Süddeutsche Zeitung

Bayern-Trainer:Hansi Flick, der Champion

Vom Assistenten zum Chef zum Triple-Sieger: Binnen nur eines Jahres hat der Bayern-Trainer eine erstaunliche Karriere durchlaufen. Seine Bescheidenheit eint ihn und Jupp Heynckes.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Kurz zur Erinnerung: Man hatte Hansi Flick schon einmal in einer ähnlichen Situation gesehen. Mancher wird es vergessen haben, zum einen, weil es sechs Sommer zurückliegt, zum anderen, weil er sich von jeher eher in der Rolle des loyalen Helfers denn in der des lauten Darstellers sieht. 2014 half er Joachim Löw in Rio, als Bundestrainer Weltmeister zu werden. 2020, so wird er es darzustellen versuchen, half er seinen Spielern, die Champions League zu gewinnen. Und zugleich dieses Triple aus nationaler Meisterschaft, Pokalsieg und dem hässlichen Henkelpott als Krönung obendrauf. So ein Triple ist selten, bislang hatte in Deutschland nur Jupp Heynckes 2013 den FC Bayern dazu dirigieren können. Was beide Trainer eint: Bescheidenheit im Dienst der Sache. Kein Wunder, dass sich Flick auf Heynckes beruft.

Müßig, jetzt darüber zu urteilen, ob dieser Pokalsieg vor leeren Tribünen ein vollwertiger Pokalsieg ist; ob er im ewigen Wert einem Pokalsieg vor vollen Tribünen entspricht. Eines vorweg: Dieser Wettbewerb hatte vor fast einem Jahr vor einer Live-Kulisse begonnen, dann kam das Virus, und so musste er als reines Fernsehspiel beendet werden. Allein die Tatsache, dass nie zuvor ein solcher Hybrid von Wettbewerb zu coachen war, dokumentiert den Wert der Trainerleistung von Flick. Vom Assistenten zum Chef zum Champion - binnen nur eines Jahres. Niemals zuvor hat jemand schneller eine solche Karriere durchlaufen. Und das mit bereits 55! Am Ende war's eine knappe Geschichte. Ein einziges Tor, der Treffer von Kingsley Coman ausgerechnet, dem Franzosen, ließ Flick über seinen Landsmann Thomas Tuchel und Paris triumphieren.

Beide hatten auf dem Weg nach Lissabon Herkulesaufgaben zu lösen. Tuchel gelang es in dieser Saison, den Ego-fixierten Starfußball von Neymar und Mbappé mit der Charakteristik des Mannschaftsspiels zu kombinieren. Flick tat, nachdem er den FC Bayern im November 2019 von Niko Kovac geerbt hatte, was in jedem Trainer-Handbuch als Präambel steht, woran jedoch so viele scheitern: Es gelang ihm, jeden, wirklich jeden Spieler noch ein bisschen besser zu machen. Und einige, wie den neuen Mittelfeldmotor Leon Goretzka oder den Flügelflitzer Alphonso Davies, sogar noch ein bisschen besser, als alle gedacht haben, dass diese heute bereits sein könnten. Der leise Flick entwickelte mit viel Verständnis, aber doch auch väterlicher Strenge das passende Milieu dafür.

Verteidiger Jérôme Boateng zudem, den der Klub im Sommer 2019 nach Disziplindebatten fast schon rausgeworfen hatte, rückte wieder zurück ins Glied und ordnete zuverlässig die Viererkette. Und mit Manuel Neuer, 34, und Thomas Müller, 30, den anderen Weltmeistern, glückte ein ganz besonderer Kick. Beide wirken heute auf dem Rasen noch einen Tick cooler und cleverer als damals, bei der WM 2014 in Brasilien, als Hansi Flick als Trainerassistent ihr Begleiter war. Aus jener gemeinsamen Zeit im berühmten Quartier Campo Bahia war offenbar noch sehr viel Vertrauen übrig, so dass es mehr als ein halbes Jahrzehnt später beim FC Bayern sofort wieder aktiviert werden konnte. Auf dieses Personalgerüst setzte Flick dann in einem steten Prozess eine hochmodern operierende Mannschaft. Diese hat längst vergessen, wie es ist, ein Spiel zu verlieren.

Aufgewertet worden war das Trainerduell Flick/Tuchel schon vor Anpfiff in Lissabon durch den Stressfaktor der Statistik. Erst zum dritten Mal coachten zwei Landsleute ein Champions-League-Finale gegeneinander; 2013 setzte sich Heynckes mit den Bayern gegen die Dortmunder von Jürgen Klopp durch. Klopp wiederum reichte den im Vorjahr mit dem FC Liverpool errungenen Henkelpott jetzt weiter an Hansi Flick, der der sechste Deutsche ist, der seit 1955/56 die wichtigste Trophäe des Klubfußballs gewinnen konnte. Auch Udo Lattek, Dettmar Cramer und Ottmar Hitzfeld zählen zu diesem Sextett. Eine alte Trainergarde, die in der Gegenwart sehr viele begabte Nachfolger findet: Julian Nagelsmann scheiterte im Halbfinale mit RB Leipzig erst an Tuchel und Paris; Klopp gewann jüngst als erster deutscher Coach die Premier League.

Das Hoch der deutschen Trainer - eine Momentaufnahme am Ende einer kuriosen Saison? Oder doch mehr? Jedenfalls kann der Fußball die gerade im Land grassierende Personalskepsis bei Führungskräften nicht teilen. Von Junior Nagelsmann, 33, bis zu Großmeister Flick, 55, - aus jeder Generation scheint gerade das Passende dabei zu sein.

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SZ vom 24.08.2020/chge
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