Film über Fußball-WM 2014:Zufällig ein Sommermärchen gefilmt

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Ein Film soll die WM dokumentieren, die mit dem Titelgewinn endete.

(Foto: AFP)

Ein Kameramann filmte in Brasilien die deutsche Nationalmannschaft. Eigentlich waren die Aufnahmen für den internen Gebrauch bestimmt - nach dem Titelgewinn entsteht nun ein Film, den niemand plante.

Von Christopher Keil

Als der Regisseur Sönke Wortmann im Sommer 2006 mit einer kleinen Digitalkamera die Halbzeitansprachen des damaligen Fußball-Bundestrainers Jürgen Klinsmann festhielt ("die hauen wir durch die Wand"), oder auch die geräuschlose Ohnmacht in der Stadionkabine nach dem Ausscheiden im Halbfinale gegen Italien, war das aufregend. Es war WM in Deutschland, und es hatte ja vorher aus dem deutschen Profifußball keine vergleichbaren Bilder gegeben.

Sönke Wortmann begleitete das Nationalteam sieben Wochen vor und während der Weltmeisterschaft, er war der 24. Spieler im Aufgebot. "Deutschland - Ein Sommermärchen" wurde ein einzigartiges Dokument deutscher Sportgeschichte.

Heute, acht Jahre später, laden Fußball-Profis fast jedes Wochenende sogenannte Selfies aus den Kabinen hoch und füllen damit ihre Accounts bei Instagram, Twitter, Facebook. Man weiß inzwischen, wie es im Inneren einer Mannschaft zwischen Dusche und Massagebank ausschaut, ob man nun möchte oder nicht.

Und doch ist in diesen Tagen ein Projekt in Arbeit, das wie ein Zitat auf 2006 wirkt. Tom Spiess, Produzent des "Sommermärchens" und mit Sönke Wortmann Betreiber der von Köln aus tätigen Produktionsfirma Little Shark Entertainment, hat einen Haufen Material erhalten vom Deutschen Fußball-Bund (DFB), verbunden mit der Bitte um Beratung. Der Haufen besteht aus Nahaufnahmen der Weltmeistermannschaft 2014, die ein Kameramann vom verbandseigenen DFB-TV im Campo Bahia, dem deutschen Strandquartier in Brasilien, auf fröhlichen Busfahrten und kleinen wie großen Feiern sammelte.

Eigentlich hatte der Kameramann andere Aufgaben: Er sollte die Trainingseinheiten der Mannschaft beobachten und dann Clips montieren, die der Trainerstab für die individuelle Betreuung der Spieler sowie die taktische Vorbereitung auf den nächsten Gegner einsetzen kann. Das hat er zusammen mit einem Cutter auch gemacht, außerdem hat er Motivationsfilmchen geschnitten, und zwischendurch hat er eben einfach draufgehalten: auf das Inselleben im abgeschiedenen Campo, auf die Gesichter nach den Siegen, vor allem auf alles nach dem Endspiel. Wer bei der Fernsehübertragung des Finales genau hinschaute, konnte ihn nach dem Schlusspfiff im Deutschlandtrikot mit ordentlicher Digitalkamera zwischen den tanzenden Spielern entdecken.

Vielleicht war der Plan, dass jeder, der an der Brasilien-Expedition des DFB teilnahm, hinterher ein Video bekommen hätte: Erinnerungen an die WM 2014. Doch dann wurde Deutschland Weltmeister, plötzlich erlebte nicht nur Bundestrainer Joachim Löw, wie er gerade äußerte, "viele magische Momente, für die Ewigkeit, wie in einem Rausch". Manchmal entstehen in magischen Momenten kommerzielle Ideen. Die Idee zu einem Film über die WM in Brasilien, behauptet ein DFB-Manager, "die hatten wir schon vorher". Aber ein WM-Titel ist keine planbare Idee.

Manch einer mag den Haufen DFB-TV-Material, das "vielfältig" sein soll, jetzt schon deshalb in die Nähe des "Sommermärchens" rücken, weil das so eine schöne Marke ist, die sich erweitern ließe, und weil sich im Halbfinale das märchenhafte 7:1 über Brasilien zutrug. Der in Fiktionen erfahrene Produzent Tom Spiess (u.a. "Das Wunder von Bern") wurde folgerichtig beauftragt, die Chancen des noch sehr rohen Produktes auf dem Medienmarkt auszuloten, gar seine Kinotauglichkeit zu prüfen.

Fifa muss zustimmen

Spiess wird also mit TV-Sendern um eine Ausstrahlung verhandeln, eine DVD-Verwertung abschätzen, Rechte klären mit dem Fußballweltverband Fifa und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das die WM übertrug. Ohne die Zustimmung der Fifa gibt es kein Tor, keine Spielszene von der WM zu sehen, ohne die Fifa gibt es also keinen Film. Doch die Fifa wird zustimmen, DFB und Fifa wollen das Projekt gemeinsam herausbringen. Erlöse sollen überwiegend in Stiftungen der beiden Verbände fließen.

Was das für ein Film werden soll, ist bislang nicht ganz klar. Die französische Fußballverband ließ 1998 als erster ein Making-of des WM-Auftrittes seiner Nationalelf anfertigen. Der Trainer Aimé Jacquet soll mehr Kontrolle ausgeübt haben als früher Studiobosse in Hollywood. Die Équipe Tricolore wurde in Frankreich Weltmeister, die Dokumentation zum Vorbild; wobei Klinsmann Wortmann 2006 weit mehr vertraute. In Brasilien hatten die Deutschen keinen Regisseur dabei und kein Konzept, das die Dramaturgie des Turnierverlaufs in der Bearbeitung ergänzen und durchbrechen könnte. So plant man den Zufall.

Neulich, zwischen den Länderspielen gegen Argentinien und Schottland in Düsseldorf und Dortmund, hat der DFB deshalb Interviews nachgedreht. Gesprochen wurde mit Philipp Lahm, Miroslav Klose, Per Mertesacker, die nach dem WM-Titel ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärten, und natürlich mit Hauptdarstellern wie Bastian Schweinsteiger, Mario Götze oder Sami Khedira.

Wahrscheinlich werden auch noch andere zu Wort kommen, möglicherweise auch aus Politik, Gesellschaft, Kultur. Die persönlichen Eindrücke der Weltmeister und die prominenter Zeitzeugen, die mit Abstand überlegte Beurteilung des Erfolges, werden als zweite, als tiefe Ebene die Fanperspektive der DFB-Kamera ergänzen müssen - wobei: Zu viel Tiefgang wird nicht erwartet, nicht vom Fernsehen, nicht vom Publikum, nicht vom Weihnachtshandel, auf den das DVD-Geschäft ausgerichtet sein könnte.

Das, was den Film so schätzbar attraktiv macht, ist sein Finale. Man weiß, wie es ausgeht. Ende gut, alles gut, das wusste schon Shakespeare, ein Mann, der mit Dramen umzugehen verstand, aber leider für England spielt.

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