Fifa und Gianni Infantino:Schweige-Geld

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Nicht jedes ihrer Treffen fand im Geheimen statt: Fifa-Präsident Gianni Infantino (rechts) und sein Freund aus Jugendtagen, der heutige Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold, am Rande eines Spaß-Fußballspiels im Februar 2016. Für die Kameras wechselte damals lediglich „Gianni-Brot“ den Besitzer. (Foto: Ulmer/imago)
  • Am 5. Juni wählt die Fifa in Paris ihren Präsidenten.
  • Amtsinhaber Gianni Infantino steht davor mächtig unter Druck. Die Schweiz wird von einer Affäre um den Chefermittler ihrer Justiz in Atem gehalten, der sich in aller Stille mit Infantino traf.
  • Würde die Fifa ihre Regeln ernst nehmen, müsste sie gegen ihren Präsidenten ermitteln. Doch der hat die richtigen Leute um sich geschart.

Von Thomas Kistner

Es gibt viele Tabus im Fußball-Weltverband. Wenn zum Beispiel hauseigene Prüfer mal einen tiefen Blick in die Bücher der millionenschweren Entwicklungshilfeprogramme werfen wollen, die die Fifa weltweit unterhält: Dann sind diese Bücher offenbar tabu! Kontrolle unmöglich? Jedenfalls verlässt eine frustrierte Audit-Expertin die Fifa nach SZ-Informationen auch deshalb zum Monatsende. Der hauptamtliche Compliance-Chef Ed Hanover soll ebenfalls bald den Schreibtisch räumen. Eine diesbezügliche Anfrage dementiert er nicht, stattdessen verweist er an die Fifa. Aber die schafft es binnen eines Tages nicht, Fragen zum neuen Exodus zu beantworten: Danke für Ihre Geduld.

Und dann ist da, kurz vor der Wiederwahl von Präsident Gianni Infantino, 49, am 5. Juni beim Kongress in Paris, noch das größte Tabu von allen: der Fifa- Verhaltenskodex. 31 Seiten umfassen die selbstgegebenen Regeln für Funktionäre. Würden sie angewandt, hätte das üble Konsequenzen - für den Präsidenten. Aber zum Glück für Infantino wachen über die Regeln inzwischen Leute, die er und sein Stab sorgfältig ausgesucht haben. Externe, nun ja: Experten, die Spitzensaläre kassieren - und nichts von Bedeutung tun. Der aktuelle Fall, der einen konkreten Untreueverdacht gegen Infantino begründet, liegt seit Mitte April offen da. Nichts ist bisher passiert.

Infantino leiht den Privatjet des Emirs von Katar

Seit April wird die Schweiz von einer Affäre um den Chefermittler ihrer Justiz in Atem gehalten: Bundesanwalt Michael Lauber, dessen Behörde eigentlich den Korruptionssumpf rund um die Fifa aufklären soll, traf sich gern in aller Stille mit Infantino. Im März und April 2016 - und erneut im Juni 2017. An letzteres Treffen kann sich erstaunlicherweise kein Beteiligter mehr erinnern. Der Grund der Rendezvous? Infantino hatte den unstillbaren Wunsch, dem Chef der Bundesanwaltschaft (BA) "die Kooperationsbereitschaft der Fifa in den diversen Strafverfahren persönlich mitzuteilen". Kein Witz - so steht es in einem Justizpapier. Der Drang, die Arbeit der BA zu erleichtern, muss so ausgeprägt gewesen sein, dass Infantino sogar einen Privatjet des Emirs von Katar samt Bordpersonal auslieh, um es ja rechtzeitig zum zweiten Treff mit Lauber in Zürich zu schaffen.

Und Lauber? Der war, wann immer Infantino die Fürsorge für die BA übermannte, gesprächsbereit. Ordnungsgemäß protokolliert wurde von alledem nichts.

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Der Fifa-Boss hat ein Projekt nach dem anderen an die Wand gefahren. Das ist schlecht für den Fußball, aber der Schweizer kann tun, was er will: In seinem Reich ist er fast unantastbar.

Kommentar von Thomas Kistner

Eingefädelt - und jetzt geht diese Geschichte in die nicht nur für den Fifa-Präsidenten tückischen Details -, eingefädelt wurden die Treffen von einem Schulfreund Infantinos: Rinaldo Arnold. Der ist Oberstaatsanwalt im Wallis. Und ganz zufällig erreichten Arnold parallel zu seinen Vermittlerdiensten Geschenke Infantinos: Einladungen, Karten fürs Champions-League-Finale, Super-VIP-Tickets für die WM 2018 in Russland. Es erblühte ein flottes Geben und Nehmen, stets auf Verbandskosten - das ist alter Fußballstil.

Aber Infantino hat nun ein Problem: All die Geschenke an den Kumpel sollen privat gewesen sein. Total privat! Das versicherte der Fifa-Boss jedenfalls einem Sonderermittler, der Arnolds Wirken im Auftrag der Walliser Justiz untersuchte. Auf mögliche Korruptionsaspekte hin: Der Kanton Wallis wollte wissen, warum der Staatsbedienstete Arnold dem Fifa-Patron so viel Gutes tat und zugleich so viel Gutes zurückbekam - neben den Einladungen war auch ein mit 75 000 Franken pro Jahr dotierter Nebenjob in Vorbereitung, bevor die Sache aufflog.

Der Sonderermittler stellte die Causa ein. Zwar rügte er, Arnold seien "erhebliche, sozial unübliche Vorteile" von Infantino gewährt worden - aber unter Korruptionsaspekten sei das letztlich egal, die zwei hätten ja nie beruflich miteinander verkehrt. Alles auf Amigo-Ebene: "Reine Privatvorteile und -geschenke", hielt der Sonderermittler in seiner Einstellungsverfügung vom 10. April 2019 fest. Arnolds Mittlerdienste zum Berner Chefankläger seien "eine private Gefälligkeit für einen Bekannten" gewesen, und die "von Infantino gewährten Vorteile an Arnold" seien als "Privatperson" erfolgt.

Was für den Kantonsjuristen Arnold eine Entlastung darstellt, bringt die prominente Tafelrunde erst recht in Erklärungsnot. Lauber muss jetzt nicht nur erklären, warum er die Treffen nie protokollierte und warum er das letzte, 2017, nach eigener Darstellung - kollektiv mit allen anderen Teilnehmern - vergaß. Heikel wird es, wenn Lauber darlegen muss, warum es kein Amtsgeheimnisverrat war, dass ein Privatmann namens Arnold am Tisch saß, als er mit Infantino Verfahrensfragen besprach. Gegen Lauber wird nun im Auftrag der BA-Aufsicht ermittelt; seine Position erscheint erschüttert, die Neuwahl des Bundesanwalts wurde verschoben.

Alles privat! Keine beruflichen Bezüge! Keine Bestechung des Kantonsjuristen, damit dieser ihm Zugang zum Chefermittler verschafft! Mit dieser Einschätzung ist Infantinos Geschenkorgie aus Walliser Sicht erledigt. Aus der Sicht anderer Beteiligter wird sie gerade dadurch zum Problem.

Theo Zwanziger, der ehemalige DFB-Chef, stellte in Bern prompt Strafanzeige gegen Infantino wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, zudem fordert er die Prüfung der Geschenkeflut für Arnold durch die Fifa - diese widerspreche dem Ethikkodex. So sieht es auch Hans-Joachim Eckert. Der frühere Chef des Fifa-Ethikkomitees sagt der SZ, Infantinos Verhalten sei typisch im Korruptionsbereich, es brauche eine Voruntersuchung wegen eines Untreueverdachts. Eckert selbst kann die nicht mehr führen, Infantino musterte ihn 2017 über Nacht aus, nebst dem Schweizer Chefermittler Cornel Borbély. Für das Duo, das die Mächtigsten des Weltfußballs zur Strecke gebracht hat - Sepp Blatter, Michel Platini und Jérôme Valcke - und das auch Infantino schon im Visier hatte, übernahm eine im Strafrecht völlig unerfahrene Verwaltungsjuristin aus Kolumbien den Ethik-Job: Claudia Rojas war Infantino von skandalträchtigen latinischen Verbandsfürsten als "Super-Amiga" angedient worden. Als Super-Freundin der Fifa-Spitze erwies sie sich seither, bemängeln viele Beobachter.

