Fifa:"Personen können weglaufen - Bankdaten nicht"

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Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Urs Linsi, den früheren Generalsekretär des Fußball-Weltverbands Fifa. (Foto: Steffen Schmidt/dpa)
  • Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Urs Linsi, den früheren Generalsekretär des Fußball-Weltverbands Fifa.
  • Die BA in Bern spielt die Schlüsselrolle bei der Aufklärung der Affäre um die WM 2006.
  • Ein zentrales Verfahren betrifft jene ominösen 6,7 Millionen Euro, die 2005 vom deutschen WM-Organisationskomitee an die Fifa flossen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München/Frankfurt

Die Aufklärung der Sommermärchen-Affäre nimmt Fahrt auf; zumindest im Ausland. Am Mittwoch bestätigte die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA), dass sie im Kontext ihrer Strafuntersuchung zur WM-Vergabe 2006 an Deutschland nun auch gegen Urs Linsi ermittelt, den früheren Generalsekretär des Fußball-Weltverbands Fifa. Mitte vergangener Woche gab es mehrere Durchsuchungen in der Deutschschweiz, nach SZ-Informationen nicht nur in Anwesen von Linsi selbst, sondern auch andernorts. Die Behörden erhoffen sich davon wichtige neue Erkenntnisse.

Die BA in Bern spielt die Schlüsselrolle bei der WM-2006-Aufklärung, sie ermittelt seit Jahren im Geschäftssumpf um die Fifa. Mehr als ein Dutzend verschiedener Verfahren laufen derzeit. Ein zentrales betrifft jene ominösen 6,7 Millionen Euro, denen auch die Frankfurter Staatsanwaltschaft nachspürt. Sie flossen 2005 vom deutschen Organisationskomitee (OK) an die Fifa, getarnt als Beitrag für eine Kulturgala, die nie stattfand. Tatsächlich wanderte das Geld an den früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus - die Fifa fungierte als Drehscheibe für die verschleierte Transaktion.

Linsi war über Jahre einer der engsten Vertrauten von Sepp Blatter

Louis-Dreyfus hatte dem DFB drei Jahre zuvor Millionen ausgelegt, die wiederum beim katarischen Fifa-Skandalfunktionär Mohammed bin Hammam landeten. Zweck der Zahlung? Bis heute ungeklärt. Die Ermittler schwanken zwischen zwei Optionen. Waren es Dankeschön-Gelder für Voten, die Deutschland zu dem knappen 12:11-Sieg über Südafrika bei der Vergabe der WM 2006 verholfen hatten? Oder waren es Zahlungen in eine Wahlkampfkasse für Präsident Sepp Blatter anno 2002, als dieser schwer unter Druck stand?

Die Schweizer führen das Verfahren seit Beginn der WM-Affäre im Herbst 2015, unter anderem wegen des Verdachts auf Betrug, Geldwäsche und Untreue. Sie ermitteln gegen die damaligen OK-Verantwortlichen Franz Beckenbauer, Theo Zwanziger, Horst R. Schmidt, Wolfgang Niersbach - und nun auch gegen Urs Linsi.

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Das könnte zielführend sein, weil Linsi, 67, über Jahre oberster Fifa-Hauptamtlicher und einer der engsten Vertrauten von Sepp Blatter war. Zuvor hatte er als listenreicher Finanzchef maßgeblich zu Blatters Machterhalt im Sommer 2002 beigetragen; Ende 2002 stieg er überraschend zum Generalsekretär auf. Im Frühjahr 2005 wickelte er die administrative Rückzahlung des DFB-Geldes ab. Linsi stimmte mit den zuständigen OK-Vertretern den letztlich falschen Verwendungszweck "Kulturgala" ab; und er instruierte sie, welches Konto für die Zahlung zu bedienen sei.

