Hansi Flick beim FC Bayern:Die Zeichen stehen auf Sommer

  • Auf der Jahreshauptversammlung bekommt der Interimstrainer Hansi Flick Lob, Applaus und das Vertrauen bis mindestens Weihnachten.
  • Die Anzeichen verdichten sich aber, dass er das Team bis zum Saisonende verantworten könnte.
  • Der FC Bayern hätte dann mehr Zeit, um mögliche Kandidaten wie Erik ten Hag, Thomas Tuchel oder gar Pep Guardiola zu überzeugen.

Von Christof Kneer

Das Urteil von Egon Coordes war diesmal nicht nötig, anders als im Frühjahr 1985. Damals war Coordes als Assistent des Bayern-Trainers Udo Lattek extra von München nach Ludwigsburg gefahren, um sich ein Drittligaspiel anzuschauen. Ludwigsburg spielte gegen Sandhausen, im Mittelfeld von Sandhausen spielte der 20-jährige Hansi Flick, "und das nicht besonders gut", wie sich Flick, 54, heute mit einem Schmunzeln zu erinnern meint. Er wusste damals, dass er beobachtet wird, der junge Bayern-Manager Uli Hoeneß hatte ihm das telefonisch angekündigt. Am Tag nach dem Spiel, das nicht besonders gut war, ist Flick mit dem Auto nach München gefahren, wo er im Bayerischen Hof in Anwesenheit des Managers Hoeneß und des Präsidenten Willi O. Hoffmann einen Profivertrag beim FC Bayern unterzeichnete. Er blieb dann fünf Jahre in München.

So lange denken sie bei Bayern gerade nicht voraus, sie sind solide damit ausgelastet, erst mal die nächsten Monate zu organisieren. An diesem Wochenende haben sie sich aber erst mal den Luxus geleistet, fünf Jahrzehnte rückwärts zu blicken, Uli Hoeneß hat anlässlich seines sogenannten und angeblichen Abschieds noch mal ein paar alte Geschichten erzählt. Dass er dies in feierlicher Stimmung tun konnte, hatte aber wiederum mit dem Mann zu tun, der vor vierunddreißigeinhalb Jahren gegen Ludwigsburg verlor. "Wer den Mitgliedern so ein wunderbares Fußballspiel wie letzten Samstag schenkt, der hat Beifall verdient!", rief Hoeneß bei der Jahreshauptversammlung und unter Hinzuziehung mehrerer Ausrufezeichen in den Saal, nachdem er zuvor "den Cheftrainer Hansi Flick" und dessen Team begrüßt hatte: "Schön, dass ihr da seid." Ausrufezeichen!

Man darf aber anmerken, dass Flick in erster Linie dem Mitglied Hoeneß etwas geschenkt hat mit dem jüngsten 4:0 gegen Dortmund. Dank dieses nicht zu widerlegenden Ergebnisses konnte Hoeneß auf die in Jahrzehnten bewährte "Gebrauchsanweisung für Mitgliederversammlungen beim FC Bayern" zurückgreifen, dort steht unter anderem: Witze über sowie Attacken gegen Dortmund und 1860 gehen immer.

Dank dieses 4:0 konnte Hoeneß lustvoll ein paar Spitzen platzieren, er hätte das eher nicht gekonnt, wenn seine Fußballmannschaft gegen Dortmund 1:5 oder auch nur 0:1 verloren hätte, unter einem Cheftrainer Niko Kovac möglicherweise.

Uli Hoeneß war Hansi Flick dankbar, Flick hat ihm diesen großen Abend für immer gerettet. Am Hofe Hoeneß wird Dankbarkeit belohnt, was der Chef des dem Hofe untergeordneten Vereins später verkünden durfte: "Bis Weihnachten und möglicherweise darüber hinaus" werde Flick die Mannschaft betreuen, sagte Karl-Heinz Rummenigge, was ihm einen ausgezeichneten Applaus einbrachte, der am Ende des Tages aber natürlich Hansi Flick galt.

Ein Szenario mit Pep Guardiola wird vom Klub nicht dementiert - als wahrscheinlich gilt es nicht

Es war eine der Nachrichten dieses sehr, sehr langen Abends: dass auch leisere Menschen für lauten Beifall taugen. "Ich sage voller Überzeugung: Wir vertrauen Hansi Flick", sagte Rummenigge, wieder setzte es massiven Applaus, wieder galt er Flick, der auf der Anzeigentafel ein entspanntes Gesicht dazu machte. Vermutlich spüren die Leute so was: dass hier einer eben keinen verbissenen Karriereplan durchzieht, sondern selber noch ein bisschen staunt, was da gerade mit ihm passiert.

