Schweizer Justiz:In der Hand von Gianni Infantino

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Hauptdarsteller einer Justizaffäre: Chefermittler Michael Lauber (links) und Fifa-Boss Gianni Infantino. (Foto: Anthony Anex/KEYSTONE; Getty Images, Collage: SZ)

Der Sommermärchen-Prozess ist nicht mehr zu retten, aber die Vorkommnisse darum sind zur wohl größten Justizaffäre der Schweiz geworden. Wer saß mit wem am Tisch - und warum wird offensichtlich pro Fifa ermittelt?

Von Claudio Catuogno und Thomas Kistner

Am Montag sollte am Schweizer Bundesgericht in Bellinzona eigentlich die "Sommermärchen-Affäre" verhandelt werden: die berüchtigte 6,7-Millionen-Euro-Schieberei rund um die deutsche Fußball-WM 2006. Doch dazu kommt es nicht. Der Prozess, der seit Herbst 2015 die Fußballwelt beschäftigt: Er platzt nun wie ein Luftballon beim Kindergeburtstag. Die Sache verjährt am 27. April. Aus, Ende, vorbei.

Wegen Corona? Nun, die aktuelle Virus-Lage hat ein paar Prozesstage verhindert; die betagten Schlüsselfiguren - ehemalige WM-Funktionäre wie Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach - zählen zur Risikogruppe. Dass es trotz mehrjähriger Ermittlungen zu keinem Urteil kommt, hat allerdings andere Gründe. Zurück bleibt: die wohl größte Justizaffäre der Schweiz.

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Zuständig nicht nur für dieses, sondern für etwa zwei Dutzend Verfahren rund um das Fußball-Geschäft ist die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) in Bern. Ihr Chef: Michael Lauber, 54, der ranghöchste Ermittler des Landes. Der jedoch sich selbst - und auch die Justiz - längst in eine ebenso skurrile wie ungeheuerliche Lage gebracht hat. Anfang März legte das Justiz-Aufsichtsorgan AB-BA einen Disziplinarbericht vor, der Lauber als unaufrichtig und unkooperativ beschreibt und ihm "im Kern ein falsches Berufsverständnis" attestiert. Dem Chefermittler wird der Lohn um acht Prozent gekürzt - die schärfstmögliche Sanktion. Lauber geht dagegen vor. Doch selbst das Bundesgericht hält Lauber für befangen, für einen Teil der Ermittlungen um den Weltverband Fifa ist er suspendiert, rechtskräftig. Mehrere Verfahren stehen auf der Kippe, und das kann auch nach dem Scheitern des Sommermärchen-Prozesses noch richtig teuer und unangenehm werden: Bald werden sich erste Beschuldigte mit Ausgleichsansprüchen gegen die Behörde melden.

Wie all das passieren konnte? Die Erklärung führt mitten hinein ins Machtzentrum der Fußballwelt: zu Gianni Infantino, dem Präsidenten der Fifa.

Lauber und Infantino haben sich aneinandergekettet wie Wärter und Sträfling beim Gefangenentransport - bloß, dass es hier nicht der Justizbeamte Lauber ist, der die Sache unter Kontrolle hat. Im Gegenteil. Immer heiklere Details zur Ermittlungsarbeit der BA fliegen auf. Und nun nähren SZ-Recherchen den Verdacht, dass der BA-Chef bei einem der Geheimtreffen mit dem Fifa-Boss offenbar einen Mitarbeiter aus der operativen Fußball-Ermittlergruppe dabei hatte. Träfe das zu, müsste es Lauber endgültig das Amt kosten.

