Gianni Infantino:Ein Fall, der das Amt des Fifa-Präsidenten bedroht

Rinaldo Arnold und Gianni Infantino

Eine Männerfreundschaft, die nun beide das Amt kosten könnte: Fifa-Präsident Gianni Infantino (rechts) und der Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold, hier bei einem Spaß-Kick 2016. Seit dieser Woche wird gegen beide ermittelt.

(Foto: Ennio Leanza/Keystone)
  • Fifa-Präsident Gianni Infantino gibt einem Juristen VIP-Tickets und Einladungen.
  • Der Jurist vermittelt dem Fifa-Chef Treffen mit dem Chefermittler in der Fifa-Affäre.
  • Bestechungsverdacht? Das wird intensiv untersucht. Der Fall könnte Infantino das Amt kosten.

Von Claudio Catuogno und Thomas Kistner

Als der Schweizer Kanton Wallis im November 2018 Damian K. Graf, einen Experten für Wirtschaftsdelikte, zum "außerordentlichen Staatsanwalt" berief, zu einer Art Sonderermittler also, da stand im Amtsblatt, wofür Graf jetzt zuständig ist: für "ein besonderes Dossier". Das ist eine fast putzige Formulierung dafür, dass Grafs Ermittlungen das Zeug haben, den Weltfußball zu erschüttern. Und die Schweizer Justiz gleich mit.

Seit November geht Graf im Grunde einer einzigen Frage nach: Ob ein hoher Kantonsbeamter, ebenfalls aus dem Wallis, Geschenke und unerlaubte Vorteile von einem Fußballfunktionär angenommen hat. Und ob der Fußballfunktionär dafür Gegenleistungen erhielt - und wenn ja, welche. Bei dem Beschenkten handelt es sich um den Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold. Und der Spender, der mit Einladungen und Freikarten nicht gespart hat, ist ein alter Schulfreund von ihm: Gianni Infantino. Der Fifa-Präsident.

Leistung, Gegenleistung? Die Betroffenen bestreiten strikt jedes Fehlverhalten. Doch nach Unterlagen, die die SZ einsehen konnte, verdichtet sich die Verdachtslage. Sollte sie in konkrete Korruptionsermittlungen durch die Schweizer Justiz münden, bräuchte der Fußball-Weltverband wohl einen neuen Präsidenten. Sepp Blatter jedenfalls, Infantinos Vorgänger, war keine zwei Wochen mehr im Amt, nachdem im Herbst 2015 bekannt wurde, dass gegen ihn wegen Korruption ermittelt wird.

Der Sache soll gründlich nachgegangen werden

Bisher sammelt Sonderstaatsanwalt Graf seine Informationen in aller Stille. Eine umfassende SZ-Anfrage beantwortete er diese Woche mit einem Satz: "Bis zum Abschluss des Verfahrens, der noch nicht absehbar ist, erteile ich keine Auskunft." Das signalisiert immerhin, dass die Ermittlungen erst Fahrt aufnehmen. Nach Informationen der SZ bat Graf im Dezember mehrere Verbände, ihm alle Anlässe und Events zu übermitteln, zu denen der Beamte Arnold von Infantino eingeladen worden ist. Der Sache soll offenkundig gründlich nachgegangen werden.

Worin Arnolds Gegenleistung bestanden haben soll, ist hingegen schon klar: Der Jurist hatte vertrauliche Treffen für den Fifa-Präsidenten organisiert - mit Michael Lauber, dem Chef der Schweizer Bundesanwaltschaft (BA). Das Thema der Gespräche war mindestens delikat: Es ging um die Affären im Weltfußball, zu denen die Bundesanwaltschaft in Bern zwei Dutzend Ermittlungsverfahren führt. Seit 2015, auch rund um die Fifa.

Der Fifa-Chef trifft den obersten Ermittler in Sachen Fifa-Sumpf, auf Initiative eines Juristen, der zwar gar nicht zuständig, aber seit der Schulzeit mit Infantino befreundet ist. Und mindestens einmal sitzt der Kumpel aus dem Wallis sogar mit am Tisch. Läuft das so in der Schweiz, einem Land, in dem immerhin 45 Weltsportverbände sowie der oberste Sportgerichtshof Cas beheimatet sind?

Das "besondere Dossier" des Sonderermittlers Graf: Es handelt einerseits von der Fifa. Aber es geht auch um die Unabhängigkeit der Schweizer Justiz und deren Umgang mit Sportfunktionären.