Und war Jupp Heynckes etwa laut?

Bei Bayern haben sie inzwischen aber gelernt, dass es ein Missverständnis wäre, Flick nur als nett zu bezeichnen. Flick ist niemand, der Politik oder Druck in eigener Sache macht, aber als er sich vorigen Dienstag mit den hohen Herren zum Zukunftsgespräch traf, hat er eines deutlich gemacht: dass es in niemandes Sinne wäre, wenn nach jedem weiteren Bayern-Spiel dieselbe Frage gestellt wird. Geht es weiter mit Flick, oder war das sein letztes Spiel als Interimstrainer? Kommt ein neuer Chef oder ein neuer Übergangstrainer? Hat wieder jemand mit Arsène Wenger telefoniert?

Flick nimmt das Upgrade gerne an

Am Donnerstag, dem Tag vor der Mitgliederversammlung, haben die Bosse also entschieden, den ursprünglichen Zwei-Spiele-Auftrag auszudehnen. Flick hat das Upgrade gerne angenommen, und so wird sein bis 2021 laufender Assistentenvertrag nun angepasst und in einen vorübergehenden Cheftrainervertrag umgewandelt. Wie lange Flick der Mannschaft als Chef vorsteht, kann er nun selber beeinflussen; von dem in Trainerfragen eher berüchtigten Rummenigge bekam Flick immerhin schon mal so viel Lob zugeteilt, dass es, entsprechende Ergebnisse vorausgesetzt, durchaus bis Sommer reichen könnte.

Flick habe "eine imponierende Vorstellung von Training, von Taktik", sagte Rummenigge, "und er hat einen sehr guten Umgang mit den Spielern". Wer Flicks Entscheidungen zuletzt verfolgt hat, durfte sich an eine Situation erinnert fühlen, die am Anfang jenes großen Bayern-Zyklus stand, der mit den Abschieden von Franck Ribéry und Arjen Robben gerade erst zu Ende gegangen ist. Man habe endlich wieder einen "Fußball-Lehrer", rief Hoeneß im April 2009, mit etwas boshafter Betonung auf "Lehrer".

Jupp Heynckes war damals eingesprungen, um mit routinierten Handgriffen das ideologische Durcheinander zu ordnen, das der Trainer Jürgen Klinsmann hinterlassen hatte. Auch Flick hat nun erst mal Grundlagenarbeit verordnet, er hat in der arg verlotterten Defensive wieder gruppendynamisches Denken etabliert, indem er Laufwege und die Einhaltung korrekter Abstände üben ließ. Auch hat er das Kovac'sche Alle-hinter-dem-Ball-Verteidigen abgeschafft und durch ein offensiveres Abwehrspiel ersetzt, bei dem zum Beispiel die Flügelspieler Kingsley Coman und Serge Gnabry nicht ständig ihren Gegenspielern hinterhersprinten müssen.

Vor allem Coman habe von innen geleuchtet, heißt es, als Flick ihn ermunterte, sich ruhig wieder ins Risiko zu stürzen und darauf zu vertrauen, dass ein möglicher Ballverlust von einem präzise abgestimmten Verbund schon aufgefangen werde.

Bei Bayern trauen sie Flick inzwischen zu, dass er den Verein in den Sommer führen kann, bis dahin bliebe Zeit, sich mit Kandidaten wie Erik ten Hag, Thomas Tuchel oder gar Pep Guardiola zu befassen. Gedanken über eine Rückkehr Guardiolas hat der neue Präsident Herbert Hainer nicht dementiert, der Vorstand werde versuchen, "den besten Trainer für den FC Bayern zu bekommen", aber dieser Mann müsse "auch verfügbar sein". Als wahrscheinlich gilt dieses Szenario aber nicht.

Was Hansi Flick im Sommer machen wird, hat bisher keiner gefragt, aber diesen stillen Mann sollte niemand unterschätzen. Nach kurzen Abstechern in die Funktionärsbüros hat er sich nun endgültig selber bewiesen, dass er wieder Trainer sein will, und die letzten Tage dürften auch seinen Appetit auf die Chefrolle geweckt haben, in München oder anderswo.

Zur SZ-Startseite
Jahreshauptversammlung FC Bayern München

Jahreshauptversammlung des FC Bayern
:Lorbeeren für Kahn, Kritik für Salihamidzic

Ein Abend der Folklore und der Emotionen: Die Bayern-Mitglieder bejubeln den künftigen Vorstand Oliver Kahn, an anderer Stelle gibt es Schmähungen - am Ende wütet Hoeneß.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: