Süddeutsche Zeitung

Ermittlungen der US-Justiz:Der Tsunami kann für die Fifa noch kommen

  • Anders als die Schweizer Justiz nimmt die US-Justiz in den Ermittlungen um die WM-Vergaben 2018 und 2022 die Kernfigur vieler Affären, Jack Warner, deutlich stärker in den Fokus.
  • Die USA könnten daher letztlich sogar die Austragung der WM 2022 in Katar stoppen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Kurz nachdem die Fußballwelt explodiert war, im Sommer 2015, sah die Sache sehr gut aus: Eine transatlantische Allianz hatte sich gebildet, Strafermittler in den USA und der Schweiz begannen, den dunklen Geschäften rund um den Fußball-Weltverband Fifa nachzugehen. Sie tauschten Hilfsgesuche und Erkenntnisse aus. In Bern gab es gar einen legendären Presseauftritt: Seite an Seite sagten die damalige US-Justizministerin Loretta Lynch und Michael Lauber, Chef der Schweizer Bundesanwaltschaft (BA), allen korrupten Funktionären den Kampf an. Die USA und die Schweiz als Einheit: Das war die Botschaft. Jetzt, fünf Jahre später, könnten Distanz und Differenzen nicht größer sein. Hier die rigorosen Amerikaner, da die täppischen Eidgenossen, die wie ein Trupp Hobbydetektive wirken - das ist der Plot. In New York sind schon 28 Angeklagte verurteilt oder bekannten sich schuldig; in Bern ist alles am versanden. Die US-Justiz sieht sich im Stich gelassen, auch das dürfte Antrieb sein für ihren Vorstoß, der sich nun erstmals konkret gegen WM-Vergaben richtet. Das Problem, das sie mit den Kollegen hat, offenbart sich besonders anschaulich an deren Umgang mit einer ihrer Zielfiguren: dem karibischen Skandalfunktionär Jack Warner.

Zu Wochenbeginn publizierten die US-Ermittler eine fulminante Anklage. Darin halten sie unverhohlen fest, dass Katar für den WM-Zuschlag 2022 mindestens drei - entscheidende - Voten gekauft habe. Und dass Warner, 77, bei der Vergabe der WM 2018 aus Russland fünf Millionen Dollar Schmiergeld erhielt. Nun teilte die Berner BA der SZ mit, dass sie im Verfahren gegen den früheren Fifa-Chef Sepp Blatter beabsichtige, einen Strang einzustellen: den zu einem sehr anrüchigen TV-Rechtevertrag der Fifa mit der karibischen Fußball-Union, die Warner lange anführte. Die entsprechende Absichtserklärung sei den Beteiligten schon zugekommen, so die Behörde.

Für die US-Justiz war Jack Warner stets erste Zielperson

Dabei hatte just dieser Vertrag Warner ermöglicht, TV-Rechte für die WM-Turniere 2010 und 2014 zum Spottpreis zu erwerben - und sie für einen vielfachen Millionengewinn wieder zu veräußern. Das war der bedeutendere Strang in den Ermittlungen um Blatter. Jetzt steht in seinem Verfahren nur noch eine Fifa-Zahlung über zwei Millionen Franken an Europas früheren Fußballchef Michel Platini im Raum. Und auch diese Sache ruht seit Jahren. Weil sie, so der wachsende Verdacht, ihren Zweck längst erfüllt hat? Tatsächlich war Platini im Herbst 2015 über diese Zahlung gestolpert, damals war er Blatters designierter Fifa-Thronerbe. Er musste den Weg freimachen für eine Figur, die interessanterweise schon Wochen nach Ausbruch der Fifa-Affäre stille Drähte zur BA aufbaute: sein General Gianni Infantino. Monate später wurde der Schweizer Fifa-Boss.

Für die US-Justiz war Jack Warner stets die erste Zielperson. Er häufte über Jahrzehnte die meisten Skandale an, wiewohl er Fehlverhalten stets bestritt (auch der neue Russland-Vorwurf sei "dumm"). Und: Warner war Fifa-Vize und 21 Jahre lang Chef des Nord-/Mittelamerikaverbands Concacaf. Über Mohammed bin Hammam hielt er auch beste Drähte nach Katar, in jenes Emirat, das in so vielen Affären des Weltfußballs auftaucht. In einem Fall verurteilte ihn die US-Justiz bereits zu einer Strafzahlung von 79 Millionen Dollar; in Abwesenheit, weil sich Warner der Auslieferung widersetzt. Da ging es um Korruption im Zusammenhang mit der TV-Rechte-Vergabe für Concacaf-Turniere.

Aber das FBI hat viel mehr gegen ihn ermittelt. 2016, als die Fifa noch führungslos war und alles nach guter Justizkooperation aussah, beschrieben Kreise um die US-Ermittler der SZ, dass aus den zwei Dutzend Fällen des Berner Fußballkomplexes drei für sie besonders wichtig seien - alle drehten sich um Warner. Erstens: eine Zahlung über zehn Millionen Dollar, die von Südafrikas WM-Bewerbern 2010 unter Mithilfe der Fifa in die Karibik floss. Zweitens: der schräge TV-Vertrag für Warner im Blatter-Verfahren. Und drittens: das deutsche Sommermärchen, die WM 2006.

