Fifa-Boss:Für den Strafrechtler Mark Pieth wäre zu prüfen, "ob man Infantino beurlauben muss"

Dabei ist die Frage ja nicht, ob da formal etwas bewilligt wurde - sondern ob diese Bewilligung mit einer faustdicken Lüge erschlichen wurde. Kann man sich im Weltverband Annehmlichkeiten im sechsstelligen Bereich sichern, indem man die Aufseher täuscht - und ihnen die Schuld zuschiebt, falls etwas auffliegt? Oder wurden sie letztlich doch diskret eingeweiht?

Gern würde man Tomaz Vesel dazu befragen. Den Compliance-Chef, der im Fifa-Nebenjob pro Jahr insgesamt 281 000 Dollar einstreicht, Stand 2018, zuzüglich Tagegelder, Spesen, Komfortflüge, Top-Hotels und all die Kontakte, die man in dieser Welt aufbauen kann; und der als Chef des dreiköpfigen Vergütungsausschusses auch für Infantinos Gehalt zuständig ist. Im richtigen Beruf, als Chef des slowenischen Rechnungshofes, wird Vesels Einkommen nur auf 60 000 bis 70 000 Euro jährlich geschätzt.

Ein stattliches Privatvermögen aus dem Topf des Weltfußballs kommt da also zusammen. Für harte Kontrollarbeit?

Vesel ist seit Montag abgetaucht. Zur Privatflug-Causa will sich der Aufpasser nicht äußern. Nach einer Anfrage am Montagvormittag reagiert er spätabends: "Es ist fast unmöglich, Ihre Fragen so kurzfristig zu beantworten, vor allem, weil ich mich im Moment auf die Situation Covid-19 konzentriere. Außerdem muss ich das Archiv und alle Umstände durchsehen", es gehe ja um 2017. Die Orientierungshilfe, dass er für diesen Fall kein Archiv brauche, nur seinen E-Mail-Account, lässt er unbeantwortet, wie auch jede weitere Nachfrage. Etwa die, ob er dem Fifa-Boss das Fake Date mit dem Uefa-Kollegen in gutem Glauben abgekauft habe.

Aber auch Fragen zu einer anderen, erstaunlichen Gefälligkeit.

Schon im November 2016 bekam es Vesel mit Infantinos Flug-Faible zu tun. Seinerzeit wollte der Fifa-Präsident auf Einladung des russischen Sportministers im Privatjet von Moskau zur Klub-WM-Auslosung nach Kazan düsen. Vesel fand das okay - aber halt nicht so restlos okay, wie es das Präsidentenbüro wünschte. Am 17. November schickte er Grafström seine Flugbewilligung. Der sandte sie fünf Tage später retour: "Bitte beachte die beigefügte Version, die ich von M. erhielt." M. steht für einen Anwalt, der eng mit der Fifa-Spitze ist. In M.s Version finden sich nun zwei Zusätze, sozusagen als Formulierungshilfe. Der wesentliche: "Abschließend bestätige ich hiermit, dass die Annahme der Möglichkeit, das Angebot des/der erwähnten Fluges/Flüge anzunehmen, weder gegen Verpflichtungen des Fifa-Präsidenten aus seinem Vertrag mit der Fifa noch gegen andere Fifa-Regeln verstößt."

Wochen nach dem fraglichen Rückflug aus Surinam entledigte sich der Fifa-Boss auch seiner größten Sorgenfälle

Klingt nach Persilschein. Tags darauf schickt Vesel seinen überarbeiteten Beschluss an Grafström zurück, brav ergänzt um die gewünschten Formeln. Nun klingt die Sache grundsätzlich, und es geht um mehrere Flüge. Warum?

Wohl dem, der sich solche Aufseher leisten kann.

Infantino hatte den Slowenen Vesel kurz nach seiner Wahl 2016 zur Fifa geholt. Zum Auftakt einer Säuberungsaktion, der viele fähige und viele kritische Mitarbeiter zum Opfer fielen. Vesel beerbte den rigiden Schweizer Domenico Scala, der Infantino seit dem ersten Tag die Stirn geboten hatte. Und nur Wochen nach dem fraglichen Rückflug aus Surinam entledigte sich der Fifa-Boss auch seiner größten Sorgenfälle: der Chefs der beiden Ethikkammern. Der Schweizer Staatsanwalt Cornel Borbely und der deutsche Strafrichter Hans-Joachim Eckert, die schon Infantinos Vorgänger Sepp Blatter aus dem Büro gefegt hatten, waren Infantino gefährlich nahe gekommen, unter anderem ging es auch hier um Privatflüge. Nun gönnte der Fußballchef den missliebigen Hardlinern noch einen letzten Flug: Das Duo durfte im Mai 2017 zum Fifa-Kongress nach Bahrain reisen. Am Flughafen schalteten sie ihre Smartphones ein. Und lasen, dass sie gefeuert sind.

