Zeuge spricht von gekaufter WM:"Was machst du? Stimmst du nicht für Katar?"

General views of Venues for 2022 FIFA World Cup Qatar

So soll eines der Stadien in Katar 2022 aussehen.

(Foto: Handout)
  • Der Argentinier Alejandro Burzaco hat im Fifa-Prozess unter Eid ausgesagt, dass Katar eine Millionen Dollar für eine Stimme gezahlt habe.
  • Es sind die bisher konkretesten Anschuldigungen gegen den Golfstaat. Wenn die Fifa sich nicht um Aufklärung bemüht, steht ihre Existenz auf dem Spiel.
  • Ein Beschuldigter beging wenige Stunden nach dem Prozess Suizid.

Von Thomas Kistner

Seit gut einer Woche laufen im New Yorker Bezirk Brooklyn erste Prozesse rund um Fifa-Gate, die Korruptionsaffären im Weltfußball, und wer dachte, dort ginge es nur um dreiste Geldschiebereien von ein paar Dutzend gierigen Funktionären und Marketendern, wurde schon zu Beginn eines Besseren belehrt: Die Ankläger haben eine "closed jury" durchgesetzt, die Namen der Geschworenen werden geheim gehalten. Offiziell, so Richterin Pamela Chen, um sie vor dem Ansturm der Medien zu schützen. Es soll aber nach SZ-Informationen konkrete und ernstzunehmende Drohungen gegen wichtige Zeugen gegeben haben.

Nach den New Yorker Aussagen nimmt sich in Buenos Aires ein Fußball-Manager das Leben

Ob Alejandro Burzaco so ein Zeuge ist, bleibt offen. Gesichert ist, dass er den Prozess am Dienstag mit brisanten Aussagen auf eine neue Ebene gehievt hat. Der Argentinier, der einräumt, über seine Firma Torneos y Competencias mehr als eine Dekade lang Schmiergelder für TV-Rechte an Topleute des Südamerika-Verbands Conmebol gezahlt zu haben, berichtete nun von gekauften Stimmen für die WM 2022 in Katar. Unter Eid vor einem Schwurgericht - so konkret gab es das noch nicht.

Sollten sich die Vorwürfe erhärten, hat nicht nur der künftige WM-Veranstalter ein Problem. Dann geriete die Fifa selbst unter Handlungsdruck. Die Fifa-Gate-Verfahren laufen im Rahmen der amerikanischen Anti-Mafia-Gesetzgebung Rico ab, und der Weltverband hat dort nur den wackeligen Status als vorläufiges Opfer inne. Die Organisation gilt als betrogen und ausgeraubt: von eigenen Spitzenkräften, Marketing- und Veranstaltungs-Partnern. Daher muss sie alles tun, um den an ihr bewirkten Schaden zu heilen. Dazu zählt nicht nur bedingungsloser Kooperationswille mit den Strafbehörden. Sondern auch, jeden überführten Sünder zur Rechenschaft zu ziehen - andernfalls kehrt sich der Opfer-Status rasch in einen Täter-Status. Was zwar nicht das Ende der Fußball-WM-Turniere wäre (die können auch andere organisieren), wohl aber der Organisation Fifa. Auf gerichtsfeste Beweise für ein gekauftes WM-Turnier, wo auch immer, müsste die Fifa angemessen reagieren. Zum eigenen Schutz und zu dem der ebenfalls betrogenen Mitbewerber.

Burzacos Vorwürfe im Kontext Katars, das stets alle Vorwürfe bestritt, richten sich gegen die langjährigen Funktionärspaten Südamerikas. Ricardo Teixeira (Brasilien), Nicolás Leoz (Paraguay) und insbesondere der 2014 verstorbene Julio Grondona (Argentinien), Nummer zwei der Fifa hinter Boss Sepp Blatter, sollen bei der WM-Vergabe am 2. Dezember 2010 ihre Voten verkauft haben. Burzaco hat keine konkreten Beweise für die geschilderten Vorgänge ("Ich weiß nicht, ob es zutrifft") - will sie aber miterlebt oder aus erster Hand erfahren haben. Er behauptet, sein Landsmann und langjähriger Geschäftspartner Grondona habe für die Katar-Stimme mindestens eine Millionen Dollar erhalten, und wartet dazu mit netten Details auf. Demnach habe der damals 82-jährige Leoz während der ersten beiden Abstimmungsrunden im Fifa-Exekutivkomitee zunächst Japan, dann Südkorea, nicht aber Katar gewählt. Weshalb ihn sich Teixeira und Grondona in einer der edlen Fifa-Toiletten zur Brust genommen hätten. "Sie schüttelten ihn", berichtete Burzaco, "sie fragten: Was machst du?

Stimmst du nicht für Katar?" Erfahren haben will er das im Januar 2011, von Grondona selbst in dessen Domizil in Buenos Aires. Dort habe der Fußballpatron, Spitzname "Don Julio", wehklagt, er selbst habe nur 1,5 Millionen Dollar als Bezahlung erhalten - während Sportsfreund Teixeira in Brasilien, ein mehrfach überführter Schmiergeld-Empfänger im Fifa-Sumpf, gemeinsam mit seinem spanischen Partner Sandro Rosell 75 Millionen eingestrichen hätte. Rosell, vormals Präsident des FC Barcelona, sitzt seit Sommer in Madrid in U-Haft. Kabarettreif auch, was Burzaco zu späteren Gemütslagen Don Julios darlegte. Demnach soll der Patron ausgerastet sein, als er Monate nach der obskuren Fifa-Wahl öffentlich mit Schmiergeldgaben von 80 Millionen Dollar in Verbindung gebracht wurde. Der unterbezahlte Grondona habe deshalb bei einem Fifa-Treff Delegierte Katars zur Rede gestellt: "Zahlt mir 80 Millionen Dollar oder erklärt öffentlich, dass ihr mich nie bezahlt habt!"

Der zornige Don habe sogar eine Million Dollar Schmiergelder, die aus einem anderen Korruptionsdeal um die Copa-América-Rechte für Teixeira vorgehalten waren, an sich selbst umgeleitet - weil er der Meinung gewesen sei, das stünde nun ihm zu. Storys um eine Ganovenehre, die man aus Mafiafilmen kennt, vorgetragen vom Zeugen der Anklage im New Yorker Schwurgericht. Ob oder wie weit sie zutreffend sind, werden nun die US-Bundespolizei FBI und andere Strafbehörden ermitteln.

Abwegig immerhin sind solche Aussagen nicht, wie Mehltau liegt der Korruptionsverdacht über den WM-Vergaben 2018/2022. Wie auch über anderen Fifa-Küren, durchgeführt von Funktionären, die Jahre später nahezu komplett in den Fängen der Justiz landeten. Welche enorme Brisanz die Aussagen eines der vormals mächtigsten Fußballrechtehändlers Südamerika besitzen, zeigte sich am Dienstag auf tragische Weise. Vor Gericht hatte Burzaco, neben jährlichen Fixzahlungen an Teixeira, Grondona und Co., auch geschildert, er habe zwischen 2011 und 2014 vier Millionen Dollar Schmiergelder an Pablo Paladino und Jorge Delhon ausgeschüttet, die mit dem staatlichen Programm Fútbol para Todos (Fußball für alle) befasst seien. Das verwaltete unter der Regierung Kirchner die nationalen Fußballrechte.

Stunden später gab die Polizei in Buenos Aires den Tod von Jorge Delhon bekannt. Der 52-jährige Anwalt hat offenbar Suizid begangen.

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