Fifa: WM-Vergabe:Sepp Blatters doppeltes Spiel

Die WM-Kür zugunsten von Russland und dem Wüstenemirat Katar ist ein taktisches Meisterwerk: Wie es Fifa-Chef Sepp Blatter gelang, mit der Vergabe von zwei Großveranstaltungen seine Macht im Weltverband zu sichern.

T. Kistner und C. Kneer

Als alles vorbei war und die Sieger feststanden, lohnte es sich, noch einmal kurz auf den prächtigen Reigen der Argumente zurückzublicken, die monatelang gewogen, ausgetauscht und platziert worden waren. Aussichtsreichster Anwärter auf den Titel "tollstes Argument" dürfte Bill Clinton gewesen sein, der ehemalige US-Präsident. Er hatte die Kandidatur der USA für die Fußball-WM 2022 ernsthaft mit dem unschlagbaren Satz beworben: "Wir können alle Stadien füllen, weil wir so viele Menschen haben."

Qatari fans celebrate at Souk Waqif in Doha

Ausnahmezustand in Doha: Das Wüstenemirat Katar feiert.

(Foto: REUTERS)

Sollte dieses lustige Argument ausschlaggebend gewesen sein bei der Vergabe der WM-Turniere 2018 und 2022, dürfte zumindest die WM 2018 eine logische Wahl sein: Dieses Turnier geht an Russland, wo es auch recht viele Menschen gibt. Russland ist erstmals Veranstalter einer WM und setzte sich gegen England sowie die gemeinsamen Bewerbungen von Spanien/Portugal sowie Niederlanden/Belgien durch.

Nicht sehr viele Menschen hingegen gibt es in Katar, wohin das Fifa-Exekutivkomitee die WM 2022 vergab; an den merkwürdigsten Kandidaten, dessen Kür eindeutig darauf hinwies, welchen Motiven die Entscheidung folgte.

Natürlich gab es direkt nach der feierlichen Bekanntgabe die rührenden Bilder, die Fifa-Boss Sepp Blatter so liebt: Siegreiche Menschen, die einander in die Arme fallen, und unterlegene Menschen, die den siegreichen Menschen fair gratulieren. Das ist die Art, in der Blatter seine Fußballfamilie inszeniert - wie sehr diese Familie auf sein Kommando hört, wurde selten so deutlich wie am Donnerstag in der Züricher Messehalle. Die Gewinner, die aus den Umschlägen gezogen wurden, hießen Russland und Katar - die wahren Gewinner aber hießen Sepp Blatter und Wladimir Putin.

Für Blatter war die Veranstaltung eine Flucht nach vorne: Mal wieder von diversen Affären belastet, ist ihm nach innen ein bemerkenswerter Befreiungsschlag gelungen. Mit der Kür Russlands sicherte er sich ein üppiges Stimmenpaket, das er dringend braucht, wenn er sich im Mai 2011 zur Wiederwahl stellt. Knapp ein Dutzend Voten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken könnte ihm Putins legendärer Einfluss auf die Sportwelt bescheren.

Mit der Kür Katars indes holt Blatter seinen ärgsten Rivalen zurück ins eigene Boot: Asiens Präsident Mohammed Bin Hammam, ein Geschäftsmann aus Doha, wollte unlängst sogar noch gegen Blatter kandidieren. Nun wird er die WM 2022 zu schätzen wissen.

Wer den Verlauf der Wahlgänge studiert, bekommt eine Ahnung davon, wie sehr Blatter und Putin die übrigen Kandidaten am Nasenring durch die Manege gezogen haben. Bei der Entscheidung über den WM-Ausrichter 2018 schied England bereits im ersten Wahlgang aus, mit nur zwei der insgesamt 22 Stimmen - eine vernichtende Abfuhr für das "Mutterland des Fußballs", wie Blatter die Briten genüsslich vorgestellt hatte - kurz bevor er das Kuvert öffnete.

Juristisches Nachspiel?

Beobachter brachten die dramatische Niederlage mit jenen galligen Hinweisen in Verbindung, die Putin in den Stunden vor der Kür aus der Ferne beigesteuert hatte. Demonstrativ missvergnügt hatte der Ministerpräsident ausrichten lassen, dass gewisse Bemühungen von Rivalen den Kür-Zirkus zur Farce hätten werden lassen - gemeint war Team England, das mit diversen Medien-Coups den fragwürdigen Charakter des Prozederes beleuchtet hatte.

Scheinbar grollend war Putin der Zeremonie in Zürich ferngeblieben, was als Nachteil für die russische Bewerbung gewertet wurde - jetzt aber zeigt das absolute Votum für Russland schon in Runde zwei mit 13 Stimmen, dass es der russische Premier, anders als alle Kollegen, all die Prinzen und Scheichs und Ex-Präsidenten gar nicht nötig hatte, persönlich als Bittsteller vor die Fifa-Exekutive zu treten. Putin hat den Weltsport zunehmend im Griff, das demonstrierte er bereits 2007, als er das nächste Winter-Olympia in seine Sommerresidenz Sotschi holte.

Die WM 2022 indes wurde erst nach vier Wahlgängen entschieden; nach Australien schieden Japan, dann Südkorea aus. Im Finale schlug Katar die USA deutlich.Wie umstritten Katar auch im Weltverband ist, zeigt die Aussage des Belgiers Michel d'Hooge, der zu den besonnenen Fifa-Kräften gezählt wird. "Darüber wird zu einem gegebenen Zeitpunkt noch zu reden sein", sagte er in Zürich, als er in seiner Eigenschaft als Mediziner nach dem leistungssportfeindlich heißen Klima in Katar befragt wurde.

Blatters Sieg nach innen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er von außen weiter unter Druck steht. Während die Hinterbänkler Temarii (Tahiti) und Adamu (Nigeria) suspendiert wurden, weil sie auf ein Scheinangebot britischer Medien zum Stimmkauf eingegangen waren, ermittelte die Fifa-Ethikkomission in der Causa der belasteten Topfunktionäre Ricardo Teixeira (Brasilien), Nicolas Leoz (Paraguay) und Issa Hayatou (Kamerun) keine Sekunde.

Ein juristisches Nachspiel scheint möglich: Nach der Suspendierung Temariis und Adamus standen beim Votum nur 22 Vorständler zur Verfügung; laut Satzung müssen 24 Exko-Mitglieder abstimmen. Schon deshalb könnten unterlegene Kandidaten die Wahl juristisch anfechten; diese Sichtweise vertritt der Frankfurter Sportrechtler Nicolas Rößler. Aber erstmal wird Blatter prominente Hände schütteln dürfen. Putin gab am Abend bekannt, er werde nun doch nach Zürich reisen, um der Fifa zu danken.

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