Infantino hatte schon Ersatz parat, vor allem für die Ermittlerrolle: Maria Claudia Rojas, eine Verwaltungsrichterin aus Kolumbien, die keine der drei Fifa-Amtssprachen (Deutsch, Englisch, Französisch) beherrscht und daher meist von der Administration mit, nun ja, allen wichtigen Sachverhalten versorgt werden muss. Seither lebt es sich sorglos auf dem Fifa-Thron. Die hauseigenen Ethiker stört jetzt nichts mehr: nicht einmal eine aufgeflogene Geschenk-Orgie auf Fifa-Kosten für einen Schulfreund Infantinos, einen Oberstaatsanwalt, der ihm die Geheimtreffen mit dem Bundesanwalt Lauber einfädelte. Und auch nicht die Privatjet-Affäre?

Nun, diese gut dokumentierte (und von der Fifa auf Vorhalt nicht bestrittene) Lüge gegenüber dem eigenen Aufsichtsorgan bietet der Juristin Rojas immerhin eine Chance: zum endgültigen Scheitern - oder zur Emanzipation.

Experten sehen in den Vorgängen um diesen Flug sogar eine strafrechtliche Dimension. Mutmaßliche Schäden für die Fifa wurden dann ja nicht nur durch enorme Flugkosten verursacht. Die Frage nach der Geschäftstreue stellt sich auch, wenn Aufpasser ernannt und fürstlich aus Verbandsgeldern entlohnt werden, die de facto als Sichtblende fungieren sollen, hinter der - scheinbar gut kontrolliert - Dinge ablaufen, die der Fifa-Kodex verbietet.

Der Schweizer Strafrechtler Markus Mohler betrachtet "dieses Verhalten als ungetreue Geschäftsbesorgung, Art. 158 StGB". Vorliegen könne "auch Veruntreuung, Art. 138 StGB, vom Strafrahmen her wäre aber beides quasi gleich". Für Rojas' geschassten Vorgänger im Fifa-Ethik-Amt, den Münchner Strafrechtler Eckert, ist klar: "Falls sich herausstellt, dass der vorgebliche Termin niemals stattfand und auch nicht stattfinden konnte, verstößt das gegen die Fifa-Ethikregeln. Zudem wäre aus strafrechtlicher Sicht zu prüfen, ob nicht auch Untreue gegenüber der Fifa vorliegt. Das wäre dann nicht nur eine Kompetenzüberschreitung, sondern letztlich das Austricksen der eigenen Organisation zum persönlichen Vorteil."

Der Basler Rechtsprofessor und Korruptions-Experte Mark Pieth, der 2013 als Chef einer unabhängigen Governance-Kommission der Fifa entnervt hinwarf und den Weltverband seither auch von innen kennt, sagt: "Aus meiner Sicht müsste Fifa-intern die Ethikkommission ein Verfahren einleiten. Sie wird sich insbesondere auch mit der Frage beschäftigen müssen, ob die Fifa Infantino beurlauben sollte. Das wird vor allem dann aktuell, wenn der Kanton Bern gegen ihn auch noch ein Strafverfahren wegen der illegalen Treffen mit Bundesanwalt Lauber einleiten sollte."

Die Lauber-Affäre mit ihren Verästelungen. Größenwahn und diskrete Milliardendeals. Und nun auch noch: belogene Aufseher in der Privatjet-Affäre. In der Zürcher Fifa-Zentrale stehen die Zeichen langsam, aber sicher auf Abflug.

Zur SZ-Startseite
Fifa-Präsident Gianni Infantino

Fifa
:Die Infantino-Mail, die alles ändern muss

Was besprach Gianni Infantino bei den Geheimtreffen mit Bundesanwalt Lauber? Angeblich nur Formalfragen. Doch nun zeigt sich: Der Fifa-Chef wollte Einfluss auf ein Verfahren nehmen, das ihn betraf.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: