Süddeutsche Zeitung

Ermittlungen um Fifa-Boss Infantino:"Wichtig, diesen Laden jetzt zu durchforsten"

  • Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt seit 2015 in zwei Dutzend Verfahren gegen die Fifa.
  • Nun aber geraten die Fifa-Ermittler selbst in den Fokus von Untersuchungen.
  • Fifa-Präsident Gianni Infantino scheint bei der Schweizer Justiz einen besonderen Status zu genießen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Der Weg von der Zentrale des Fußball-Weltverbands zu dem delikaten Termin ist nicht lang. Gleich am Züricher Hauptbahnhof liegt das Restaurant Au Premier, mit dem Auto rund eine Viertelstunde entfernt vom Stammsitz der Fifa. Vier Personen treffen dort am 22. April 2016 zu einem einstündigen Austausch zusammen: Gianni Infantino, Fifa-Präsident, Michael Lauber, Chef der Bundesanwaltschaft (BA), sowie noch jeweils ein hochrangiger Mitarbeiter ihrer Organisationen.

Es war das zweite Treffen der Spitzen von BA und Fifa in vier Wochen. Und es hatte Folgen. Am Mittwoch teilte die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft der SZ mit, sie kläre nun "die Hintergründe der Treffen zwischen Bundesanwalt Michael Lauber und dem Fifa-Präsidenten Gianni Infantino aufsichtsrechtlich ab". Laufende Abklärungen kommentiere sie aber nicht. Das ist delikat: Die Fifa-Ermittler geraten selbst in den Fokus von Untersuchungen.

Infantinos zwielichtige Geschäfte mit den Fernsehrechten

Das Treffen Ende April 2016 ist heikel, weil Infantino zu dem Zeitpunkt nicht mehr nur der neue Fifa-Chef war; sondern die Person, die in einer gerade eröffneten Strafermittlung der Bundesanwälte zu einem Geschäft mit Fernsehrechten eine zentrale Rolle spielte. Zwei Wochen vor dem Treffen hatte es eine Razzia der Berner Ermittler bei Europas Fußball-Union (Uefa) gegeben, eröffnet wurde ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung - gegen Unbekannt. Auslöser war ein SZ-Bericht im Zug der Panama Papers über ein anrüchig wirkendes TV-Geschäft aus den Nullerjahren.

Damals zuständiger Uefa-Direktor, der den Vertrag signierte: Infantino. Kurz danach machte er Karriere in der Uefa, bis Februar 2016 war er dort Generalsekretär, dann wechselte er an die Fifa-Spitze. Damaliger Vertragspartner der Uefa, der einen guten Deal machte, war die Firma Cross Trading. Sie gehörte Vater und Sohn Jinkis - und im April 2016 hingen die Argentinier längst wegen windiger Rechte-Deals am Haken der US-Justiz.

Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt in zwei Dutzend Verfahren

Es gab also diese Razzia in der Uefa-Zentrale, in der Infantino just das Regiment niedergelegt hatte - der Mann, der einen fragwürdigen Vertrag unterzeichnet hatte. Hätte die BA also jetzt noch immer mit ihm zusammensitzen dürfen, ohne ihn wenigstens als Auskunftsperson zu behandeln?

Die BA setzt das Treffen auf SZ-Anfrage in den Kontext zu demjenigen vier Wochen zuvor, am 22. März 2016. Hintergrund der ersten Zusammenkunft: Die BA ermittelt seit 2015 im Fußballsumpf rund um die Fifa, es geht um zwei Dutzend Verfahren. Angesichts dieser Ermittlungen und der gerade erfolgten Wahl Infantinos zum Fifa-Chef habe der Weltverband um ein Treffen gebeten, sagt die BA. Dies sei eine "Standortbestimmung" gewesen, die Fifa sei ja Anzeigenstellerin und Geschädigte in diesem Komplex. Auf Basis dieser Standortbestimmung habe dann im Au Premier "ein zweites und abschließendes Treffen" stattgefunden, "zur Klärung verfahrensspezifischer Fragen". Konkrete Nachfragen zum zweiten Treffen, für das sich die Rahmenbedingungen wegen des neuen Strafverfahrens ja gravierend geändert hatten, beantwortet die BA freilich nicht.

Neben der Aufsichtsbehörde sind auch Parlamentarier, die der Geschäftsprüfungskommission (GPK) für die Gerichte und die Bundesanwaltschaft angehören, hellhörig geworden. "Wir werden in unserer nächsten Aussprache mit der GPK und dem BA sicher das Thema aufgreifen", sagt Thomas Hardegger, der die sozialdemokratische Fraktion in dem Gremium vertritt, der SZ: "Erst dann ist ersichtlich, ob es weitere Abklärungen, Anhörungen, Berichte braucht und wer damit beauftragt wird."

In jedem Fall scheint die Person Infantino bei der Schweizer Justiz einen besonderen Status zu haben. Am Wochenende enthüllte das Medienkonsortium European Investigative Collaborations (EIC) Mails, die zeigen, wie eng der Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold mit Fifa-Boss Infantino verbandelt ist, einem Jugendfreund. Arnold war es, der das erste Treffen im März 2016 einfädelte, indem er den Gesprächswunsch der Fifa an die BA weitertrug - und sogar selbst an dem Treffen teilnahm, an der Seite der Fifa.

