Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Blatter und Platini:Vieles spricht für die skandalträchtige These

Spektakuläre Wende im Strafverfahren: Der ehemalige Fifa-Finanzchef Markus Kattner lässt die These von Anklägern und Weltverband platzen - das macht die Causa hochbrisant.

Von Thomas Kistner

Am Dienstag hat sich der Schweizer Prozess um eine Zwei-Millionen-Franken-Zahlung zwischen Sepp Blatter und Michel Platini endgültig gedreht. Die Bundesanwaltschaft (BA) klagt die einstigen Topfunktionäre ja wegen dieser Zahlung an, ihr Vorwurf: Sie sei nicht nachvollziehbar und betrügerisch. Aber nun trat vorm Bundesstrafgericht in Bellinzona Markus Kattner in den Zeugenstand, und der frühere Finanzdirektor des Fußball-Weltverbandes (Fifa) riss die Kernaussage von Olivier Thormann, dem damaligen BA-Chefermittler, in Stücke. Das macht die Causa zugleich zum hochbrisanten Politikum, denn Platinis Anwalt stellte nach Kattners Aussage sogleich Strafanzeige gegen: Thormann. Und der ist mittlerweile Chef der Berufungskammer just von diesem Bundesgericht.

Im Zentrum dieses Verfahrens steht also längst nicht mehr die Frage, ob der Geldfluss zwischen dem einstigen Fifa-Boss Blatter und seinem Uefa-Amtskollegen Platini seinerzeit rechtens war oder nicht - sondern ob die BA ihre komplette Ermittlung im Jahre 2015 gegen zwei Größen des Weltfußballs aus der Luft gegriffen hat. Und das womöglich, weil sie ein ganz anderes Ziel verfolgte: den Franzosen Platini, damals Topfavorit auf den vakanten Fifa-Thron, über ein Untersuchungsverfahren auszuschalten? Seit Dienstag spricht vieles für diese skandalträchtige These. Aber der Reihe nach.

Damals, im Herbst 2015, war Platini zumindest rasch gesperrt worden, obwohl er in dem hastig eröffneten Verfahren nicht einmal Beschuldigter war, sondern Auskunftsperson. Den für ihn damals reservierten Fifa-Präsidentenstuhl holte sich wenig später Gianni Infantino, jener Affären-Funktionär, dessen Liaison mit der Bundesanwaltschaft sowie deren Amtschef Michael Lauber bald so viele Schlagzeilen machte, dass gegen beide eine Strafermittlung läuft. (Lauber verlor in der Folge sogar sein Amt.) Infantino indes, der gleich zwei Strafermittlungen am Hals hat, um die sich außerordentliche Bundesanwälte kümmern, hat in der von ihm umgemodelten Fifa nichts zu befürchten. In seinem neuen, angeblich sauberen Vorzeigeverband darf der beschuldigte Präsident weiterwursteln - während die alte Fifa den nur als Auskunftsperson geführten Kandidaten Platini gesperrt hatte.

Warum hätte Kattner sich selbst belasten sollen?

Das Dilemma der neuen Fifa, die in Bellinzona Nebenklägerin ist, und der pannenreichen Bundesanwaltschaft ist heute mehr denn je dieses: Beide müssen ihre damalige Blitzoffensive gegen Blatter/Platini als juristisch einwandfrei darstellen - als ermittlerisches Glanzstück, in dem es niemals Drähte zwischen Laubers Behörde und dem Lager Infantinos gab. Das ist schon deshalb schwierig, weil neben diversen Tête-à-Têtes von Lauber und Infantino ein weiteres Treffen krass hervorsticht: Bereits am 8. Juli 2015 saß in Laubers Büro ein Intimus von Infantino. Warum? Das konnten beide bis heute nicht schlüssig erklären. Der zeitliche Bezug zum Beginn der Platini-Ermittlungen durch die BA ist nur dummerweise derart eng, dass kaum ein Blatt Papier dazwischen passt.

Zum anderen ist in dem Fall seit Jahren von einem Whistleblower die Rede, der die BA damals auf den Millionen-Transfer gestoßen habe. Laubers Presseadjutant André Marty hatte 2016 in einem ARD-Interview sogar explizit von einem Hinweisgeber berichtet.

