Flavio Briatore:Pantoffel-Hai auf dem Weg in die Politik

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Flavio Briatore steht für das Italien von Silvio Berlusconi, in dem jeder Skrupellose etwas werden kann - sein Rauswurf aus der Formel 1 ändert daran nichts.

Birgit Schönau

Bei seinem letzten Auftritt in großer Öffentlichkeit erschien Flavio Briatore auf dem roten Teppich des Filmfestivals von Venedig. In welcher Funktion blieb ungewiss, fest stand nur: Briatore kam als Pantoffelheld. Ihm zur Seite schritt seine 30 Jahre jüngere Ehefrau auf schwindelerregend hohen Silbersandaletten. Briatore trug flache Samtpantoffeln. So, als wenn er sagen wollte: Das Rennen ist vorbei, Leute, jetzt mache ich es mir zu Hause gemütlich.

Tage später folgte, was in seiner diesbezüglich nicht verwöhnten Heimat Italien als beau geste bewertet wird, nämlich der Rückzug aus der Formel 1. Ob Briatore seinem Rennstall Renault mit einer freiwilligen Demission zuvor kam oder ob er schlicht gefeuert wurde, weiß man nicht genau. Aber vieles spricht für die letztere Version, nicht zuletzt das knappe Kommuniqué des Rennstalls, eine kühle Abschiedsformel ohne Dankesworte oder sonstige Höflichkeitsschnörkel.

Vieles spricht auch dafür, dass Briatore zwar Pantoffeln trägt, aber deshalb noch lange keinen Abgang auf leisen Sohlen vollziehen wird. Er könnte auspacken, wird in Italien spekuliert. Er wisse einfach zu viel über seine Geschäftspartner und Widersacher, allen voran über jenen Max Mosley, dessen "Intrigen und Verrätereien" ( Corriere della Sera) Briatore schließlich zum Opfer gefallen sei. Mit dem Samson Briatore, so das Szenario, könnten alle Formel-1-Philister untergehen. Außer denen von Ferrari, naturalmente.

Bei Luciano auf dem Sofa

Nicht, dass man Flavio Briatore die Nummer mit dem Unfall nicht zutrauen würde. Den jungen Nelson Piquet, kein Glanzlicht seiner Zunft, zu einem inszenierten Crash anzustiften, auf dass Piquets Teamkollege Alonso in Singapur das Rennen gewinnt - für einen wie Briatore wohl eher eine leichtere Übung. Ungeschickt nur, Piquet dann wegen "erwiesener Unfähigkeit" zu entlassen. Aber mal ehrlich: Wer war denn jemals davon ausgegangen, dass die Formel 1 eine Werkstatt der Saubermänner wäre? "Er ist ein Rüpel, aber trotzdem sehr sympathisch", hatte schon der Grandseigneur Luciano Benetton erkannt, als er Briatore 1989 zum Boss seines Formel-1-Teams erkor. Da hatte der gelernte Landvermesser aus einem Nest in der Provinz Cuneo, Piemont, gerade mal ein paar Rennen gesehen. Bei Luciano Benetton zu Hause, auf dem Sofa.

Briatores Aufstieg begann also quasi wie sein Abgang - in Pantoffeln. Und wenn man ihm etwas zugute halten kann, dann dies: Nie hat der Sohn eines Grundschullehrer-Ehepaars einen Hehl daraus gemacht, dass er neben der Fähigkeit, mit allen Wassern gewaschen zu sein, nicht viele andere Voraussetzungen besitzt, um einer der bekanntesten Sportmanager der Welt zu werden. Und einer der berühmtesten Italiener. Als etwas zwielichtiger Botschafter jenes Berlusconi-Italien, in dem Männer auch ohne Herkunft oder Bildung, dafür aber mit den richtigen Verbindungen und unbelastet von überflüssigen Skrupeln wirklich etwas werden können. Wenn auch nicht unbedingt ein Vorbild für die Jugend.

