Fifa-Ethikbericht zur WM-Vergabe:"Die Anzeige zielt bewusst ins Ungewisse"

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Schwer unter Druck: der Fußball-Weltverband Fifa. (Foto: dpa)

Mit ihrer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft versucht der Fußball-Weltverband vor allem ein Ziel zu erreichen: Die Fifa will Zeit gewinnen. Strafrechtler sehen darin ein taktisches Manöver.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München

Der Druck, der auf dem Fußball-Weltverband Fifa lastet, war wohl nie stärker als derzeit. Die Sportwelt ist einhellig empört, dass die Fifa den umfangreichen Ermittlungsreport von Michael Garcia zu den anrüchigen WM-Vergaben 2018 (Russland) und 2022 (Katar) nicht publiziert - sondern sich mit einer 42-seitigen Zusammenfassung von Ethikrichter Hans-Joachim Eckert begnügt, der keine signifikante Korruption feststellte und die Akte zu den Vergaben schloss. Garcia ist wütend und beklagt eine verfälschte Darstellung, Juristen und sogar viele Funktionäre drängen auf Publikation des Garcia-Berichts.

Der Basler Strafrechtler Mark Pieth forderte den US-Anwalt sogar via USA Today auf, den Bericht durchsickern zu lassen. Bonita Mersiades, früher Mitarbeiterin der australischen Bewerbung für 2022, scherzte im Gespräch mit der SZ, Garcia könne den Bericht vielleicht mal auf dem Küchentisch liegen lassen - in Anspielung darauf, dass dessen Frau beim FBI arbeitet, das sich seit Langem für all die Merkwürdigkeiten rund um die Doppelvergabe interessiert.

In der Situation entschlossen sich die Strategen im Züricher Fifa-Hauptquartier zu einem Befreiungsschlag: Veröffentlichen wollen sie den Report natürlich weiter nicht. Aber die Gefahr ist groß, dass er bald irgendwo auftaucht. Also übergab ihn die Fifa, wie sie am Dienstagabend mitteilte, der Schweizer Bundesanwaltschaft, zusammen mit einer Strafanzeige.

Krude Juristensprache

Wobei die krude öffentliche Erklärung dazu nicht nur der Juristensprache geschuldet ist: Sie zeigt, dass dieses Manöver der Fifa einen taktischen Sinn hat und vor allem dem Zeitgewinn dient. Gegenstand der Anzeige sei "mögliches Fehlverhalten von Einzelpersonen" im Hinblick auf Garcias Ermittlungen, es scheine "insbesondere der Verdacht zu bestehen, dass in einzelnen Fällen internationale Verschiebungen von Vermögenswerten mit Berührungspunkten zur Schweiz stattgefunden haben".

Die Fifa suggeriert, sie handele aktiv. Doch offenkundig ist sie die Getriebene. Die Korruptionsexpertin Sylvia Schenk sieht ein "verzweifeltes Ablenkungsmanöver", DFB-Chef Wolfgang Niersbach sagt: "Da tappen wir alle im Dunklen."

So ist eine zentrale Frage, warum die Fifa erst jetzt die Strafanzeige eingereicht hat. Wäre es ihr ein zentrales Anliegen gewesen, hätte sie das - spätestens - mit Veröffentlichung des Eckert-Reports vor einer Woche tun müssen. Seither standen die Fifa und ihr Ethikrichter im Kreuzfeuer öffentlicher Kritik. "Weitgehend parallel" habe er die Empfehlung zur Anzeige abgegeben, formuliert Eckert jetzt; wann genau, beantwortete der Münchner Strafrichter auch auf Anfrage nicht. Weitgehend parallel heißt: nicht gleichzeitig. Also später.

Bemerkenswert ist auch: Zwar reicht die Fifa Strafanzeige beim Staatsanwalt ein, zugleich aber stellt Blatter via Fifa-Website klar, die Untersuchung zur WM-Vergabe Russland/Katar sei abgeschlossen. Das macht es überaus kompliziert. Es müsste also etwas strafrechtlich Relevantes vorliegen, das zwar nach ethischen, sprich: geringeren Anforderungen nicht ausreichte, um den Vergabeprozess für 2018/2022 als regelwidrig zu bezeichnen - zugleich aber ein Fall für die viel höheren strafrechtlichen Hürden sein könnte. Oder hat es mit der WM 2018/2022 gar nichts zu tun?

Das führt zur Frage, ob die staatlichen Ermittler etwas anfangen können mit der Strafanzeige der Fifa. Die Justiz hat bisher nur den Eingang bestätigt, nicht aber, ob sie auch Untersuchungen einleiten will. Die Fifa bestätigte auf Nachfrage, dass sich die Anzeige nicht gegen konkrete Personen richte, sondern gegen Unbekannt. Im Eckert-Papier, in dem angeblich alle wichtigen Aspekte des Garcia-Reports gebündelt sind, wies nichts auf strafrechtlich Relevantes hin, das die Schweiz berührt.

Es sieht also so aus, als würde die Fifa der Berner Behörde einfach ihren Bericht zuschieben nach dem Motto: Schaut mal, vielleicht findet ihr ja was. Das wäre dann eine raffinierte Art der Prozesswäsche - um einen staatlichen Stempel auf die eigenen, erkennbar mangelhaften Recherchen zu erwirken. Jedoch ist Korruption in der Schweiz ein Antragsdelikt, das heißt: Es braucht einen konkreten Kläger gegen eine konkrete Person.

Im Mai will Blatter den Fifa-Thron verteidigen

"Die Anzeige zielt bewusst ins Ungewisse, durchaus mit dem Ziel, dass das Verfahren am Ende eingestellt wird und damit in der Öffentlichkeit ein Beweis der Unschuld vorzuzeigen wäre", sagt der Marburger Strafrechtler Dieter Rössner der SZ. "Aber der beruht dann nur auf einer staatsanwaltschaftlichen Prüfung, die auf der Grundlage einer unzulänglichen Ethikkommission erfolgt ist."

Juristische Fälle lassen sich nie vergleichen. Gemessen an den üblichen Prozeduren aber kann gut ein Dreivierteljahr vergehen, bis die Behörde den Fall beurteilt. Die Zeit hätte die Fifa gewonnen; im Mai will Blatter seinen Thron verteidigen. Die Behörde teilt nur mit, sie werde die Akten auf "strafrechtlich relevantes Verhalten" prüfen. Lesen müssen die Ermittler das Konvolut.

Sollten sie Untersuchungen aufnehmen, hätten sie Möglichkeiten, die den Ethik-Ermittlern der Fifa nicht zur Verfügung standen, etwa Hausdurchsuchungen oder Zeugenvereinnahmen. Zudem böte sich staatlichen Stellen anderer Länder die Möglichkeit, über Rechtshilfeersuchen Details aus dem Garcia-Report zu erfahren. Wenn aber nach der Prüfung nichts Substanzielles übrig bleibt, könnte ihr Blick auf Artikel 102 Absatz 2 des Schweizer Korruptionsstrafrechts fallen. Das verfügt, dass Unternehmen, die "nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen getroffen" haben, um Bestechung von Amtsträgern oder Privaten zu verhindern, selbst strafrechtlich belangt werden können.

© SZ vom 20.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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