Auch danach hielt er Infantino auf dem Laufenden. Pikant: Im Mai bot sich Arnold laut der Schweizer Zeitung Tagesanzeiger Infantino gar als stellvertretender Fifa-Generalsekretär an. Weil Arnold auch Geschenke angenommen haben soll, kündigte die Generalstaatsanwaltschaft eine Untersuchung an. Arnold bestreitet die Vorwürfe; er sagt, er pflege nur privaten Kontakt zu Infantino.

Eine Strafanzeige gegen Infantino im Kontext der WM-2006-Affäre weist die Behörde ab

Es gibt einen weiteren Vorgang, der das Verhältnis BA/Infantino tangiert. Der Kontext: die WM-2006-Affäre, in der die Behörde gegen die früheren deutschen WM-Organisatoren um Franz Beckenbauer wegen Verdachts auf Untreue ermittelt. Ende August fragte die SZ die BA, ob es korrekt sei, dass in diesem Zusammenhang Anzeige gegen Infantino erstattet worden sei. Erst eine Woche später kam eine Antwort: Es habe im Mai eine Anzeige gegen Infantino gegeben, verfasst von Theo Zwanziger, dem früheren Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes und eine der Personen, gegen welche die BA ermittelt. Vorwurf: ungetreue Geschäftsbesorgung im Rahmen der WM-2006-Affäre. Aber es wurde kein Verfahren gegen Infantino eröffnet, wie die BA Zwanzigers Anwalt am 4. September mitteilte - nach der SZ-Anfrage.

Hintergrund der Anzeige war, dass die Fifa im Geld-Karussell um die WM 2006 eine zentrale Rolle spielte. Im Jahr 2002 hatte der vormalige Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus dem WM-Organisator Beckenbauer zehn Millionen Franken geliehen, die am Ende diverser Transaktionen beim Fifa-Skandalfunktionär Mohammed bin Hammam in Katar landeten - mit bis heute nicht geklärtem Zweck. Bei der Rückzahlung 2005 überwiesen die deutschen WM-Macher das Geld (6,7 Mio. Euro) an die Fifa und deklarierten es als Beitrag für eine Gala, die nie stattfand. Und die Fifa leitete es am selben Tag an Louis-Dreyfus weiter - mit verändertem Verwendungszweck.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen die Organisatoren der WM 2006

Die BA ermittelt deshalb gegen die WM-Macher um Beckenbauer: Sie hätten gewusst, dass die Rückzahlung die Tilgung einer Schuld war, die nichts mit dem DFB zu tun hatte. Zwanziger indes beklagt: Warum tut Infantino nichts, um das Geld bei Bin Hammam zurückzuholen, zumal im Emirat Katar die nächste WM stattfindet? Ist das nicht ungetreue Geschäftsführung?

Die BA folgte dem nicht. Ihr Argument: "Es ist (...) nicht ersichtlich, dass die Zahlungen von (...) CHF 10 Millionen im Jahr 2002 von der Fifa stammten respektive über Bankverbindungen der Fifa abgewickelt wurden. Es ist somit auch nicht nachvollziehbar, welcher Anspruch der Fifa daraus entstanden wäre, und welchen Anspruch sie diesbezüglich heute noch gegen Mohammed bin Hammam geltend machen könnte." Zudem habe sich die Fifa als Privatklägerin dem Verfahren angeschlossen und könne etwaige Schäden im Zusammenhang mit der Zahlung von 2005 nach wie vor geltend machen.

Der Umgang Infantinos mit Paris und Manchester führt zu den nächsten relevanten Vorwürfen

Also verfügte die BA zu der Strafanzeige eine "Nichtanhandnahme". Bemerkenswert: Der Schritt besagt gemäß Schweizer Gesetzestext, dass der fragliche Straftatbestand "eindeutig" nicht erfüllt sei. Zwanziger sagt nun: "Ich musste am eigenen Leib erfahren, wie parteiisch diese Bundesanwaltschaft arbeitet. Die Erkenntnisse der letzten Tage bestätigen meinen Verdacht. Wenn die Schweizer Justiz ihr Gesicht nicht verlieren will, ist es unglaublich wichtig, diesen Laden jetzt zu durchforsten."

Funktionäre in Europa treibt um, ob die BA nicht auch aufgrund weiterer, neuer Vorwürfe gegen Infantino ermitteln müsste. Der soll als Uefa-General Financial-Fairplay-Prozesse gegen Topklubs aus Paris und Manchester manipuliert haben; gegen die Regeln und zu Lasten der Uefa, die deshalb viel zu geringe Bußgelder erhielt. Als Generalsekretär hatte Infantino jedoch eine klare Vermögensbetreuungspflicht für die Uefa. Und dass er in Paris SG den Klub des Emirats Katar begünstigt haben soll: Gehört das nicht eruiert im Zuge bereits laufender Ermittlungen der BA zu Katar? Bern hat viele Fragen zu beantworten.

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SZ vom 08.11.2018/chso
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