Briatore ist überall mit drin und wenn es brenzlig wurde, war er immer ganz schnell draußen. Als sein Kompagnon Attilio Dutto 1979 mitsamt Auto in die Luft flog, war Briatore gerade mal 29 Jahre alt. Mit Dutto gemeinsam betrieb er eine Lackfabrik, die vorher Michele Sindona gehört hatte, dem unter mysteriösen Umständen im Gefängnis gestorbenen Bankier zwischen Vatikan und Mafia. Der junge Landvermesser Briatore heuerte nach dem Attentat in Mailand an, als Börsenhändler.

Außerdem machte er sich als Pokerspieler einen Namen. Sein Ruf war nach einem Prozess um Falschspielerei und eine anschließende Strafe über drei Jahre ein wenig angeknackst. Aber Briatore überwinterte auf den Virgin Islands - bis eine der in Italien üblichen Generalamnestien ihm die Heimreise ermöglichte. Seither, so sagt er, habe er nie wieder ein Kartenspiel angefasst. Wozu auch. Briatore besaß längst ganz andere Spielzeuge. Rennautos. Und den englischen Zweitligaklub Queens Park Rangers. Den kaufte er 2007 zusammen mit Bernie Ecclestone, der einmal über seinen Kumpan sagte: "Wer Flavio kennenlernt, hält mich ab sofort für ein Muster an Gutmütigkeit."

Einen "Hai inmitten von Piranhas" hat nach der Crash-Affäre die Mailänder Zeitung Il Giornale Briatore genannt. Es war wohl als Solidaritätsadresse gemeint. Das Blatt gehört dem jüngeren Bruder Silvio Berlusconis und schießt zurzeit eigentlich gegen so ziemlich jeden scharf, der Big Brother unangenehm auffällt. Briatore gehört offensichtlich nicht dazu. Silvio Berlusconi ist sein Freund. Man besucht sich gegenseitig auf Sardinien, wo der Renn-Manager eine 43-Meter-Yacht liegen hat und eine Disco mit dem eindeutigen Namen "Billionaire" betreibt.

In diesem Sommer besetzte Briatores "Billionaire" einen sardischen Sandstrand, der bis dato ein beliebter Treffpunkt der Einheimischen war. Die Sarden veranstalteten daraufhin ein Sit-In. Mit gutem Recht: Der Zugang zum Meer gehört in Italien dem Staat und somit allen. Briatore klagte auf Schadensersatz in Millionenhöhe. Er hält es da wie Berlusconi: Der Staat bin ich. Im Vaterland des zügellosen Individualismus kommt das an. Woanders weniger. Falls Briatore in der Crash-Affäre von einem britischen Sportgericht verdonnert wird, muss er sich wohl auch von seinem Fußballklub verabschieden.

Held der Arbeiterbewegung

Um vielleicht bei Milan einzusteigen? Briatore ist eingefleischter Juventus-Fan und betreibt mit dem alten Juve-Freund Marcello Lippi eine Badeanstalt in der Toskana, aber wie sagte er über die Formel1: "Das ist kein Sport, sondern Geschäft." Milan-Manager Adriano Galliani verteidigt den Geschassten inbrünstig: "Er ist bei Renault gegangen, um Arbeitsplätze zu retten." Briatore als Working class hero! Da muss man erst mal drauf kommen. Italiens Verteidigungsminister Ignazio La Russa, ein schneidiger Ex-Faschist, setzte noch einen drauf: "Sein Rücktritt ist eine noble Geste, aber ein Schlag ins Gesicht für alle, die ihn immer nur als Partyhengst und Playboy darstellen wollen." War da jetzt Briatore gemeint oder noch jemand mit B.? Einer, dessen Rücktritt erst recht eine noble Geste wäre? Egal. Der Weg für Flavio Briatore in Pantoffeln scheint jedenfalls vorgezeichnet. Er führt schnurgerade in die italienische Politik.

© SZ vom 19.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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