Hier steht seit jeher eine ungeklärte Zahlung über 6,7 Millionen Euro im Fokus. Aber das verdeckt die eigentliche, ganz nebenbei enthüllte Ungeheuerlichkeit: einen Millionenvertrag mit Warner. Nur vier Tage vor der WM-Vergabe hatten die deutschen WM-Bewerber um Franz Beckenbauer nichts Wichtigeres zu tun, als dem Handaufhalter aus der Karibik Leistungen im Wert von fünf Millionen Euro zuzusichern. Und: Die Deutschen taten alles, um diesen Vertrag verschwinden zu lassen. Dummerweise fand sich bei einer Hausdurchsuchung im Zuge der Affäre eine Kopie, die im DFB-Archiv an falscher Stelle abgelegt war. Der Kontrakt flog auf, nun wollten ihn die Funktionäre herunterspielen: Das sei nur ein "Entwurf" gewesen, ein "Beruhigungsvertrag". Als ließe sich einer wie Warner ungestraft so billig vorführen - immerhin trug der Vertrag seine und Beckenbauers Signatur. Und schon 2013 hatte einer seiner engsten Vertrauten, Elias Zaccour, der SZ erklärt, Warner habe bei der Abstimmung Deutschlands knappen 12:11-Sieg mit seinem Votum gesichert.

Von diesen drei Themen konnte die US-Justiz nur die WM 2010 früh absichern. Die anderen hätten die Kollegen in Europa entwickeln sollen, es ergingen Rechtshilfeersuchen. Und nun? Die Schweiz beerdigt gerade den Blatter/Warner-Vertrag. Auch das Sommermärchen ist quasi erledigt, am 27. April verjähren die Vorwürfe. Der Gipfel: Ausgerechnet die Kernfigur Beckenbauer hatte die BA schon Mitte 2019 aus dem Verfahren herausgelöst. Dabei interessiert dieser die US-Justiz nicht nur, weil er den Warner-Vertrag signierte, sondern auch, weil er als Fifa-Vorständler die WM-Turniere 2018 und 2022 mit vergab.

Wie ein schlechter Film muss den Amerikanern speziel die Rolle des Mannes vorkommen, der vor fünf Jahren neben ihrer Justizministerin saß: BA-Chef Lauber. Der hielt Geheimtreffen mit Infantino ab, die er nicht protokollierte; an eines im Juni 2017 will sich bizarrerweise kein Beteiligter mehr erinnern. Lauber wurde für einige Fifa-Verfahren in den Ausstand geschickt. Soeben bestätigte das Bundesgericht diesen Beschluss, den der BA-Chef angefochten hatte. Laubers Befangenheit ist damit höchstinstanzlich bestätigt.

Nach SZ-Informationen haben die Geheimdates auch in den USA zu Gesprächsbedarf mit Bern geführt. Die BA dementiert das auf Anfrage nicht. Sie kommentiere "keine Mutmaßungen und äußert sich nicht zu allfälligen einzelnen Inhalten im Austausch mit nationalen und internationalen Partnerbehörden", teilt sie nur mit.

Die US-Justiz könnte die WM 2022 noch stoppen

Je stärker sich in den USA das Bild verfestigt, dass die Fifa mit der Justiz im fußballnärrischen Europa stille Deals pflegen könnte, umso heftiger dürfte der Drang sein, solche Allianzen zu stoppen. Die USA ermitteln ja nach ihrem Anti-Mafia-Gesetz Rico, das bietet einen enormen Hebel: die WM 2022 in Katar. Für deren Bestand ist gar nicht so wichtig, was die Fifa tut. Die US-Justiz könnte das Event auf indirektem Weg blockieren, falls gerichtlich eine korrupte Vergabe festgestellt wird. Dann stünde gegen jeden, der an so einem Geschäftsevent teilnimmt, ein ganzes Instrumentarium schwerstwiegender Wirtschaftssanktionen parat (SZ vom 09.

04.). Die Amerikaner signalisieren also ihre Entschlossenheit. Während in Deutschland und der Schweiz klare Vorteilsverträge für Warner unbeachtet bleiben, haben sie rekonstruiert, wie dieser aus Russland über gleich zehn Briefkastenfirmen mehr als zwei Dutzend Überweisungen erhielt. Auch trieben sie Mails auf, die Warners Assistent von einem der bedeutendsten Fußballberater jener Tage erhielt. In einer wird er gebeten, den Erhalt der fünf Millionen Dollar zu bestätigen.

Solches Material haben die Amerikaner erbeutet. Was noch? Die forensischen Möglichkeiten werden immer besser. Auch ist nach jahrelanger Haft oder Arrest mancher Beschuldigte mürbe geworden; so wie zu Beginn der Affäre der (verstorbene) US-Funktionär Chuck Blazer, einst Warners Engster, oder Warners Söhne.

Als Warner seine Ämter verlor, hatte er einen Tsunami aus Korruptionsenthüllungen angekündigt. Jetzt kann der echte Tsunami wirklich kommen. Und auch Leute mit fortreißen, die bisher vorgaben, dass sie klar auf der Seite der Guten sitzen.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2020/jki
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