Entsprechend auffällig wirkte kürzlich der Auftritt des damaligen Cheffahnders Thormann in Bellinzona: Der hatte in der Vorwoche ein brandneues Narrativ präsentiert, wie es zu den Ermittlungen kam - eines, das schwer hakt und rumpelt. Dieses jahrelange Gerede von einem Whistleblower, legte Thormann dar, hätte sich auf einen ganz anderen Fall bezogen - um dann, in Hinblick auf die Platini-Zahlung, einen glasklaren Whistleblower zu beschreiben, ohne ihn so zu nennen: Markus Kattner. Der sei bei der begleiteten Edition der BA im Fifa-Hauptquartier am 27. Mai 2015 separat mit Dokumenten auf ihn, Thormann, zugekommen und hätte auf die ominöse Millionenzahlung aufmerksam gemacht.

Das wollte das Gericht vom Whistleblower Kattner nun selber hören, es lud ihn als Zeugen vor - gegen den Widerstand von Fifa und BA. Seltsam: Hätten diese den Whistleblower nicht besser selbst vorgeladen, um ihre Version zu unterfüttern?

Am Dienstag spielte das Gericht Kattner nun Thormanns Schlüsselaussagen vor, gleich zweimal. Und der angebliche Whistleblower wies diese strikt und glaubwürdig von sich. Die besagten Papiere seien Teil der angeforderten und ausgehändigten Unterlagen zu den 24 Fifa-Exekutivmitgliedern gewesen, die Thormann an diesem Tag von diversen Abteilungsleitern der Fifa anforderte. Warum hätte Kattner die fragliche Zahlliste gesondert und persönlich übergeben sollen? Auch betonte Kattner, dass er all die Zahlungen für korrekt hielt - und auch das ist logisch: Er hatte sie selbst als Finanzdirektor geprüft und abgesegnet. Wieso sollte er sich plötzlich einer Finanzschummelei bezichtigen, vor einem Chefermittler? Überdies seien an diesem langen Tag, als die BA im Hause Fifa weilte, auch deren Anwälte stets zugegen gewesen. Im Zweifel ließen sich diese noch beiziehen.

Noch einen Denkanstoß lieferte Kattner dem Gericht. Die damalige Razzia der BA bei der Fifa war Teil einer Strafermittlung zu Stimmkäufen rund um die WM-Vergaben 2018 (Russland) und 2022 (Katar). Damit aber hatte die Zwei-Millionen-Zahlung definitiv nichts zu tun. Warum hätte Kattner, der Fifa-Finanzdirektor, also ein Fass zum Thema Stimmkäufe aufmachen sollen - auch noch fälschlicherweise?

Das Narrativ von Fifa und BA wird von Kattner zerlegt

Das lenkt den Blick auf den immer absurder wirkenden Ermittlungsansatz der BA: Demnach hat sie nach Schmiergeldern an korrupte Fifa-Leute nicht so sehr in deren privaten und beruflichen Umfeld gesucht - sondern innerhalb der Fifa selbst, die damals zugleich als Betrogene galt und als Geschädigte firmieren durfte. Diesen Ermittlungsansatz trieb die BA so weit, dass sie sogar bei Platinis Bank im Sommer 2015 den Verdacht vortrug, die Zwei-Millionen-Zahlung könnte im Kontext der WM-Vergabe stehen.

Der Fifa-Boss schmiert demnach also mit Fifa-Geld einen Fifa-Vize und lässt es über die Fifa-Bücher laufen: damit Russland und/oder Katar die WM erhalten?

Der neue Zwischenstand in Bellinzona: Der Zeuge Kattner hat das Narrativ von Fifa und BA zerlegt. Womöglich hatten Letztgenannte darauf gesetzt, am Bundesstrafgericht, dem Amtssitz des damaligen Chefermittlers Thormann, ein Heimspiel zu haben. Aber die Ladung Kattners war ein Misstrauensvotum gegen Fifa und BA - und das ist nun klar legitimiert. Und es liefert eine Steilvorlage für die beiden Sonderermittler, die derzeit gegen Infantino und Lauber ermitteln.

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