Fifa:"Wie tief kann Infantino noch sinken?"

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Fifa-Präsident Gianni Infantino (links) besucht im Jahr 2019 den Kongress des Afrika-Verbandes Caf, den damals noch der mit ihm verbündete und inzwischen von der Ethikkommission gesperrte Ahmad Ahmad (rechts) anführte. (Foto: Hassan Ammar/dpa)

Dass der Fifa-Boss ein Plädoyer für einen neuen WM-Rhythmus mit dem Schicksal von Mittelmeerflüchtlingen verknüpft, löst globale Empörung aus. Der Fauxpas dürfte auch dazu führen, dass sich Afrikas Fußball verstärkt von ihm abwendet.

Von Thomas Kistner, München

Die humanitäre Katastrophe in Afrika, Klimawandel, die gewaltige Süd-Nord-Migration über das trennende Mittelmeer - es sind wohl die drängendsten Probleme unserer Zeit. Jetzt dazu die gute Nachricht: Es gibt endlich einen, der die Lösung dafür gefunden hat: Gianni Infantino trug sie am Mittwoch der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Pace) vor: Einfach öfter mal eine Fußball-Weltmeisterschaft machen! Alle zwei Jahre - statt, wie bisher, alle vier.

Was klingt wie ein Aussetzer unter bierseligen Kegelbrüdern, hörte sich in der Straßburger Rednerbütt so an: "Wir müssen Wege finden, um die ganze Welt einzubeziehen, um den Afrikanern Hoffnung zu geben, damit sie nicht mehr übers Mittelmeer kommen müssen, um vielleicht ein besseres Leben zu finden - oder, wahrscheinlicher, den Tod im Meer!" Wichtig sei, erklärte der Fifa-Boss weiter, den Afrikanern "Möglichkeiten und Würde" zu geben. Wie das funktioniert? Infantino will die Antwort kennen: "Nicht indem wir wohltätig sind, sondern indem wir alle teilhaben lassen!" Am Fußball.

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In der Schweiz hat Gianni Infantino Ärger mit der Justiz - nun wohnt der Chef der Fifa samt Familie in Katar. Und wer sagt, dass der Weltverband in Zürich bleiben muss? Über mögliche Umzugspläne und was dahinterstecken könnte.

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Mehr WM-Turniere also, mehr Milliarden fürs Kickergewerbe, damit verzweifelte Menschen ohne Essen, Job und Zukunft nicht vom Kontinent fliehen und zu Tode kommen. An diesem Unfug dürfte selbst der Fifa-Boss etwas länger gebastelt haben - und die globale Empörung war immens.

Die Fifa erklärt, die Aussage sei "missinterpretiert" worden

"Wie tief kann Infantino noch sinken?", fragte Direktor Ronan Evain von der Fan-Vereinigung Football Supporters Europe. Den Tod im Mittelmeer zu instrumentalisieren, um einen "größenwahnsinnigen Plan" zu verkaufen, das sei "jenseits aller Worte". Infantinos Vorgänger Sepp Blatter merkte an, der Vortrag sei "weltfremd und ehrverletzend" gewesen. Und in der twitternden Fußball-Community war viel von Rassismus die Rede, der hinter diesen Aussagen stecke.

Derweil versuchte Infantino ob der Protestwelle, sein globalpolitisches Ideengut wieder einzufangen. Das sei "missinterpretiert" und "aus dem Kontext" gerissen worden, weil er, äh, eigentlich sagen wollte, "dass jeder in einer verantwortlichen Position die Verantwortung hat, zur Verbesserung der Situation für Menschen auf der ganzen Welt beizutragen". Außerdem sei das gar nicht auf den afrikanischen Kontinent beschränkt gewesen.

Im Plenum hatte es vielen die Sprache verschlagen, zunächst bot niemand im Saal dem Weltfußball-Boss Paroli. Einem Skandalfunktionär, den die Schweizer Strafjustiz in diversen Fällen untersucht - und der nach Einschätzung von Branchenkennern in Sport und Justiz auch vor diesem Hintergrund kürzlich samt Familie nach Katar umzog, ins Gastgeberland der nächsten Fußball-WM (ab November).

Auch zu seiner neuen Wahlheimat Katar verbreitet Infantino Ungeheuerlichkeiten

Am Ende seines staatsmännisch verblasenen Auftritts konnte Infantino noch eine Ungeheuerlichkeit verbreiten, die allerdings in seiner neuen Heimat gut ankommen dürfte: Zur Menschenrechtslage im WM-Land wollte er "ein paar Dinge klarstellen". Wenn er höre, "dass 6500 Menschen beim Bau von Fußballstadien in Katar gestorben seien, dann ist das einfach nicht wahr. Die richtige Zahl ist: Drei Personen starben" - dazu zeigte er drei Finger. Jedes Leben sei wichtig, aber zwischen drei und 6500 liege halt ein großer Unterschied.

Das ist zumindest eine höchst problematische Zählweise, die sich ganz ans offizielle Datenmaterial des Supreme Commitee (SC) in Doha anlehnt. Infantino ignoriere alle der sogenannten "nicht arbeitsbedingten" Todesfälle, moniert Nicholas McGeehan von der Menschenrechtsorganisation Fairsquare, aber diese würden "mehr als 90 Prozent der Todesfälle bei SC-Projekten ausmachen". Diese Fälle, so die NGO, würden "willkürlich und ohne jegliche Untersuchung der Todesursachen als ,nicht arbeitsbedingt' eingestuft".

Überdies ignoriere die Fifa alle anderen Todesfälle in Katar, von denen eine große Zahl mit dem Bau der kompletten WM-Infrastruktur zusammenhänge - obwohl die Fifa selbst in einem Grundsatzpapier 2017 anerkannte, dass sich ihre Verantwortung auf "veranstaltungsbezogene Infrastruktur und veranstaltungsbezogene Lieferketten" erstreckt.

Afrika darf weder Transparenz noch Aufklärung erwarten, solange die Leute von Fifa-Präsident Gianni Infantino dort Regie führen. (Foto: Pradeep Dambarage/dpa)

Auch der aktuelle Bericht von Amnesty International verweist auf "Tausende ungeklärter Todesfälle". Immer wieder würden bei verstorbenen jungen Männern Herzstillstand und "natürliche Ursachen" diagnostiziert. Doch würden Experten bestätigten, dass solche Bezeichnungen keine aussagekräftigen Beschreibungen der Todesursache seien - und "darauf hindeuten, dass wahrscheinlich keine angemessenen Untersuchungen durchgeführt wurden".

Die Erzählungen des Neu-Katarers im Europarat verfolgte stumm ein topbezahlter Alliierter Infantinos, der die Idee des neuen WM-Rhythmus vorantreiben soll: Arsène Wenger. Einst als Trainer einer der profiliertesten Branchenvertreter, verkämpfte er sich monatelang für Infantinos Lieblingsprojekt; zuletzt hat man nichts mehr gehört. Wenger blieb auch in Straßburg stumm, wo er einst Profi war. Aber jedes Wort hätte leicht Fragen nach seinem bisherigen Assistenten aufwerfen können: Steven Martens. Der Belgier fehlte, er dürfte wohl gar nicht mehr fürs neue WM-Dauerformat trommeln. Denn die heimischen Strafbehörden haben den Technischen Fifa-Direktor im Visier.

Ein Mann, der den Wunschtraum des Zwei-Jahres-Rhythmus umsetzen sollte, ist im Visier heimischer Strafermittler.

Martens gehört zu 57 Funktionären, Trainern und Referees, die die Brüsseler Staatsanwaltschaft im Zuge ihrer Operation "Saubere Hände" anklagen will. Er hatte 2017 für viel Geld bei der Fifa angeheuert, obwohl er zuvor Belgiens Verband inmitten eines Finanzskandals verlassen musste. In der Anklagevorbereitung gegen den Ex-Vorstandschef des Verbandes und weitere Topfunktionäre geht es um Offshore-Firmen, überzogene Boni sowie um die spannende Frage, warum der Verband bei der WM 2014 in Brasilien zwar 61 Millionen Euro einnahm, eine interne Prüfung jedoch ergab, dass er dasselbe Jahr mit einem Minus von 200 000 Euro abschloss. Kurz darauf ging Martens.

Für Infantino hatte Martens' Arbeit viel Gewicht: Der Belgier sollte, neben Wenger, den Wunschtraum von der Fußball-WM in Dauerschleife umsetzen. Das Projekt darf nun endgültig als gescheitert abgehakt werden. Europa und Südamerika würden ohnehin nicht mitspielen, und die Uefa teilte Stunden nach Infantinos Skandalauftritt mit, dass ihr der Pace-Konvent per Resolution Rückendeckung gibt und vor potenziell "desaströsen" Folgen der Pläne Infantinos warne.

Infantinos Seenotrettung kam übrigens auch beim aktuell laufenden Afrika-Cup nicht gut an. Teile des Kontinentalverbandes Caf gehen ihm von der Fahne, schon bei der Eröffnungsfeier der Afrika-Meisterschaft in Kameruns Hauptstadt Yaounde vor zwei Wochen gellte ein Proteststurm durch das Stadion, als Infantinos Name fiel. Es wird einsam um den Hobby-Katarer, womöglich gräbt auch noch die Schweizer Strafjustiz bis zum nächsten Fifa-Wahlkongress 2023 mehr Dinge aus. Immerhin, komplett richtig lag Infantino beim Straßburger Gastspiel mit seiner Schlussbemerkung: "Was wir der Welt geben, ist: Emotionen!"

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