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Warum Lauber und Infantino immer wieder diskret zusammenkamen, obwohl die BA ja auch rund um Fifa-Funktionäre und -Vorgänge ermittelt, hat sie nie schlüssig erklärt. Wie auch. Das bizarrste dieser Treffen fand am 16. Juni 2017 im Berner Nobelhotel Schweizerhof statt. Neben Lauber und Infantino nahmen noch zwei Gefolgsleute teil: BA-Sprecher André Marty und Rinaldo Arnold, ein Schulfreund Infantinos und Walliser Oberstaatsanwalt, der dem Fifa-Boss Justizkontakte vermittelte. Besonders relevant ist dieses Rendezvous, weil alle Beteiligten es vergessen haben wollen. Ja, einfach vergessen, alle vier.

Ob da ein infektiöser Gedächtnisschwund vorliegen mag, oder eine Art Schwarm-Demenz? Kein medizinisches Fachbuch kennt jedenfalls solche Anfälle kollektiver Teilamnesie. Muss die Schweiz sich Sorgen machen, wenn ihr Chefermittler derlei Symptome aufweist? Absolut! Lauber hat das entsprechend angeknockt. Sein Amt hat er sich im Herbst trotzdem politisch für weitere vier Jahre gesichert. Aber die Sache wird zunehmend heikel.

Zu dem diskreten Date 2017 fand die AB-BA klare Belege, dass neben dem amnesischen Quartett eine fünfte Person dabei gewesen sein muss. Das zeigt ein Eintrag in Laubers Kalender, der als weiteren Teilnehmer den damaligen Abteilungsleiter Wirtschaftskriminalität der BA, Olivier Thormann, benennt. Und: Auch das Hotel Schweizerhof berechnete nicht vier, sondern fünf Speisen. Die BA hat das bezahlt.

Wer also war der mysteriöse Fünfte? Als Ende März der AB-BA-Bericht in ungeschwärzter Version vorlag, vermeldeten nicht nur Schweizer Medien, diese Frage sei nun geklärt: Es müsse Thormann gewesen sein, der stand ja in Laubers Kalender. Thormann allerdings winkte ab: Er sei an jenem Tag in Ferien gewesen.

Nun zeigen SZ-Recherchen: Thormann war wirklich nicht dabei. Der Jurist, der die Behörde 2018 selbst wegen eines allzu jovialen Umgangs mit Fifa-Vertretern verlassen musste (und prompt die Treppe hinauf an die Spitze der Berufungskammer des Bundesgerichts gestolpert ist), hatte am Tag vor dem Treffen, vom Flughafen Genf aus, eine Reise nach Brüssel angetreten. Erst drei Tage später flog er zurück. Thormann legte dem Bundesstrafgericht diese Tickets erst im April vor. Da hatte sich die öffentliche Spekulation, er sei der fünfte Mann gewesen, schon verfestigt.

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Die Runde der Vergesslichen konnte damit leben: Okay, alles recht schwiemelig, aber als Abteilungschef war Thormann wenigstens nicht selbst operativ in Ermittlungen involviert. Nur: Warum sollten die Beteiligten dann nicht einfach dazu stehen? Wie zu den anderen diskreten Dates, die ihnen nachgewiesen wurden? Warum lieber eine kollektive Gedächtnislücke ausrufen? Thormann als Fünfter hätte den Charakter der Runde nicht wesentlich verändert.

In jedem Fall gibt es Leute, die weniger als Thormann hätten dabei sein dürfen - und deshalb um jeden Preis verschwiegen (oder vergessen) werden müssten.

Die AB-BA war von der Thormann-Theorie bald abgerückt. Aber sie stieß bei ihrer Schürfarbeit in der BA bald auf ein unüberwindbares Hindernis: Lauber erteilte den Behördenmitarbeitern eine Art Maulkorb. Er gab ihnen "Aussage-Ermächtigungen" zu den speziellen AB-BA-Fragen - er gab ihnen also vor, was sie zu antworten hatten. Wohlgemerkt, als von der Untersuchung im Kern betroffene Person - und gegenüber dem eigenen Aufsichtsgremium! Die AB-BA hält dazu fest, Lauber habe damit "gesetzeswidrig gehandelt" und den Verhaltenskodex verletzt, weil er "in einem Interessenkonflikt in seiner Funktion als Leiter der BA gehandelt" habe. Es sind bemerkenswerte Vorwürfe, zumal gegen den Top-Juristen des Landes.