Aber der Reihe nach; die zeitlichen Bezüge sind wichtig in dieser Geschichte. Am 26. Februar 2016 war Infantino an die Fifa-Spitze gewählt worden. Gut drei Wochen später arrangierte Rinaldo Arnold bereits das erste Treffen mit BA-Chef Lauber. Als der Bundesanwalt mit dem Fifa-Boss in einem Züricher Hotel parlierte, war Arnold an dessen Seite. Obwohl der Kantonsjurist dort nichts zu suchen hatte; alle Fifa- Ermittlungen fallen ausschließlich in die Zuständigkeit der Bundesanwälte.

Kurz darauf, am 6. April 2016, musste Laubers Bundesanwaltschaft dann ausgerechnet Infantinos alte Arbeitsstätte durchsuchen: die Uefa-Zentrale in Nyon. Hier war Infantino zuletzt sechs Jahre lang als Generalsekretär der Chef aller Uefa-Hauptamtlichen gewesen. Nun eröffnete die BA ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung - gegen Unbekannt. Auslöser war ein SZ-Bericht im Zuge der Enthüllungs-Serie Panama Papers über ein fragwürdiges TV-Geschäft aus den Nullerjahren: Infantino, damals zuständiger Uefa-Direktor, hatte den Vertrag abgezeichnet, welcher einer Firma namens Cross Trading Champions-League-Rechte zum Spottpreis sicherte. Die argentinischen Rechtehändler Hugo und Mariano Jinkis, Vater und Sohn und die Besitzer von Cross Trading, hingen im April 2016, als die BA die Uefa filzte, längst wegen anderer windiger Rechte-Deals am Haken der US-Justiz.

Zwar wurde das Verfahren um Infantinos Unterschrift später eingestellt. Gleich nach der Durchsuchung war das aber nicht absehbar. Umso mehr irritiert, dass Infantino nur weitere zwei Wochen danach erneut - offenkundig vertraulich - mit Lauber reden konnte. Mit dem Mann, dessen Behörde nach Aktenlage jetzt auch ihn persönlich, Infantino, im Visier haben musste. Arnold hatte auch dieses Treffen arrangiert, war allerdings nicht mehr persönlich dabei. Dafür versuchte er, noch viel mehr für seinen Fußballfreund rauszuholen: Den BA-Informationschef André Marty bat er um eine Pressemitteilung, in der die BA bestätigen sollte, dass sie nicht gegen Infantino ermittelt habe. Marty lehnte das ab.

Infantino lädt Arnold zu mehreren Events ein

Es gibt da also eine Menge zu erklären. Und tatsächlich trat Lauber im November 2018, nach ersten Enthüllungen zu Arnold und zu Ungereimtheiten um die BA-Ermittlungen durch die Plattform Football Leaks, an die Öffentlichkeit. Er verteidigte die Treffen mit Infantino. Es sei darum gegangen, "komplexe Verfahren sinnvoll und gemäß dem Beschleunigungsgebot" durchzuführen. Das sei nicht unüblich, lautete seine Botschaft. Warum ein fachfremder Jurist aus dem Wallis für diese Beschleunigung sorgte? Warum die Inhalte der Treffen nicht protokolliert wurden? Das zählt bis heute zu den offenen Fragen, die nun auch den BA-Chef in der Schweiz unter Druck bringen. Zumal die Ermittlungen seiner Behörde im Fußballsumpf allenfalls gemächlich vorangehen.

Zu Rinaldos Schaden war sein rührender Einsatz für Infantino jedenfalls nicht. Als Sonderstaatsanwalt Graf im Dezember die Uefa um Unterlagen zu Infantinos Zeit als Uefa-Generalsekretär bat, wurden ihm mehrere Einladungen übersandt, von Infantino für Arnold. Aus den Mails, die die SZ einsehen konnte, geht hervor, dass drei Termine in die heiße Wahlkampfphase Infantinos fielen. Am 14. Dezember 2015 lud Infantino Arnold zu den Uefa-Auslosungen nach Nyon ein, dann folgten Einladungen zu den außerordentlichen Kongressen von Uefa und Fifa am 25. und 26. Feburar 2016 in Zürich. Dort wurde Infantino zum Fifa-Boss gewählt. Zu diesen Kongresstagen vermerkte die Uefa-Kostenstelle für Arnold zwei Übernachtungen (insgesamt 535 Franken) im Züricher Swissotel, wo er einer von zehn "persönlichen Gästen" war, von denen sechs den Nachnamen Infantino trugen. Zu Buche schlugen auch 50 Franken für Verpflegung; überdies reichte der Kantonsbeamte eine Taxiquittung in Höhe von 40 Franken ein. Die fielen an, weil Arnold erst spätabends aus Bern am Züricher Bahnhof erwartet wurde, zu spät für den offiziellen Fahrservice.

