Fifa:Der Mann, der auf Blatter folgen könnte

Tokyo Sexwale

Auf diesen Mann schaut die Fußballwelt in diesen Tagen: Der Südafrikaner Tokyo Sexwale.

(Foto: dpa)
  • Das Beben im Fußball-Weltverband bringt den Politiker Mosima Gabriel Sexwale in die Favoritenrolle für das Präsidentenamt.
  • Auf den ersten Blick bringt der Mann aus Südafrika alles mit - zumal er unbelastet von den Fifa-Affären ist.
  • Doch er wäre angewiesen auf Leute, die Sepp Blatter unkritisch gegenüberstehen.

Von Thomas Kistner

Franz Beckenbauer schweigt zum Kahlschlag an der Weltfußball-Spitze, zu den im Sturz vereinten Sepp Blatter und Michel Platini. Die beklagen ja nun ein Schicksal, das auch er gut kennt: Suspendierung von allen Fußballämtern. Beckenbauer hatte 2014 das Aufklärungsbemühen des Fifa-Ethikkomitees zu den anrüchigen WM-Vergaben 2018/22 boykottiert, er schüttelte den Bann damals rasch wieder ab, indem er sich einvernehmen ließ.

Seitdem ist unklar, wo die Untersuchung steht, die die Fifa-Ethiker nach einem ersten Bericht des damaligen Chefermittlers Michael Garcia im Herbst 2014 gegen ihn und etliche Kollegen lancierten. Zugleich liegt der Garcia-Report der Bundesanwaltschaft in Bern vor, die ihn auf Ermittlungsansätze überprüft. Beckenbauer weist, wie alle damaligen Wahlleute, jedes Fehlverhalten von sich. Und bereitet nun eifrig die Zukunft der Fifa vor.

Nur ein Statement ist überliefert zu Fifa und Blatter, es rührt vom Wochenanfang. "Ich hoffe nur, dass die Ermittlungen nichts bringen", sagte er am Rande seines Camp Beckenbauer. Das Kitzbüheler Kontakt- und Debattierforum musste erstmals ohne Stargast Sepp Blatter auskommen, dafür waren zwei neue Gesichter präsent im Kreis der Sport-Granden von Thomas Bach (IOC) bis Herbert Hainer (Adidas): Fußballberater Jérôme Champagne, der unter anderem für Palästinas Nationalverband wirkt - und Tokyo Sexwale. Der Südafrikaner wurde gerade erst Chef eines neu gegründeten Fifa-Stabs: für gute Beziehung zwischen Israel und Palästina.

Sexwale hafte "der Geruch von Neutralität" an, lobt Franz Beckenbauer

Um Champagne ist es still geworden, seit die Fifa Richtung Abgrund trudelt. Dabei war der frühere stellvertretende Fifa-Generalsekretär vor der letzten Präsidentschaftswahl Ende Mai noch der erste, der seinen Hut in den Ring geworfen hatte - und die Medien fleißig mit politischen Statements versorgte.

Als die heiße Wahlkampfphase begann, musste der Franzose, der in der Fifa elf Jahre lang eng an Blatters Seite gestanden hatte, feststellen, dass ihm die notwendige Unterstützung fehlte; er brachte nicht mal die erforderlichen fünf Verbände hinter sich. Denn Blatter trat selbst wieder an. Und im Lager der Blatter-Gegner war Champagne nie vermittelbar. Der Ex-Diplomat gilt als strammer Blatter-Getreuer; ein Ruf, an dem er bis zuletzt kräftig mitgebastelt hat: Echte Kritik an Blatters Wirken für die Fifa ließ der Franzose nie zu. Hinter der ehernen Loyalität verschwamm manche gute Reformidee für den Fußball.

Auch jetzt wird Champagne in der Branche zu den Kandidaten gezählt, die bis Ende der Meldefrist am 26. Oktober noch aufs Karussell springen könnten. Ende Februar 2016 soll ja der Nachfolger Blatters gekürt werden, nachdem der Schweizer Amtsinhaber nur vier Tage nach seiner Wiederwahl den Weg für diesen Fifa-Sonderkongress freigemacht hatte.

Seitdem rätselte die Fußballwelt, ob Blatter wirklich tatenlos zuschaut, wie seine Nachfolge geregelt wird. Zumal zwei Leute in den Ring stiegen, die ernsthafte Thronchancen hatten, zugleich aber zu seinen erbittertsten Gegnern gehören und raue Zeiten für den Ex-Präsidenten ankündigten: Michel Platini, Uefa-Chef, und Chung Mong-Joon, Fifa-Vorstand bis 2011 und Spross des Hyundai-Autokonzerns in Südkorea. Sie hätten Blatter kein Ehrenamt gegönnt und auch kein Büro im Fifa-Haus, dafür aber wohl eine akribische Innenrevision im Präsidialbereich verfügt.

Inhaftiert mit Nelson Mandela

Trotzdem war von einem Kandidaten Blatters nie etwas zu hören. War der listige Fifa-Boss einfach zu erschöpft - oder ließ er sich nicht in die Karten schauen? Hin und wieder schürte er sogar selbst mit Nebensätzen die wilde Spekulation, er wolle doch weitermachen, über den Februar-Termin hinaus. Eine Unmöglichkeit.

Jetzt aber, da die Organisation vorm Kollaps steht, wird eine Lösung debattiert, die wie von langer Hand geplant wirkt. Plötzlich steht ein Kandidat im Raum, der offiziell noch keiner ist, aber von Blatter, Beckenbauer und Co. engagiert beworben wird: Tokyo Sexwale, 62. Und auf den ersten Blick bringt der Mann aus Südafrika alles mit - zumal er unbelastet von den Fifa-Affären ist.

Als Anti-Apartheid-Aktivist war Sexwale einst mit Nelson Mandela inhaftiert. Die ersten demokratischen Wahlen am Kap 1994 machten ihn zum Premierminister der Provinz Gauteng. 1998 sattelte er ins Geschäftsleben um und machte ein Vermögen mit Energie und Rohstoffen; seine Firma gilt als drittgrößter Diamantproduzent des Landes. 2009 bis 2013 wirkte er in Jacob Zumas Kabinett als Minister für Siedlungswesen. Mosima Gabriel Sexwale, der den Spitzname "Tokyo" seiner Passion für den Karatesport verdankt, ist für soziale Engagements bekannt; etwa als Treuhänder der Mandela-Stiftung.

Sexwale lässt seine Pläne offen

Auf diesen Mann schaut die Fußballwelt in diesen Tagen. Denn der Bannspruch der Fifa-Ethiker, der Blatter vom Chefstuhl fegte, hat ja einen willkommenen Nebeneffekt für den gesperrten Präses: Auch Platini und Chung sind suspendiert, sie werden nicht mehr antreten können. Das Bewerberrennen um Blatters Nachfolge ist wieder völlig offen. Und mit Sexwale steht ein Schattenkandidat vor der Tür, dem "der Geruch von Neutralität" anhaftet, wie Beckenbauer lobt, und den daher auch die Europäer attraktiv finden könnten. Zumal Blatters naive Widersacher kaum noch Zeit haben, vor Meldeschluss einen eigenen Mann aufzubauen. Beckenbauer orakelte bereits: "Ich glaube sicher, dass der DFB Tokyo bei der Kandidatenkür unterstützen würde."

Das war, Anfang der Woche, eine mutige Prognose, Platini war ja noch im Amt und Favorit. Erklärtermaßen auch für DFB-Chef Wolfgang Niersbach. "Ganz extern ist er nicht", hat Beckenbauer zur mangelnden Fußballnähe seines Kandidaten erklärt, der habe "ja mitgeholfen, die WM 2010 nach Südafrika zu holen". Sexwale selbst gab sich im Fußballcamp "besorgt" zur Fifa, ließ aber eigenen Pläne offen: "Wir werden sehen, was passiert."

Was es bedeutet, falls der Quereinsteiger vom Kap das jähe Vakuum und damit die Gunst der Stunde nutzen sollte, liegt für Fifa-Kenner auf der Hand. Der Posten des ebenfalls suspendierten Generalsekretärs Jérôme Valcke dürfte an dessen früheren Stellvertreter gehen: an Jérôme Champagne, Sexwales Begleiter zwischen Kitzbühel und Palästina, Blatters langjähriger Fachmann für Afrika. Das würde nur alles konterkarieren, was gefordert ist: Die bedingungslose Abkehr vom jahrzehntelangen "Blatterismus", dazu die Restrukturierung der Blatterschen Administration.

Die Kernsanierung einer Weltorganisation, die in einem jahrzehntealten Morast dümpelt, wird kein noch so gutmeinender Philantrop stemmen können. Schon gar nicht einer ohne Fach- und Insiderkenntnis, der auf Leute bauen muss, die ihn ins Amt befördert haben. Bisher sind das dieselben, die Blatter alles andere als kritisch sehen. Vielleicht steht ja der ewige Fifa-Patriarch vor seinem letzten großen Coup.

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