Die aktuelle DFB-Spitze um Präsident Reinhard Grindel vertritt angesichts der tiefen Einbindung des Blatter-Vertrauten Linsi in die Rückzahlung die These, dass auch die Einzahlung im Interesse von Weltverband beziehungsweise Blatter gelegen haben muss. So legt Grindel nahe, dass die 6,7 Millionen Euro nicht für einen Stimmenkauf bei der WM-Vergabe flossen, sondern die Summe im Kontext der Präsidentschaftskür Blatters 2002 zu sehen sei.

Wirklich Auskunft über den wahren Verwendungszweck könnten nur wenige Eingeweihte geben - Linsi zählt zum zentralen Mitwisserkreis. Er war 2007, nach einer bizarr hohen Millionen-Abfindung bei der Fifa, in die Schweizer Finanzwirtschaft zurückgekehrt. Branchengeraune über seine Tätigkeiten gab es immer wieder. Die letzten Jahre arbeitete Linsi als Präsident der kleinen Genossenschaftsbank Sparhafen Zürich samt zugehöriger Immobiliengesellschaft. Dieses Amt lässt er aufgrund des Strafverfahrens ruhen. Per Rundschreiben an die Genossenschafter beteuerte er vergangene Woche seine Unschuld; die Vorgänge träfen ihn "völlig überraschend".

Die Strafermittler sehen das anders. Linsi gilt für die BA aufgrund seiner orchestrierenden Rolle bei der Millionen-Transaktion und der Leitfunktion in der Fifa als möglicher Mitwisser in der Frage, was wirklich ablief rund um die deutsche WM. Womöglich war es nur eine technische Frage, dass nicht schon früher bei ihm durchsucht wurde; zeitgleiche Razzien an mehreren Orten erfordern großen Personalaufwand. Seitens der BA wurde schon zu Beginn der Ermittlungen bemerkt: "Personen können weglaufen - Bankdaten nicht."

Auch in der Schweiz besteht Interesse an einer Datei namens "Komplex Jack Warner"

Dass von Linsi essenzielle Aussagen kommen könnten, hoffen nun viele Insider. Der Finanzmann, der überaus servil gegenüber Blatter auftrat und zugleich eifrig Mängelberichte über Mitarbeiter und hohe Fifa-Vertreter anfertigte, gilt als mäßig stressresistent. Recht schillernd wirken auch die Branchenmitteilungen zu seinen jüngeren Geschäftsaktivitäten; jüngst soll er seine Villa für einen Millionenbetrag zum Verkauf angeboten haben. Linsi betonte stets seine Unschuld, laut der Branchen-Website insideparadeplatz.ch zuletzt auch gegenüber seinen Bank-Kollegen: "Er habe stets Schweizer Recht eingehalten."

Die aktuelle Entwicklung weist erneut auf die Bedeutung zügiger länderübergreifender Kooperationen hin. Die Berner bekundeten bereits ihr Interesse an einer Datei namens "Komplex Jack Warner", die der DFB erst kürzlich den Frankfurter Behörden übergeben hat. Sie ist benannt nach einer der größten Fifa-Skandalfiguren, die auch in der WM-Affäre eine Schlüsselrolle spielt. Tage vor der Vergabe besiegelten die deutschen Bewerber mit Warner einen millionenschweren Vertrag.

Die Datei war offenkundig kurz nach Beginn der Affäre Mitte November 2015 vom damaligen stellvertretenden DFB- General Stefan Hans angelegt, verschlüsselt und in einem Ordner namens "Erdbeben" abgespeichert worden. Der Inhalt ist noch nicht bekannt. Dem DFB und der von ihm mit Untersuchungen beauftragten Kanzlei Freshfields war die Datei früh bekannt. Obwohl interne Öffnungsversuche fehlschlugen, verblieb sie ein Jahr lang beim DFB, statt an die Frankfurter Staatsanwaltschaft zu gelangen. Nun interessiert sich auch die Schweizer Ermittlungsbehörde dafür.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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