Ein ermittelnder Staatsanwalt hätte an solchen Runde niemals teilnehmen dürfen

Thormann war also nicht dabei. Wer dann? In kundigen Justizkreisen kursiert seit Wochen ein Name, der auch der SZ genannt wurde und gewisse Logik hätte: Cédric Remund, 38. Ein junger Staatsanwalt in der BA, der viele Fußballverfahren leitete. Auch das Sommermärchen - und überdies eine besonders heikle Ermittlung, die sich um einen billigen TV-Rechteverkauf der Europa-Union Uefa an zwei argentinische Rechtehändler drehte, an dubiose Figuren, die auch in den Strafprozessen der US-Justiz angeklagt sind. Den verdächtigen Vertrag hatte damals ein Uefa-Direktor signiert: Gianni Infantino.

Infantino saß Anfang 2016 kaum einen Monat auf dem Fifa-Thron, als die BA seinen alten Arbeitsplatz durchsuchte, die Uefa-Zentrale in Nyon, und ein Verfahren eröffnete. Nicht gegen Infantino, der den Vertrag mit den als korrupt eingestuften Geschäftsleuten unterschrieben hatte, sondern gegen "Unbekannt". Diese Ermittlung lief im Juni 2017 noch, als Lauber wieder mal Infantino traf. Klar ist: Ein ermittelnder Staatsanwalt hätte an dieser Runde niemals teilnehmen dürfen - sonst hätten sich viele Verfahren im Fifa-Komplex erledigt.

Aber war Cédric Remund der fünfte Mann? Thormann entlastet sich klar mit Flugtickets. Stellvertreter Markus Nyffenegger bestreitet auf Anfrage strikt eine Teilnahme. Und Remund? Alle Bundesanwälte verweisen an die BA-Pressestelle. Diese ließ am Donnerstag auf SZ-Anfrage, ob Remund oder ein anderes operatives Mitglied der Fußball-Taskforce beim Geheimtreffen zugegen war, nur verlauten: "Die BA beteiligt sich nicht an Medienspekulationen. Vielmehr verweist die BA auf ihre bisherigen Stellungnahmen."

Vier Beteiligte wollen sich partout nicht erinnern

Stellungnahmen? Gibt es welche zu Remund und anderen Taskforce-Leuten? Warum wirft die BA auf Nachfrage zum heiklen Komplex, der längst ihr Image beschädigt, weiterhin nur Nebelkerzen? Warum dementiert sie nicht klar, wenn sie konkret zu einem Verdacht auf mögliches Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter befragt wird? Sie schweigt auch auf Nachfrage.

In einer Stellungnahme der BA - nicht öffentlich, nur innerhalb des WM-2006- Prozesses, findet sich einmal eine Passage zu Remund: Dass er der fünfte Mann sei, wie Prozessteilnehmer geargwöhnt hatten, "entpuppt sich als falsch", heißt es da wachsweich. Aber nicht, weil Remund das klar dementiert oder, wie Thormann, Beweise für seine Abwesenheit vorgelegt habe, sondern: Der AB-BA-Bericht benenne ihn ja gar nicht. So viel Chuzpe ist fast wieder bewundernswert: Die AB-BA erst in ihrer Ermittlung behindern, und sie dann als angebliche Entlastung zu zitieren.

Verfasser der Stellungnahme: Remund selbst. Ein für fünf Leute geplantes, mit fünf Speisen abgerechnetes Treffen, an das sich vier Beteiligte nicht mehr erinnern: Da liegt auf der Hand, dass der fünfte Gast jemand war, der nie hätte dabei sein dürfen, weil das Ermittlungen sprengen und manche Karriere zerstören könnte. Das macht die Lage nicht einfacher für den Chefankläger: Er ist Infantino und dessen Helfer Arnold nun faktisch ausgeliefert. Sollte dem Duo irgendwann einfallen, was am 16. Juni 2017 geschah - damals, als Arnold dem BA-Sprecher Marty per SMS textete: "Hallo André. Giannis Zug hat Verspätung. Wir werden ein paar Minuten später da sein. Bis gleich" -, dann könnte die Schweiz nicht nur ihren Chefankläger verlieren. Infantino, man kann es nicht anders sagen, hat Lauber jetzt in der Hand.

Die Ehefrau des BA-Ermittlers arbeitet bei der Uefa

Da passt ins Bild, wie dilettantisch die BA ihre Fußballverfahren führte, im Widerspruch zu den Versprechen, die Lauber 2015 nach Verhaftungswellen gegen Fußball-Funktionäre in Zürich gab. Die Taskforce wurde mit wenigen, oft blutjungen Leuten bestückt. Staatsanwälte wie Remund - oder einem heute 33-jährigen Assistenz-Staatsanwalt, der im WM-2006- Verfahren mitwirkte. Hatte dieser junge Mann dem Kollegen Remund auch in der Uefa-Ermittlung assistiert, die so heikel für Infantino hätte ausgehen können? Das wäre brisant: Die Ehefrau des BA-Ermittlers arbeitet seit 2014 in der Uefa-Rechtsabteilung. Lief sich das Paar bei den BA-Ermittlungen seit April 2016 nie über den Weg?

Frage an die BA: Welche Rolle spielte der Ermittler im Uefa-Verfahren; war der BA seine Eheverbindung bekannt? Wie wurden Interessenskonflikte verhindert? Antwort: "Die BA beteiligt sich nicht an Medienspekulationen." Sie verweist nur auf ihre bisherigen Stellungnahmen. Die gibt es auch zu dieser Causa nicht. So weist alles, auch das Scheitern des WM-2006-Verfahrens, in dieselbe Richtung. Kernfrage: Hat Laubers Behörde nur pro Fifa und pro Infantino ermittelt? In ihrem Urteil erhebt sogar die Justizaufsicht den Verdacht, Lauber habe sich nicht nur unzulässig, sondern auch erstaunlich früh an Infantino gekettet - er habe ihm womöglich mit auf den Fifa-Thron verholfen.

Diese ungeheuerliche Vermutung treibt auch damals Betroffene um: Sepp Blatter und Michel Platini. Blatter war Amtsvorgänger Infantinos bei der Fifa, Platini war Infantinos Chef bei der Uefa - und designierter neuer Fifa-Präsident. Infantino? Den hatte damals, 2015, wirklich niemand auf dem Radar. Dann geschah Erstaunliches. Schon im Juli 2015 saß plötzlich der Walliser Kantonsjurist Arnold bei Lauber - als Gesandter Infantinos, wie die Justizaufsicht schlussfolgert, der zu diesem Zeitpunkt bereits "eine Kandidatur für das Fifa-Präsidium ins Auge" gefasst habe. Infantino habe interessiert, ob die BA in ihren neuen Fifa-Verfahren auch gegen Blatter und Platini ermittle.

Monate später geschah noch Erstaunlichers. Ein anonymer Hinweisgeber meldete der BA eine Zwei-Millionen-Zahlung von Blatter an Platini. So flott, wie man sie gerne in allen anderen Fällen erlebt hätte, eröffnete die BA ein Verfahren, Blatter und Platini wurden im Fußball suspendiert. Sofort stand Infanti-no in der Tür, flötend: Jetzt werde halt er als Platzhalter für den armen Chef um den Fifa-Thron kandidieren. So schließt sich der Kreis: Auch das damals so eilig eröffnete Verfahren Blatter/Platini dämmert in der BA seit fast fünf Jahren nur noch vor sich hin. Als habe es seinen Zweck erfüllt.

© SZ vom 18.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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