Fifa-Skandal:Der Tag, an dem der Präsident nicht tanzt

File - Sepp Blatter

Glücklich wird er nicht gewesen sein: Sepp Blatter erlebt das nächste Beben in seinem Verband.

(Foto: dpa)

Der Zugriff der Justiz hätte für Fifa-Chef Sepp Blatter nicht ungünstiger kommen können. Kurz vor der erhofften Wiederwahl verliert er wichtige Getreue. Die Uefa fordert, die Abstimmung zu verschieben.

Von Thomas Kistner, Zürich

Bettlaken, so blütenweiß wie die, auf denen sie gerade noch in ihren Hotelsuiten geschlummert hatten, schützten die Spitzenfunktionäre des Fußball-Weltverbandes vor neugierigen Blicken beim Weg durch den Hinterausgang des Baur au Lac. Es war das Letzte, was das Personal im Luxushotel noch tun konnte für die teuren Gäste.

Draußen wurden die Männer auf die Rücksitze von Privatautos der Schweizer Kantonspolizei verfrachtet und davongefahren. Vom Fünf-Sterne-Etablissement an den Ufern des Zürichsees ging es direkt in die vom FBI beantragte Auslieferungshaft; die eidgenössischen Behörden kooperieren eng mit der US-Bundespolizei. Bald war klar: Zu den Festgenommenen zählen zwei Fifa-Vizepräsidenten, Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo.

Insgesamt traf es sieben hochrangige Fußball-Funktionäre aus Mittel- und Südamerika. Nach SZ-Informationen waren die Ermittler bei ihrer morgendlichen Aktion zudem auf der Suche nach einem wichtigen europäischen Funktionär: dem Spanier Ángel María Villar Llona, Vize-Präsident der Fifa und der Europäischen Fußball-Union (Uefa). Dieser weilte allerdings beim Europa-League-Finale in Warschau. Aus Uefa-Kreisen war am Abend zu hören, dass Villar Llonas Anwalt bereits eingeschaltet worden sei.

Die internationale Feinabstimmung ist in dem Fall von großer Bedeutung. Das FBI geht dem Verdacht auf organisiertes Verbrechen und Geldwäsche nach, das US- Justizministerium spricht von "jahrzehntelanger Korruption auf höchster Ebene des Weltfußballs". Seit den Neunzigerjahren sollen 150 Millionen Dollar Schmiergelder geflossen sein, auch Firmenmanager sind involviert. Die Ermittlungen zielen auf Rechte-Vergaben im gesamtamerikanischen Raum. Konten bei mehreren Banken, über die windige Deals abgewickelt worden sein sollen, wurden nach Mitteilung des Bundesamtes für Justiz gesperrt.

"Wir begrüßen diesen Prozess, obwohl er zeitlich suboptimal ist"

Parallel ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft. Sie rückte am Morgen ins mondäne Hauptquartier auf dem Zürichberg ein, um "elektronische Daten und Dokumente sicherzustellen". Unterlagen zu den WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022, die seit ihrer Verkündigung am 2. Dezember 2010 unter Korruptionsverdacht stehen.

Diese Sicherstellung ging so geräuschlos vonstatten, dass noch am Vormittag hohe Mitarbeiter nichts von den diskreten Besuchern mitbekommen hatten. Eingeweiht war allerdings die Fifa-Spitze selbst, wie Mediendirektor Walter de Gregorio am Mittag bei einer Pressekonferenz sagte. Den Schock auf höchster Verbandsebene vermochte er trotzdem nicht zu verbergen: "Die Fifa begrüßt diesen Prozess, obwohl er zeitlich suboptimal ist." Suboptimal ist er vor allem für Fifa-Präsident Sepp Blatter. Zwar zählt der Mann, der die Fifa seit 1981 in den Spitzenämtern als Generalsekretär und Präsident (seit 1998) beherrscht, nach aktuellem Stand der andauernden Ermittlungen nicht zu den Beschuldigten. Jedoch torpedieren die sieben Verhaftungen und mindestens zehn für Donnerstag vorgesehenen staatsanwaltschaftlichen Befragungen jener Mitglieder des Exekutivkomitees, die schon bei der WM-Vergabe 2018/2022 aktiv waren, nicht nur die Vorbereitungen für den Wahlkongress am Freitag.

Sie ruinieren, just vor den Augen der in Zürich versammelten Weltpresse, das Rest-Image des Dachverbandes. Und womöglich Sepp Blatters Zukunftspläne. Beim Kongress will sich der 79-Jährige in eine fünfte Amtszeit wählen lassen, bisher galt er als klarer Favorit gegen einen eher farblosen Herausforderer: Ali bin al-Hussein, Prinz von Jordanien.

Zwar erklärte die Fifa zunächst, an dem Kongress werde festgehalten, de Gregorio fand sogar, der habe ja nichts mit den aktuellen Entwicklungen zu tun. Die Frage ist aber, wie sich in der verbleibenden Zeit die Vertreter der 209 in Zürich versammelten Nationalverbände zu der Frage stellen. Die Uefa, die ohnehin massiv auf ein Ende von Blatters Amtszeit drängt und den Jordanier fast geschlossen unterstützt, fordert bereits die Verschiebung der Wahl. Speziell aus Deutschland und England waren zuvor schon Forderungen nach einem solchen Schritt laut geworden. "Es wäre das absolut falsche Signal, wenn unter dem Eindruck dieser Entwicklungen die Kongress-Agenda wie geplant abgearbeitet würde", hatte der deutsche Liga-Präsident Reinhard Rauball erklärt.

Noch am Dienstag hatte einer von Blatters engsten Vertrauten den Kontinental- Verband von Nord- und Mittelamerika (Concacaf) auf Linie gebracht: Man werde wie üblich die knapp 40 Voten im Block für den Schweizer abgeben, hatte Jeffrey Webb erklärt. Der Concacaf-Chef von den Kaiman-Inseln ist ein enger Vertrauter Blatters, speziell in Finanzdingen. Beim Concacaf-Kongress im April hatte Blatter den Funktionär aus dem karibischen Steuerparadies sogar als Nachfolger an der Fifa-Spitze ins Gespräch gebracht.

Szenen wie im Agenten-Thriller

Nun weist auch das in die Richtung, die die Ermittlungen nehmen. Das FBI ließ nicht nur Fifa-Vize Webb festsetzen, sondern auch dessen Vorgänger an der Concacaf-Spitze verhaften, Jack Warner aus Trinidad & Tobago. Warner tat über Dekaden das, was Webb am Freitag vorhatte: die Voten des Erdteil-Verbandes bei Sepp Blatter abliefern.

Als Gegenleistung für seine Wahlhilfen erhielt Warner seit den Neunzigerjahren unter anderem regelmäßig die WM-Fernsehrechte der Fifa für die Karibik zugeschanzt; für einen Spottpreis, der anfänglich bei einem "symbolischen" Dollar lag. Warners Sohn und Finanzverwalter Darryl verbrachte unter anderem deshalb bereits mehr als ein Jahr Hausarrest in Miami; er soll ausgepackt haben.

Im Fokus des FBI steht seit 2011 auch Chuck Blazer, Warners rechte Hand als Generalsekretär und Schatzmeister der Concacaf. Der Amerikaner, genannt "Mister zehn Prozent", schloss unter anderem Marketingverträge mit sich selbst ab; Millionenbeträge wanderten aus den Verbandskassen auf seine karibischen Offshore-Konten. Deshalb hat Blazer auch die Steuerfahndung IRS am Hals. Undementierten Berichten zufolge kooperierte er so umfänglich, dass er für die Bundespolizei sogar Spitzeldienste verrichtete. Am Rande der London-Spiele 2012 soll er ein Funktionärstreffen eingefädelt haben, das er fürs FBI aufzeichnete - über ein in einem Schlüsselanhänger verborgenes Mikro.

Weil die zwei - inzwischen aus dem Fußball entfernten - Fifa-Spitzen bei den WM-Vergaben an Russland und Katar mitwirkten, könnten sie auch hierbei in den Genuss von Schmiergeldern gelangt sein. Dies ist eine der Schnittstellen zwischen den zwei Ermittlungen.

Der Frage, ob bei diesen WM-Vergaben alles sauber ablief, war die Fifa auf öffentlichen Druck sogar selbst nachgegangen. Ergebnis ihrer Selbstuntersuchung: alles sauber, kein klarer Hinweis auf Korruption. Was starke Kritik evozierte, weil ja der damalige Fifa-Chefermittler Michael Garcia sogar Geldflüsse aus Katar an Fußballfunktionäre in Afrika und Asien dokumentierte.

Und weil ihm Russlands WM-Bewerber erst gar keine Daten mehr zur Verfügung stellten: Angeblich hatten sie ihre Computer für die Bewerbung, bei der es um das Milliardengeschäft Fußball-WM 2018 ging, nur geleast; danach habe der Besitzer alle Daten gelöscht. Garcia war über die Schlüsse der Fifa und ihres Münchner Ethikrichters Hans-Joachim Eckert aus seinem Report so erbost, dass er zurücktrat. Denkbar, dass er zu den US-Ermittlungen beitrug; Garcias Frau ist FBI-Agentin.

Mit einem Rücktritt Blatters, des politisch Hauptverantwortlichen an der Gemengelage, die sich seit Jahrzehnten um die Fifa aufgebaut hat, rechnet in Zürich jedoch niemand. Herausforderer Prinz Ali sprach von einem "traurigen Tag für den Fußball" und sagte, dass es endlich eine "verantwortliche Führung braucht, die die Schuld an Fehlentwicklungen nicht weiterreicht". Blatters Sprecher hingegen hatte zunächst sogar von einem "entspannten" Präsidenten berichtet. Er korrigierte sich dahin gehend: "Also, er tanzt nicht gerade in seinem Büro herum."

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