Kaum war Infantino gewählt, folgten die Treffen mit BA-Chef Lauber. Und kurz nach dem zweiten Treffen ereilte Arnold eine frohe Botschaft. Am 11. Mai schrieb ihm eine Uefa-Assistentin: "Gianni und Mattias (Grafström; inzwischen auch in der Fifa Infantinos rechte Hand; d. Red.) haben mich gebeten, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen, um Ihnen die erfreuliche Nachricht zu überbringen, dass wir Ihnen gerne zwei Freikarten für das kommende Uefa Champions League Finale am 28. Mai in Mailand zur Verfügung stellen möchten." Für zwei solcher Kategorie-1-Tickets zahlen gewöhnliche Fußballfans 880 Franken. Kleiner Irrläufer am Rande: Als die Uefa wenig später eine in Nyon gelandete Einladung Arnolds an Infantino an die Fifa weiterleitete, hieß es im Begleitschreiben spitz, "dass gerade Herr Arnold wissen sollte, dass Gianni nicht mehr bei der Uefa ist".

In der Tat. Fortan wurde Arnold via Fifa eingeladen; erst zu Infantinos erstem Fifa-Kongress 2016 in Mexiko. Auch die WM 2018 in Russland besuchte er - und hatte offenbar Zugang zu Bereichen, die ihm ein Selfie mit Spaniens König Felipe ermöglichten. Dafür, sagen Fifa-Insider, reiche ein gewöhnlicher Vip-Status kaum aus.

Die Reisen habe er selbst bezahlt, bloß Tickets habe er angenommen, teilte Arnold dazu mit. Und er bestritt jeden dienstlichen Bezug. Schließlich sei man ja gut befreundet. Aber ist es so einfach?

Sonderermittler Damian Graf liegt das Material jedenfalls vor. Und die Frage ist, ob er es ähnlich bewerten wird wie etwa der Strafrechtler und Compliance-Experte Mark Pieth. Von der SZ mit den Vorgängen konfrontiert, sieht Pieth im Verfahren zwei Schienen: "Da ist das Beamtenrecht, das die Geschenkannahme regelt. Und da ist das Strafrecht. Es regelt unter Artikel 322 das, was in Deutschland ,Anfüttern' heißt."

Vorteilsgewährung, Vorteilsannahme. Stets gehören zwei dazu

Die Passage zur "Vorteilsgewährung" lautet: "Wer einem Mitglied einer richterlichen oder anderen Behörde (...) im Hinblick auf die Amtsführung zu dessen Gunsten oder zu Gunsten eines Dritten einen nicht gebührenden Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft." Zur Passiv-Bestechung heißt es: "Wer als Mitglied einer richterlichen oder anderen Behörde (...) im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit für eine pflichtwidrige oder eine im Ermessen stehende Handlung oder Unterlassung für sich oder einen Dritten einen nicht gebührenden Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft." Entscheidend ist jeweils der Amtsbezug - und Pieth sieht diesen im Fall Arnold durchaus als gegeben an. Der habe schließlich "etwas geleistet", sagt Pieth, "was kein gewöhnlicher Sterblicher erhält. Fragen Sie doch mal beim Bundesanwalt an, ob Sie dort ein Treffen kriegen!"

Vorteilsgewährung, Vorteilsannahme. Stets gehören zwei dazu. Käme es zu Korruptionsermittlungen, könnte selbst das von Infantino umgekrempelte, als unabhängiges Organ faktisch entmachtete Fifa-Ethikkomitee nicht weiter tatenlos zusehen. Die Vorgänger der Verwaltungsjuristin Claudia Rojas aus Kolumbien, die von Infantino ausgemusterten Strafrechtsexperten Cornel Borbely und Hans-Joachim Eckert, hatten seinen Amtsvorgänger Sepp Blatter sofort gesperrt, als solche Ermittlungen gegen ihn bekannt wurden. Und den damaligen Uefa-Chef Michel Platini sperrten sie gleich mit, obwohl der formal nur "Auskunftsperson" in dem Verfahren war. Nur dank dieser Sperren ist Infantino heute Fifa-Präsident.