Jetzt steht die Nagelprobe an: Bei der Frage, wie das Geben und Nehmen zwischen den Amigos Infantino/Arnold von den Fifa-Aufpassern bewertet wird (und ob es überhaupt verhandelt wird), geht es um etwas ganz Grundsätzliches: Der Eindruck, dass Infantino zwar ständig von der neuen, transparenten Fifa schwadroniert, tatsächlich aber im Ethik- und Compliance-Bereich ein Kartell der Abnicker installiert hat, drängt sich längst auf.

Im eigenen Netzwerk verstrickt

Das Problem steckt in Regel 45 des Verhaltenskodex, unterschrieben von Infantino selbst und von Tomas Vesel. Der Slowene Vesel, Chef des Audit & Compliance- Komitees, ist auch für die Umsetzung zuständig. Die Regel lautet: "Vorausgesetzt, es ist im Interesse der Fifa, kann der Präsident (...) jede Person zu Veranstaltungen einladen." Ziffer 5 verschärft die Bestimmung explizit - etwa für das Beschenken von Staatsanwälten: "Besondere Sorgfalt ist geboten, wenn Einladungen an Personen oder Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes gerichtet werden."

Gianni Infantino, so sieht es jetzt aus, hat sich im eigenen Netzwerk verstrickt. Er sitzt in der Falle. Der Walliser Justiz musste er seine Luxusgeschenke an den Staatsanwalt Arnold als absolute Privatsache verkaufen; andernfalls wäre eine Korruptionsermittlung eröffnet und der Fifa-Boss suspendiert worden. Dann wäre es nichts geworden mit seiner Wiederwahl am 5. Juni. Also war alles privat - aber genau das, einen privaten Spezl mit Nettigkeiten auf Fifa-Kosten zu überhäufen, ist wiederum nach den Fifa-Regeln verboten. Erlaubt ist nur, was "im Interesse der Fifa" geschieht. Und im Interesse der Fifa liegt gewiss nicht, dass ein Funktionär alte Schulfreunde in den teuersten WM-Logen bewirtet. Oder: Lässt sich die Regel 45 da irgendwie hinbiegen?

Der Basler Compliance-Experte Mark Pieth teilt die Meinung von Eckert, Zwanziger und anderer Strafrechtler: "Nach dieser Formulierung ist es ausgeschlossen, dass man einfach einen Kumpel auf Geschäftskosten einladen darf. Die Einladung muss eindeutig immer im Interesse der Fifa sein. Audit und Compliance muss also klären, worin genau das Interesse der Fifa bei diesen Zuwendungen lag", sagt Pieth. Gelinge das nicht, läge ein Regelbruch vor. Dann müsste Compliance-Chef Vesel "das Delikt dem Ethikkomitee melden, dieses müsste ein verbandsinternes Verfahren einleiten. Gibt es keine klare Begründung für das Interesse der Fifa an den Schenkungen für Arnold, ist ja das Unternehmen geschädigt worden. Dann gibt es hier einen Verdacht auf ungetreue Geschäftsführung!"

Zuständig sieht Pieth, wie Eckert und Zwanziger, auch staatliche Strafinstanzen: "Wenn Infantino und Arnold keine vernünftige Begründung für das Interesse der Fifa liefern, haben sie in die Kasse gegriffen. Dafür wäre dann wohl der lokale Staatsanwalt in Zürich zuständig." Diese Rechtsauffassung liegt auch deshalb auf der Hand, weil der Fußballboss sonst ja jedermann mit Geschenken auf Fifa-Kosten überhäufen könnte, den er privat irgendwie als Kumpel betrachtet.

Aber wie sehen das jetzt die Fifa-Aufseher, Compliance-Chef Tomas Vesel und Chef-Ethikerin Rojas?

Vesel kassierte laut Governance-Report 2018 für dieses Amt 246 000 US-Dollar Grundvergütung, dazu 35 000 Dollar für eine weitere Tätigkeit - das ist gut das Vierfache dessen, was er im Hauptberuf als oberster Rechnungsprüfer in Slowenien verdient. Rojas steckt ebenfalls 246 000 Dollar ein, im Staatsdienst Kolumbiens dürfte die Verwaltungsfrau wohl nur einen Bruchteil dessen zusätzlich verdienen. Ihr Stellvertreter Bruno De Vita, ein Anwalt aus Kanada, kassiert 75 000 Dollar Grundvergütung von der Fifa.

Rojas und De Vita (wie auch ihr Ethik-Ermittlerkollege Michael Llamas, Generalstaatsanwalt in Gibraltar), ließen SZ-Anfragen, ob sie in der Sache tätig werden, seit Mitte letzter Woche unbeantwortet. Es kann offenbar recht einfach sein, sich das viele Geld aus dem Fußball zu verdienen.

Compliance-Chef Vesel immerhin windet sich. Er sieht die Geschenk-Affäre durchaus kritisch, zumal als oberster Rechnungsprüfer eines Staates. Aber die Vorgabe, bei Verdacht auf ein Fehlverhalten unverzüglich Meldung ans Ethikkomitee zu machen, hat wohl auch er nicht richtig beherzigt. Nach SZ-Informationen prüft das Compliance-"Subkomitee für Vergütungen", ob es Infantinos Geschenk-Orgie intern bei den Ethikern anzeigt. Aber Vesel muss kämpfen. Das Subkomitee bildet er mit zwei eher schillernden Figuren. Der Paraguayer Alejandro Dominguez sitzt Südamerikas Skandalverband Conmebol und auch dem Fifa-Finanzkomitee vor. Er ist einer der engsten Vertrauten Infantinos. Hier sollte nicht mit Objektivität gerechnet werden. Und der Dritte im Bunde? Ist ein Deutscher. Sein Name: Peter Braun.

Der Pressestab verkündet flott einen Freispruch

Der Anwalt aus Frankfurt ist nicht einmal an hoher DFB-Stelle bekannt, nach SZ-Informationen soll er von Infantino persönlich ausgesucht oder bewilligt worden sein. Braun firmiert als "unabhängiges" Mitglied des Vergütungs-Komitees. Aber Fragen will er keine beantworten: weder die, wie er in das Fifa-Gremium kam und zu Infantino steht, noch solche zu Infantinos Geschenk-Orgie. Passiv ist der Deutsche aber nicht. Als unabhängiger Compliance-Experte offenbart er ein originelles Transparenz-Verständnis: Er reichte explizit an ihn gerichtete Medienanfragen zu den möglichen Verfehlungen Infantinos einfach an die Fifa-Medienabteilung weiter - und damit an den Verbandsboss.

Die Beantwortung der Fragen an den angeblich unabhängigen Aufpasser erledigt dann die Pressestelle. Sie teilt mit: Ihr Chef habe "das Recht, persönliche Gäste zu Fifa-Veranstaltungen einzuladen. Die Einladung, auf die Sie sich beziehen, wurde gemäß den Vorschriften erstellt." Welche Vorschriften die Fifa da meint? Danke für Ihre Geduld! Das ist der Weltverband 2019: Die Aufsicht schweigt, der Pressestab verkündet flott einen Freispruch für den Boss.

Solche Absurditäten illustrieren das Dilemma. Infantinos Aufpasser können binnen einer Amtszeit Millionäre werden. Und die ungeschriebene Regel dabei, so sehen es nicht nur Eckert, Borbély und andere geschasste Topaufseher: Die Bosse sind unantastbar! Dafür wird gerne mal ein kleiner Fisch tranchiert. Freitag verbannten die Ethiker einen gewissen Chabour Goc Alei für zehn Jahre. Der Mann aus dem Südsudan hatte Korruption begangen.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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