Bayer Leverkusen:Der Gymnasiast aus der Bundesliga

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Drittjüngster Debütant der Liga: Leverkusens Florian Wirtz, 17, beim Montagsspiel in Bremen. (Foto: imago)

Der deutsche Fußball hat ein neues Ausnahmetalent: Bayer-Offensivspieler Florian Wirtz ist gerade eben 17 Jahre alt geworden - und verblüfft bei seinem unerschrockenen Debüt nicht nur seinen Trainer.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen/Köln

Lokale Medien begannen sofort, die Legende vom "schnellsten Tor der Fußballgeschichte" nicht nur zu stricken, sondern auch gleich zu verbreiten, doch diesmal liegt der Fall ausnahmsweise anders als sonst. Diesmal ist die Legende mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wahrheit, denn Florian Wirtz traf bereits mit der zweiten Ballberührung nach dem Anpfiff ins gegnerische Tor. Fünf Sekunden war die Partie alt, als es 1:0 stand, das muss in der Weltgeschichte erstmal einer nachmachen.

Tatort war ein Kunstrasenplatz auf dem Vereinsgelände des 1. FC Köln, die B-Junioren des FC trafen am 17. Spieltag der Bundesliga West die B-Junioren des Wuppertaler SV. Wirtz erhielt vom Mitspieler, der den Anstoß ausführte, den Ball, um ihn dann geradewegs über den Wuppertaler Torwart hinweg ins Ziel zu befördern. In diesem planmäßigen 55-Meter-Schuss vereinigten sich somit einige Eigenschaften, die einen ambitionierten Nachwuchsspieler interessant machen: Das Auge für die Gelegenheit; das Vermögen, die Gelegenheit zu nutzen; und den Mut und die Frechheit, es zu tun.

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Am Montagabend, ein knappes halbes Jahr später, hatten deshalb einige Mitarbeiter des 1. FC Köln ziemlich schlechte Laune, als sie die Live-Sendung der Partie Werder Bremen gegen Bayer Leverkusen verfolgten und Wirtz an der Seite von Charles Aránguiz und Kerim Demirbay im Leverkusener Mittelfeld wiedersahen - nicht zum Ende der einseitigen Partie, die Bayer 4:1 gewann, sondern von Anfang an. Dabei ist der in Pulheim bei Köln geborene Gymnasiast der elften Klasse erst seit zwei Wochen 17 Jahre alt.

Leverkusen hat während der Winterpause kräftig in den ohnehin kostbaren Kader investiert. Aus Portugal kam Verteidiger Edmond Tapsoba, 21, für stolze 18 Millionen Euro, aus Argentinien Mittelfeldspieler Exequiel Palacios, 21, für noch stolzere 20 Millionen. Aber der beste Einkauf, so sagen gut informierte Quellen in Köln, hat bloß 250 000 Euro gekostet, und klar: Damit ist Wirtz gemeint, über den viele sagen, er sei eine fußballerische Ausnahmeerscheinung wie Kai Havertz. Dass Bayer-Trainer Peter Bosz nun im ersten Spiel nach der unfreiwilligen Frühlingspause den Junior-Profi einsetzte, während unter anderem Palacios und Julian Baumgartlinger auf der Bank blieben, unterstützt die hohe Meinung. "Normalerweise", erklärte Bosz nach dem Spiel, sage er nichts über einzelne Spieler, aber im Fall des unerschrockenen Wirtz hielt er ein Sonderlob dann doch für erforderlich.

Als Wirtz im Dezember das wahrscheinlich schnellste Tor der Fußballgeschichte schoss, waren Markus Gisdol und Horst Heldt seit knapp einem Monat im Amt, ihre ersten Wochen hatten der Trainer und Manager damit verbracht, dem grassierenden Pessimismus beim Tabellenletzten entgegenzuwirken. Sie hatten weder die Zeit noch die Aufmerksamkeit, um mit der nötigen Energie in den Kampf um das Spitzentalent der B-Junioren einzusteigen. Wirtz spielte zwar seit zehn Jahren beim FC, aber als es darum ging, sein Bleiben im Klub zu sichern, war der Klub nicht da.

Stattdessen sprachen Spitzenvereine aus dem In- und Ausland bei der Familie vor. Heldts Vorgänger Armin Veh, der sich innerlich schon lange vor seinem Ausscheiden Ende Oktober aus dem Amt verabschiedet hatte, gehörte hingegen eher nicht zu den engagiertesten Vorsprechern. In Leverkusen legt man zwar durchaus Wert auf eine gute Nachbarschaft, doch diesmal war man bereit, eine Eintrübung des Verhältnisses zu riskieren. "Es wäre fahrlässig gewesen, Florian nicht zu holen", stellte Sportchef Rudi Völler fest, nachdem er sich selbst auf den Weg nach Pulheim gemacht hatte, um seinen speziellen Charme wirken zu lassen. Nun berichtete Hans Wirtz, der Vater des Spielers, dem Kölner Stadt-Anzeiger, dass alle Beteiligten Grund zur Zufriedenheit haben: "Florian kam jüngst immer total glücklich nach Hause. Er ist unheimlich froh, jetzt mit solch herausragenden Spielern trainieren zu können."

Horst Heldt zieht es inzwischen vor, die Kölner Niederlage zu akzeptieren und daraus zu lernen. Nein, sagte er am Freitag, er habe sich beim Debüt am Montag nicht geärgert, "ich habe mich vielmehr für die Familie und den Jungen gefreut". Die Berufung in die Startelf, das sei ja "schon mal eine Message innerhalb des Leverkusener Kaders. Er wird seinen Weg machen - einen richtig guten Weg".

Nur halt nicht in Köln. Im schmerzlichen Bewusstsein des Verlustes ist man beim FC nun dazu übergegangen, besser auf die Früchte der der Nachwuchsarbeit zu achten als zuletzt. Was die Ausbildung angeht, haben die Kölner den jahrelang führenden Schalkern ein wenig den Rang abgelaufen im Fußball-Westen. Dieser Fortschritt soll nun auch verstärkt der Profiabteilung zugutekommen. Während die meisten Klubs im Zuge der Corona-Krise prüfen, welcher Verträge im Profi-Kader man sich baldmöglich entledigen könnte, haben die Kölner drei U19-Spieler schleunigst mit Profiverträgen ausgestattet. Auch der aus der eigenen Schule hervorgegangene 18-jährige Linksverteidiger Noah Katterbach bekam einen Kontrakt, die bei Großtalenten übliche Ausstiegsklausel inbegriffen. Markus Gisdol gilt als Trainer, der die jungen Spieler nicht nur rhetorisch, sondern tatkräftig fördert.

Im vergangenen Sommer ist Wirtz mit den B-Junioren deutscher Meister geworden, im Endspiel gewann die Mannschaft gegen Borussia Dortmund. Ein schöner Triumph, Manager Veh allerdings gehörte nicht zu den Gratulanten. Urlaubszeit.

© SZ vom 23.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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