Und es spricht noch eine weitere Tatsache dafür, dass der Sonderstaatsanwalt Damian Graf inzwischen sehr umfassend ermittelt: Er kooperiert jetzt mit Rui Pinto, dem jüngst in Ungarn festgesetzten Kopf der Plattform Football Leaks. Der Portugiese Pinto kämpft darum, wegen seiner Enthüllungen als Whistleblower anerkannt und nicht in seine Heimat ausgeliefert zu werden, wo er der Cyberkriminalität und der versuchten Erpressung beschuldigt wird. Das könnte schwierig werden angesichts der Vorwürfe in Portugal. Doch sein französischer Anwalt William Bourdon erhofft sich von einer Kooperation mit internationalen Behörden die Nichtauslieferung. Gerade bezeichnete er den Sonderermittler Graf in einem Spiegel-Interview als den "für die Fifa-Affäre zuständigen außerordentlichen Staatsanwalt aus der Schweiz", die Zusammenarbeit mit ihm wolle er "beschleunigen". Nur: Für die Fifa-Affären ist nicht Graf zuständig, sondern allein die BA. Das bestätigte die Berner Behörde der SZ - Graf beschäftige sich ausschließlich mit der Causa Arnold, teilte sie mit. Und das bestätigt auf Anfrage auch Graf selbst: "Es ist korrekt, dass sich mein Aufgabenbereich auf das (...) Dossier betreffend Rinaldo Arnold beschränkt." Allerdings bestätigt er dann noch etwas: "Dass es in diesem Zusammenhang Kontakte mit William Bourdon gegeben hat, wird nicht dementiert."

Pinto will also bei Graf andocken. Und er müsste, um seine Auslieferung zu verhindern, gewiss mehr als Altbekanntes anbieten aus dem Fundus seiner Dokumente. Auch das bringt Bewegung ins Arnold-Dossier. Für Infantino dürfte es nichts Gutes bedeuten. Der Fifa-Präsident bringt sich ja gerade für eine zweite Amtszeit in Stellung; gewählt wird am 5. Juni in Paris. Zuvor steht noch ein Eligibility-Check an: die Integritätsprüfung, ob ein Kandidat wählbar ist. Da wäre ein offizielles Ermittlungsverfahren ein Problem.

Infantino kämpft an vielen Fronten

Apropos Integritäts-Screening: Seit Monaten schon wird in der Fifa geraunt, dass ein solches Verfahren, das jeder benötigt, der in ein Fifa-Gremium befördert werden soll, auch für einen speziellen Freund Infantinos zumindest erwogen worden sein soll: für Rinaldo Arnold. Jedenfalls, bevor die Affäre im Herbst aufflog. Ein einflussreicher, lukrativer Job in der Fifa, mit Direktzugang zum Boss: Das hätte noch mal eine andere Qualität als Vip-Tickets. Sonderermittler Graf ließ die SZ-Anfrage, ob es einen solchen Check zu Arnold gegeben habe, unbeantwortet. Die Fifa teilte zunächst kategorisch mit: "Herr Arnold wurde nie für eine Position im Ethikkomitee in Betracht gezogen."

Weitere Nachfragen, ob Arnold für andere Positionen in Betracht gezogen worden sei, vielleicht auch für die Rechtsabteilung, ließ die Fifa unbeantwortet. Sie erklärte nur, dass Mitglieder der diversen Komitees "vom Council ernannt oder vom Kongress gewählt werden, je nach Rolle". Formal ist das zutreffend - nur muss die Administration eben davor die Integritätschecks anweisen. Wer nicht gecheckt wird, darf ja den Gremien gar nicht aufgetischt werden - die dann sowieso nur abnicken.

Dass Arnold seit Ausbruch der Affäre auch intern keine Rolle mehr spielt, ist klar. Die delikate Frage aber, welche die Fifa partout nicht beantworten will, ist die, ob Arnold vor Ausbruch der Affäre eine Rolle in Personalüberlegungen der Fifa gespielt hat. Darauf, und explizit auf die Frage, ob die mit den Vorabklärungen von der Fifa beauftragten Firmen im Herbst in Sachen Arnold tätig geworden seien, verweigert die Fifa eine Antwort. Anzunehmen ist aber, dass ihr diese Frage auch der Sonderermittler Graf noch stellen wird.

Gianni Infantino, der umstrittene Fifa-Präsident: Er kämpft gerade an vielen Fronten. Ob im Juni ein Herausforderer gegen ihn antreten wird, also einer aus Fleisch und Blut - das ist noch nicht entschieden. Die Justiz wäre ein Gegenkandidat, der nicht zu schlagen ist.

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