Süddeutsche Zeitung

Skispringen:Es bleibt bei einer halben Sache

Für den kommenden Winter war die Premiere der gemeinsamen Vierschanzentournee der Männer und Frauen geplant. Nun verschiebt der österreichische Verband den Start. Zahlreiche Skispringerinnen sind verärgert.

Von Volker Kreisl, Engelberg

Die Zeit zwischen Weihnachten und dem 6. Januar gehört dem Skispringen. Es ist die Zeit, in der sportinteressierte Menschen bei Einbruch der Dunkelheit den Fernseher einschalten und auf Skispringen gehen. Obwohl, präziser gesagt handelt es sich dabei um ein spezielles Skispringen, nämlich das männliche. 71 Mal schon ist seit 1953 nach den acht Sprüngen - je zwei bei den vier Tournee-Orten Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen - ein Sieger gekürt worden. Eine Siegerin noch nicht.

Das soll sich ändern, alle im Sport sind sich dessen sicher, und ein Termin stand auch schon fest. Die kommende Ausgabe, die am 28. Dezember mit der Qualifikation beginnt, würde diesem Plan nach die letzte reine Männer-Tournee werden, die Ausgabe im Jahr drauf, also im Winter 2023/2024, sollte zur Tournee-Premiere der Skispringerinnen werden. Doch nun hat Roswitha Stadlober, die Präsidentin des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) erklärt, aus dem Plan werde nichts. Es gebe noch ungelöste Probleme, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur, man orte noch "viele zu berücksichtigende Faktoren, die eine frühere Einführung nicht ermöglichen".

Immerhin, es bleibt aktuell bei einer halben Frauen-Tournee, der Deutsche Skiverband hat bereits beim Weltverband Fis die Orte Garmisch und Oberstdorf als Tournee-Wettbewerbe für die kommende Saison angemeldet. Dennoch, die Enttäuschung ist groß. Aus diplomatischen Gründen wohl hielten sich die meisten Springerinnen an diesem für sie düsteren Freitag zurück. Dem Vernehmen nach aber sind zum Beispiel die Deutschen mindestens entsetzt. Ähnlich dürfte es allen internationalen Konkurrentinnen ergehen. Denn dass die gemeinsame Tournee dann eben im übernächsten Jahr beginnt, erscheint ebenfalls noch nicht fix. Die Rede ist ja von "nicht vor 2024/25".

Die Tourneeplaner erwiesen sich schon oft als Meister im Organisieren

Eines der bisher ungelösten Probleme besteht wohl weiterhin im Zeit- und Reiseplan einer Tournee für Männer und Frauen. Das ist tatsächlich nicht so einfach zu lösen, weil die Tournee sich auch dadurch auszeichnet, dass sie in der stillen Zeit kaum Zeit hat. In den elf Tagen geraten schon die Männer bei wetterbedingten Verschiebungen in Probleme, jetzt sollen noch die Frauen dazukommen. Auch die Frage, ob diese überhaupt am selben Tag, quasi im Vorprogramm der Männer, antreten sollten, oder besser eine eigene Tournee starten, die sich etwa in umgekehrter Richtung bewegt, von Österreich nach Deutschland, wird diskutiert. Alexander Stöckl, der österreichische Trainer von Norwegens Männern, sagte nun in Engelberg, die Springerinnen sollten auch nicht "gegenüber den Männern abfallen".

Grundsätzlich richtig ist es ja, wenn man sich letztlich nicht mit einer unzureichend organisierten Premiere blamieren möchte. Doch droht dies wirklich? Die Tourneeplaner haben Jahrzehnte an Erfahrung, sie haben einen Sport mitentwickelt, der in seinen Abläufen perfekter nicht erscheinen könnte. Sie trotzen dem Wetter, den Schnee- oder Fönstürmen am Innsbrucker Bergisel, sie planen sogar schon Szenarien für die Zeit ohne Schnee in Mitteleuropa, die sicher kommen wird. Bei solcher Fachkompetenz ist es verständlich, dass die auf höchstem Niveau skispringenden Frauen, die sich auf einen eigenen Jahreshöhepunkt eingestellt haben, verärgert sind.

Die Frage ist somit, was nun abträglicher wäre: die Aussicht auf einige nach zwölf Monaten noch ungelöste Detailprobleme - oder die kollektive Enttäuschung aller Skispringerinnen, die seit 2014 olympisch und länger schon bei Weltmeisterschaften dabei sind; längst eigene Nachwuchsathletinnen hervorbringen und eigene Strukturen knüpfen.

Sollte sich das letzte Großereignis des Winters vom konservativen Männer- zum zeitgemäßen Gesamtereignis wandeln, so wäre dies für nicht wenige Zuschauende ein überfälliger Schritt, ja ein Symbol für das Ende des alten Denkens. Vorerst bleibt die Internationale Vierschanzentournee der Männer und Frauen eine halbe Sache.

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